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Nur ein gutdressierter Schoßhund?

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Es gibt kein Gebiet, auf dem nicht Frauen Bedeutendes leisteten - ob Mathematik, Physik, Theologie, Medizin oder Astronomie. Hier nur einige Beispiele.

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Es gibt kein Gebiet, auf dem nicht Frauen Bedeutendes leisteten - ob Mathematik, Physik, Theologie, Medizin oder Astronomie. Hier nur einige Beispiele.

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Wer war Karoline Herschel? Hat nicht ein Gelehrter dieses Namens den Planeten Uranus entdeckt? Karoline Herschel ist nahezu unbekannt. Kein Wunder, schrieb sie doch selbst: „Ich tat für meinen Bruder nichts anderes, als was ein gut dressierter Schoßhund getan hätte: ich führte seine Befehle aus. Ich war nur das Instrument. Die Mühe, es zu schärfen, hatte er.”

Wahrscheinlich hat keine Frau ihre eigenen Leistungen krasser unterschätzt Sie wurde 1750 in Hannover geboren. Der Vater wollte ihr eine gewisse Ausbildung geben, aber die Mutter war dagegen. Mit 22 Jahren kam sie mit ihren Brüdern nach England, wurde erfolgreiche Sopranistin, wechselte dann aber mit Bruder Wilhelm zur Astronomie. Er wurde königlicher Astronom und entdeckte den Uranus.

Lucretia Karoline führte den Haushalt, erarbeitete sich naturwissenschaftliches und mathematisches Wissen, begründete gemeinsam mit ihm die Erforschung der Fixsterne, überwachte zeitweise die Herstellung der ersten großen Teleskope und begann ihre Tätigkeit als selbständige Beobachterin mit einem Femrohr, das er für sie gebaut hatte. Sie spezialisierte sich auf die Entdeckung von Kometen, wies gemeinsam mit ihm anhand von Doppelsternsystemen die Wirkung der Anziehungskraft außerhalb des Sonnensystems nach und vollendete nach des Bruders Tod mit 75 Jahren ihr großes Werk über die

Position von 2.500 kosmischen Nebeln. Es wurden ihr viele Ehrungen zuteil, die sie nach lebenslanger Schwerarbeit ohne Anerkennung und Entlohnung nur ärgerten Eine Medaille des Königs von Dänemark „macht mich gera dezu wütend, denn sie nützt mir rein gar nichts. Mein eines Auge ist praktisch blind.” Sie starb 1848 im Alter von 97 Jahren.

Sie ist eine der vielen • Frauen, über die die amerikanische Molekularbiologin Margaret Alic in ihrem Buch „Hypatias Töchter” berichtet. Frauen waren von Anfang an an der Entwicklung der Naturwissenschaft beteiligt. Die griechische Wissenschaft begann mit den Pythagoräern. Bereits deren Bezeichnung als „Bruderschaft” unterschlägt, daß Frauen und Männer gleichberechtigt waren und an der Schu le des „feministischen Philosophen” Py thagoras mindestens 28 Frauen tätig waren.

Das Buch von Margaret Alic zählt zu den wichtigsten Sammlungen von Lebensläufen bedeutender Frauen. Es vermittelt eine solche Ladung von Fakten, daß hier nur die eine oder andere Einzelheit herausgegriffen werden kann. So ist es typisch, daß, wenn von Frauen und Wissenschaft die Rede ist, den meisten nur Hildegard von Bingen einfallt: Die anno 1098 geborene, als „Sybille vom Rhein” berühmt gewordene Äbtissin besaß zwar, dem damaligen Stand entsprechend, umfassende Kenntnisse. Aber sie war Mystikerin, Theologin und Sammlerin des Wissens über Volksheilmittel. Auf diesen Gebieten läßt das Vorurteil Frauen am

(Unionsverlag) ehesten gelten.

Sonja Kowalewski hingegen war eine bedeutende Mathematikerin, widerspricht mit ihrem ganzen Leben dem Klischee von den „frauengemäßen Berufen” und wurde folgerichtig verdrängt.

