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Der österreichische Wald

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Wissenschaftliche Konzepte zur Schonung der Wälder.

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Wissenschaftliche Konzepte zur Schonung der Wälder.

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Die langfristige Sicherung der österreichischen Wälder hängt nur zum Teil an der Beantwortung ungelöster wissenschaftlicher Fragen. Viele gravierende Schadprobleme ließen sich vermeiden, würde man das verfügbare Wissen um die ökologischen Grenzen einer fortdauernden waldwirtschaftlichen Produktion konsequent in die Tat umsetzen. Beklagenswert sind hier auch die politischen Rahmenbedingungen, sofern sie einerseits zu risikoreichen Bewirtschaftungskonzepten verleiten (z.B. Entschädigung nach vermeidbaren Naturereignissen) oder andererseits die Verwirklichung stabilitätsorientierter Wirtschaftsformen verhindern (z.B. Wild- und Jagdproblematik).

Nun aber zeigen doch die Folgewirkungen historischer Landnutzungsformen und des mehr oder weniger ”sorglosen Dahinwirtschaftens” in jüngerer Zeit, daß sich viele Waldgebiete bei Beibehaltung konventioneller Behandlung der Erschöpfung nähern, und daß insbesondere bei sich ändernden Rahmenbedingungen (Luftschadstoffe, Klimawandel) bedrohliche Entwicklungen eintreten. ”Waldsanierung” tritt damit in den programmatischen Vordergrund des Waldmanagements im weitesten Sinne (Typenvielfalt, Schutzfunktion, Produktionsbasis, Biotop- und Artenschutz, Erholungsfunktion usw.). Die damit aufgeworfenen Fragen an die Wissenschaft beziehen sich zunächst auf das Verständnis der in Waldökosystemen ablaufenden Prozesse und auf die Kenntnis ihrer Beeinflußbarkeit durch gewollte oder ungewollte Eingriffe. Um daraus ein differenziertes Instrumentarium zur Steuerung der (qualitativ) restitutiven Waldentwicklung abzuleiten, genügt eben nicht die Kenntnis des Prinzips an sich, sondern es ist tieferer Einblick in die breite Vielfalt der Vorgänge notwendig. Diese sind auf Urgestein teilweise anders als auf Kalkuntergrund, in Auwäldern anders als auf gewässerfernen Standorten, in der Bergstufe anders als im Tiefland, auf nährstoffarmen Standorten anders als in Ackeraufforstungen, im Nadelwald anders als im Misch-oder reinen Laubwald usw.

Die Wahrscheinlichkeit der schadri-sikoarmen Waldentwicklung ist am größten, wenn Klima, Boden, Vegetation und Tierwelt des Waldes in qualitativer und quantitativer Hinsicht optimal aufeinander abgestimmt sind. Im Laufe der Evolution ”ausgehandelte Spielregeln” zur Koexistenz bestimmter Glieder des Ökosystems (z.B. Tanne und Rehwild; Fichte und Borkenkäfer) können schlagartig außer Kraft treten, sobald sich die Lebensbedingungen für jeweils einen der Partner ändern. Dieses Prinzip gilt für sehr viele der ”konstruktiv” oder potentiell ”destruktiv” wirkenden Organismenarten im Wald.

Die Ausgangslage kann durch die in beigefügter Grafik dargestellte Hypothese beschrieben werden. Abb! Ein Waldökosystem toleriert nur ein begrenztes Maß an Belastung (Streß), das im Schema durch die ”Toleranzschwelle” bezeichnet wird. Bei ihrem Überschreiten treten irreparable Veränderungen ein. Die Aufnahmefähigkeit wird durch verschiedene Streßursachen beansprucht: natürliche (N) wie z.B. Dürre, Frost. Sturm, Schädlinge, und anthropogene (A) wie z.B. Bewirtschaftungsschäden, Luftschadstoffe, Jagdbetrieb u.a. Die Einzelstresse summieren oder multiplizieren sich in ihrer Wirkung. Wesentlich für die Streßtoleranz ist aber das Ausmaß der prädisponierenden Instabilität des Waldökosystems, d.h. jener natürlich oder durch den Menschen entstandenen ”Schwächen”, die die Reparaturfähigkeit bei externen Streßwirkungen vermindern. Die mitteleuropäischen Wälder dürften vorwiegend dem unten dargestellten Typus des stark prädisponierend vorbelasteten Waldes angehören.

