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Das Erkenntnis des VfGH

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Jm Zusammenhang mit der Debatte über das Volksbegehren der Aktion Leben im Plenum des Parlaments ist es ganz interessant, noch einmal das Erkenntnis unseres Verfassungsgerichtshofes zum Thema Fristenlösung in Erinnerung zu rufen. Bekanntlich hat die Salzburger Landesregierung an den VfGH den Antrag gestellt, den Fristenlösungsparagraphen des Strafgesetzbuches wegen Verfassungswidrigkeit aufzuheben. Der Antrag, dem „keine Folge gegeben” wurde, stützte sich auf die Grundthesen des Staatsgrundgesetzes, die Menschenrechtskonvention, den Staatsvertrag von St. Germain sowie auf den Gleichheitssatz der Bundesverfassung. In sämtlichen Punkten blieb die Rechtsdarstellung des VfGH nicht unwidersprochen, wie auch unsere geraffte Kurzfassung eines Artikels von W. Waldstein in den „Juristischen Blättern” zeigen soll.

• Das dem Staatsgrundgesetz innewohnende Recht auf Leben lehnt der VfGH als Argument gegen die Fristenlösung deshalb ab, weil nach seiner Ansicht der Grundrechtskatalog des Staatsgrundgesetzes - aus der Entstehungszeit erklärlich - von der klassischen liberalen Vorstellung getragen sei, „dem einzelnen Schutz gegenüber Akten der Staatsgewalt zu gewähren”. Laut Waldstein habe der VfGH diese pauschale Behauptung bereits vergeblich aus der österreichischen Literatur zu begründen versucht.

Ferner meint Waldstein: „Nun erhebt sich doch wohl die naheliegende Frage, ob es nicht ein Eingriff des Staates in das Leben des einzelnen ist, wenn er durch einen Akt der Staatsgewalt, hier durch einen Akt der Gesetzgebung, den einzelnen in seinem Lebensrecht schutzlos stellt, das heißt, ihn der willkürlichen Tötung durch ,Rechtsgenossen1 preisgibt.” Etwas überspitzt meint Waldstein weiter, wenn etwa durch ein Gesetz dem Eigentum der strafrechtliche Schutz entzogen werde, könnte der VfGH mit dem gleichen Argument wie in der Fristenlösung operieren und behaupten, ein direkter Eingriff des Staates in ein verfassungsgesetzliches Grundrecht liege ohnehin nicht vor.

• Die zweite These des VfGH geht davon aus, daß der in Artikel 2 der Menschenrechtskonvention und in Artikel 63 des Staatsvertrages von St. Germain enthaltene Grundrechtsschutz des Lebens auf das keimende Leben keine Anwendung finden könne. Laut Waldstein gibt es Rechtsauffassungen, wo nach der Artikel 2 MRK und auch die entsprechende Bestimmung des Staatsvertrages von St. Germain immer dann auch auf die Leibesfrucht erstreckt werden können, wenn etwa dem ungeborenen Leben durch die einfache Gesetzgebung des innerstaatlichen Rechts eine Rechtspersönlichkeit eingeräumt wird. Paragraph 22 des ABGB sieht beispielsweise die noch Ungeborenen hinsichtlich ihrer Rechte als bereits geboren an.

• Die dritte grundlegende These betrifft die Anwendung des Gleichheitssatzes auf den Schutz des ungeborenen Lebens. Laut VfGH sei die Frucht im Mutterleib auf Grund der verschiedenen Entwicklungsphasen nicht in jedem Stadium als „Gleiches im Sinne des verfassungsgesetzlich verankerten Gleichheitssatzes” anzusehen. Unter Berufung auf die medizinische Literatur wird hier entgegengehalten, unter keinem Gesichtspunkt könne eine Ungleichbehandlung vor und nach Ablauf der Dreimonatefrist mit dem Gleichheitssatz in Einklang gebracht werden. Die Problematik liege laut Waldstein insbesondere darin, daß mit analogen Argumenten auch eine ungleiche Behandlung neugeborener Kinder gerechtfertigt werden könnte, da diese auch „verschiedenen Entwicklungsphasen” unterworfen seien.

Waldstein sieht insgesamt im Erkenntnis des VfGH das Resultat der bereits vorhandenen „subjektiven, moralisch-politischen Anschauungen” der Mehrheit des Gerichtshofes, wobei für die Öffentlichkeit juristische Argumente notdürftig nachgeliefert worden seien.

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