Im großen Landhaus der Familie in Weißrußland fehlte es an Tapeten, weshalb man die Wände mit Seiten aus einem Werk über Differential-und Integralrechnungen beklebte. Als Sonja, Enkelin eines berühmten Mathematikers, den ersten Unterricht erhielt, kannte sie sich, dank den „Tapeten”, bei der Schreibung mathematischer Formeln längst au,s. Die Familie legte ihrem Bildungsstreben nichts in den Weg, ihr Leh-x rer ermutigte sie, sich für die Rechte der Frauen einzusetzen, v Ab 1869 (!) studierte die 1850 jL geborene Sonja aus Kosten-Ii gründen mit ihrem Bruder einige Zeit sogar in Wien, aber die hiesigen Mathematiker waren ihr zu mittelmäßig, weshalb sie nach England gingen. Sonja wurde Europas erste Doktorin der Mathematik -„summa cum laude”. Für eine Arbeit über die Rotation eines festen Körpers um einen Fixpunkt erhielt sie den berühmten „Prix Bordin”, bis dahin die größte wissenschaftliche Ehrung für eine Frau. Sie starb mit 41 Jahren nach einer bei einer Klettertour erlittenen Herzattacke. Viele Mathematiker wissen nicht, daß der berühmte Cau-chy-Kowalewski-Lehrsatz von einer Frau stammt.

Daß auf Gebieten wie Kernphysik, Mathematik oder Kosmologie kaum Frauen tätig sind, liegt vor allem daran, daß man in der Wissenschaft dort, wo die höchsten Mittel eingesetzt werden, auch am vehementesten um sich beißt.

Nachzulesen bei Timothy Ferris, „Die Rote Grenze”, erschienen vor Jahren im Piper-Verlag: Die Amerikanerin Henrietta Swan Leavitt entdeckte 2.400 pulsierende Veränderliche Sterne, erkannte den Zusammenhang zwischen Helligkeitsschwankungen und absoluter Helligkeit und wurde so zur Pionierin der Entfernungsmessung im Weltall. Sie arbeitete lebenslang an der Harvard-Universität mit einem Minigehalt, wurde dort aber trotz ihrer vier Ehrendokto- -rate erst 1938, mit 75 Jahren, ins Personalverzeichnis aufgenommen.

Von Margaret Alic wird Henrietta Swan Leavitt nur in einer Fußnote erwähnt. Seltsam berührt, daß Lise Meitner völlig fehlt. Auch eine Frau, die über verdrängte Frauen schreibt, ist natürlich auf die Quellenlage eines von Männern geprägten Wissenschaftsbetriebes angewiesen. Oder hat sie die Österreicherin Meitner ihrerseits verdrängt?

Lise Meitner wird oft nur als „Mitarbeiterin- von Otto Hahn” genannt. Ihr Anteil an der Kernspaltung, ihre bereits im Stockholmer Exil durchgeführte Interpretation von Hahns Berliner Versuchsergebnissen werden unterspielt. Ihr Schicksal ist ein besonders beredtes Beispiel dafür, daß die wissenschaftlichen Leistungen von Frauen oft selbst dann verkleinert wurden, wenn diesen Frauen bedeutende öffentliche Ehrungen zuteil wurden. Otto Hahn übergab ihr allerdings einen Teil seines Nobel-Preisgeldes (sie überwies ihn dem von Albert Einstein geleiteten Notkomitee für Atomphsysiker) und den ihr 1947 angebotenen Lehrstuhl für theoretische Physik in Mainz nahm sie nicht an, „da ich weder die Gabe noch die Neigung habe, Dinge nicht wissen zu wollen, weil sie zu bedrückend sind.”

HYPATIAS TÖCHTER. Der verleugnete Anteil der Frauen an der Wissenschaft. Von Margaret Alic. Unionsverlag, Zürich 1991.260 Seiten, Pb., öS 265,20.

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