Stabilisierung der Wälder erfordert Treffsicherheit bei der Einschätzung des ökologischen Potentials, bei der Charakterisierung und Bewertung der Zustandsdefizite bzw. Belastungen und schließlich bei der Anwendung spezifischer Methoden zur Revitalisierung der Systeme. Da die Umstellung auf stabilitätsorientierte Waldbewirtschaftung zumindest kurzfristig erhöhte Kosten verursacht, gilt es neben den naturwissenschaftlichen und technischen Fragen auch ökonomische und politische zu beantworten.

Wissenschaftliche Konzepte haben sich an der oben dargestellten Problematik zu orientieren. Sie müssen die naturwissenschaftliche Analyse und die anwendungstechnische Methodik, Ursachenforschung, Diagnostik, Therapieforschung, ökonomische Bewertung i.w.S. und sogar soziologische Aspekte einschließen. Die komplexe Vernetzung der Strukturen und Prozesse in Waldökosystemen und in deren Umfeld erfordert die Beteiligung verschiedenster Fachdisziplinen an einem multidisziplinären Forschungsteam, dessen Arbeit in mehrfacher Hinsicht koordiniert abläuft. Wesentliches Koordinierungsprinzip sollte die ganzheitliche Betrachtung der Wald bzw. Waldschadensproblematik sein. Nur so können Fehlurteile vermieden und Teilprozesse bzw. Teilergebnisse sinnvoll in ein Gesamtbild eingefügt werden.

Mit dem Ziel, entsprechend den vorstehenden Vorgaben möglichst anforderungsgerecht zu arbeiten, konstituierte sich im Jahr 1983 an der Universität für Bodenkultur Wien die Forschungsinitiative gegen das Waldsterben (FIW). Sie entwickelte sich zu einem Forschungsverbund, vorwiegend innerhalb verschiedener österreichischer Universitäten, unter der Federführung der Universität für Bodenkultur. Im Rahmen der Forschungsprogramme FIW I (1984-1988) und FIW II (1991-1995), hauptsächlich durch das Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung und teilweise durch das Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft finanziert, wird im Zusammenhang mit Forschergruppen im Ausland in ausgewählten Waldschadens-Problem-gebieten (Mühlviertel, Obersteiermark, Außerfern u.a.) sowohl Ursachen- als auch Sanierungsforschung betrieben. Bezüglich der Kausalforschung stand in FIW I die Fichte, in FIW II die Eiche im Vordergrund. In FIW II wird ferner versucht, im Rahmen sogenannter Fallstudien in fichtenreichen Wäldern der Bergwaldstufen das theoretische Wissen in praxisreife Sanierungskonzepte umzusetzen. Die wissenschaftliche Frage besteht dabei in der Operationalisierung der integralen Streßdiagnose, der Risikobewertung und der Sanierungsempfehlung unter Wahrung des Flächenbezuges für ein zusammenhängendes, größeres Waldgebiet (ca. 1000-2000 ha). Das zu erarbeitende Instrumentarium, in dem auf modernste Methoden der Datenverarbeitung nicht verzichtet werden kann, soll schließlich Behörden und größeren Ingenieurbüros die Möglichkeit bieten, schwierige Fälle der Waldsanierung eigenständig vorzubereiten und die forstwirtschaftlichen Planungen stärker auf Stabilität zu orientieren.

Angesichts der großen Bedeutung der Wälder für ein Land wie Österreich gebührt der Waldforschung trotz der bereits erzielten Fortschritte ein weiterer, dauerhafter Ausbau. Dieser Notwendigkeit trägt die Universität für Bodenkultur durch ihr Bemühen Rechnung, der Waldökosystem-Sanierungsforschung auch für die weitere Zukunft eine gesicherte Basis zu schaffen.

Erwin Führer, Universität für Bodenkultur Wien, wissenschaftlicher Leiter der Forschungsinitiative gegen das Waldsterben.

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