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Was wird aus dem Vorreiter?

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Das Bild vom gemeinsamen europäischen Haus, das Michail Gorbatschow so populär gemacht hat, ist so neu nicht. In aller - österreichischer - Bescheidenheit sei angemerkt, daß Bundeskanzler Josef Klaus - unverkennbar dabei die „Handschrift“ seines damaligen Kabinettchefs Franz Karasek

- schon im Jänner 1965 vor dem Europarat in Straßburg dieses Bild geprägt hat.

Diesem größeren Europa, das im Europarat repräsentiert ist, fühlte sich Osterreich immer verpflichtet. Und es ist kein Zufall, daß durch österreichische Initiative - gemeinsam mit der Schweiz - Ungarn, Polen, der Sowjetunion und Jugoslawien im heurigen Sommer einmal der Gaststatus beim Europarat eingeräumt wurde.

Daß der sowjetische Staats- und Parteichef jetzt die vielfältigen Integrationsprozesse in Europa nicht nur begrüßt, sondern ausdrücklich das Recht jedes Landes -auch des neutralen -, seine Beziehungen in Richtung einer Organisation zu gestalten, betont hat, ist umgekehrt ebenso nicht zufällig. Überraschend ist jedoch die Offenheit und Selbstverständlichkeit, mit der Gorbatschow das ausgesprochen hat.

Dieses Recht wurde von Österreich immer - und gegen jede Bevormundung - mit Nachdruck hervorgehoben. Gorbatschows Erklärung, die durchaus auch als Bestätigung des österreichischen EG-Kurses gewertet werden kann, hat unbestritten außen-, nebstbei aber auch innenpolitische Bedeutung: Jene, die sich mit ihrem EG-Nein hinter Moskau verschanzt haben, sind um ihr Hauptargument umgefallen.

Gorbatschow ist nicht der Mann, der Gefälligkeiten verstreuen muß. Aber er hat die Rolle der Neutralen

- bei aller Unterschiedlichkeit ihrer Neutralität - als Faktor der Stabilität auch in einem künftigen Europa begriffen. Das hat er den EG-Nabelbeschauern in Brüssel jetzt voraus, die - wie es Helmut Schmidt formuliert hat - meinen: „Der Teppich braucht keine neuen Flicken“, schon gar nicht zusätzliche Fransen rotweißroter Färbung.

Der historische und dynamische Aufbruch, den Europa in unseren Tagen erlebt, wird noch viele zum Überdenken ihrer bisherigen Position zwingen, auch uns Österreicher. Die Entwicklung hat unser Selbstverständnis als Drehscheibe zwischen Ost und West, als Brük-kenkopf und als Schaufenster der demokratischen freien Welt überholt. Und eigentlich sollten wir froh sein, daß es so gekommen ist, daß man auf unsere Mittlertätigkeit gar nicht mehr angewiesen ist.

Welche Rolle sehen wir für uns in einem neuen Europa? Was trauen wir uns jetzt zu? Diese Fragen wurden anläßlich des Nationalfeiertages in“ Erklärungen mit Floskeln konturenarm und dürftig abgefertigt. Eine Abfertigung, über die sich keiner aufregt. Warum eigentlich?

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