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Das Falsche erreicht

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Nach Überzeugung des politischen Kritikers Servan-Schreiber und der sich um ihn gruppierenden Personen — dazu gehört auch der Publizist Pierre Drouin — erreichen der französische Staatschef und seine Mitarbeiter mit ihrer systematisch betriebenen Obstruktionspolitik nicht in wenigen Fällen paradoxerweise das Gegenteil von dem, was sie ursprünglich anstreben. Als Beispiel erwähnt man die Ablehnung des von Professor Hallstein vorgeschlagenen „europäischen Handelsrechts“, das supranational neben die Gesetzgebungen der sechs Länder treten sollte, um dadurch Fusionen im Wirtschaftssektor zu erleichtern. Die Folge dieser negativen Haltung werde sein — so meinte Pierre Drouin nach einer sorgfältig durch geführten Untersuchung —, daß nur amerikanische Firmen Filialen auf europäischer Ebene realisieren könnten.

Was sagt die Regierung?

Gegenüber dieser Argumentation erscheint die Begründung der gaullistischen Außen- und Militärpolitik aus Regierungskreisen wenig überzeugend. So hat das Armeeministerium in einer monatlichen Informationsnote die Stellung Frankreichs zur Atlantischen Allianz definiert. Frankreich — so wird in diesem Schriftstück betont — bleibe weiterhin Mitglied der Nordatlan- tisdhen Allianz. Es sei nur von ihrer militärischen Organisation abgerückt. Und sehr verklausuliert heißt es dann unter Betonung der franzö sischen Souveränität und Eigenentscheidung weiter in der bewußten Informationsnote: Im Falle eines unprovozierten Angriffs (dieser Begriff wurde bezeichnenderweise niemals eindeutig definiert) gegen ein Mitglied, werde Frankreich, sobald die Anwendung des Artikels 5 des Vertrages beschlossen wurde, an der Seite seiner ebenfalls engagierten Alliierten an der Schlacht teilnehmen. Im übrigen wird klar ausgesprochen, daß Frankreichs Militärpolitik verhindern möchte, daß sich die NATO-Hypothese eines ausschließlich von der Sowjetunion geführten Angriffs versteinere. Frankreich weigert sich, seine militärische Anstrengung in einem integrierten Rahmen zu entwickeln, der ein einziges Ziel kennt: Vorbereitung einer Schlacht zwischen Ost und West — als gebe es keine anderen Möglichkeiten.

Das ist die regierungsamtliche Stellungnahme zu den militärischen Desintegrationsmaßnahmen der gaullistischen Regierung. Es mag sein, daß im Hintergrund der Gedanke mitspielt, Frankreich um jeden Preis aus einem möglichen bewaffneten Konflikt herauszuhalten. Der dem General anhängende „Mann auf der Straße“ deutet es jedenfalls so. Oppositionelle Politiker von Format — wie Franęois-Poncet und der kürzlich verstorbene Paul Rey-

naud — haben diese These seit Jahr und Tag entscheidend bekämpft. ES sei naiv, so meinten sie, sich einen ost-westlichen Konflikt vorzustellen, in den Frankreich nicht hineingezogen werden könnte.

Der Gaullismus hat keine innen- und keine außenpolitische Ideologie. Er stellt den Versuch eines Mannes dar, die moralische Eigenwilligkeit einer Nation zu behaupten, die ihr materielles Gewicht, ihre Stellung als Großmacht durch die Kräfteverschiebung in der Welt eingebüßt hat. De Gaulle möchte den französischen Stern wieder zum Leuchten bringen.

Ein Europa, in dem Frankreich nur ein Faktor unter anderen Faktoren der Neugruppierung sein würde, ist für ihn ein Alptraum. Ehe er das spezifische Wesen seines Landes aufgibt, begibt er sich lieber in die Isolation. Kein politisches, kein militärisches Argument kann diese Haltung erschüttern, und solange die Vorstellung der „Grande Nation“ im Lande lebendig bleibt, wird diese Haltung auch die Gegner des Generals paralysieren. Europa kann nicht mit de Gaulle Wirklichkeit werden. Es kann nur neben ihm oder nach ihm entstehen.

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