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Greift Gadhafi nach dem Tschad ?

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Vor kurzem rief der libysche Staatschef Gadhafi alle Moslems Afrikas zum Aufstand gegen den Westen auf. Im Tschad sieht er sich Frankreichs Premier Mitterrand gegenüber.

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Vor kurzem rief der libysche Staatschef Gadhafi alle Moslems Afrikas zum Aufstand gegen den Westen auf. Im Tschad sieht er sich Frankreichs Premier Mitterrand gegenüber.

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Die Krise um den zentralafrikanischen Wüstenstaat Tschad hat sich abermals zugespitzt: Nach französischen Angaben ist das libysche Kontingent im Tschad durch zusätzliche Kampfeinheiten aufgestockt worden. Seine Stärke beträgt jetzt 7000 Mann. Libysche Truppen halten nach wie vor den uranreichen Aousu-Streifen im Nord-Tschad besetzt.

Durch den libyschen Aufmarsch ist das französisch-libysche Abkommen aus dem Jahre

1984 über die „Entmilitarisie-rung" des Tschad zunichte gemacht worden.

Im Augenblick braucht Gadhafi dringend außenpolitische Erfolge, und es ist nicht auszuschließen, daß er sich deshalb wieder in den Tschad-Konflikt einmischt.

Inzwischen hat sich der tschadische Staatspräsident Hissene Habre an die „Schutzmacht" Frankreich gewandt und dringend um militärischen Beistand ersucht. Nach Gadhafis Propagandareise durch mehrere Staaten der Region sei die Gefahr einer erneuten libyschen Einmischung im Tschad beträchtlich gewachsen, beteuert Habre.

Derzeit wird die libysche Armee von etwa 7000 sowjetischen und ostdeutschen Militärspezialisten ausgebildet. Sie sollen auch bei den libyschen Truppen ün Nord-Tschad als „Berater" tätig sein. Deshalb ist in keinem Staat Afrikas — unabhängig vom gegenwärtigen Säbelgerassel Gadhafis — der Ost-West Konflikt so spürbar, wie im Tschad.

Aus dem ursprünglich rein internen Konflikt ist durch ausländische Einmischung ein regelrechter „Stellvertreterkrieg" geworden. Durch sein historisches Erbe weist der Tschad in den Grenzen, die ihm von der einstigen Kolonialmacht Frankreich vorbestimmt waren, ein enormes Konfliktpotential auf, wie übrigens viele andere Länder Afrikas auch, die sich aus verschiedenen

ethnischen Gruppen zusammensetzen, von denen keine einzige die entscheidende Mehrheit im Staate bildet.

Dieses Konfliktpotential ist nach der Unabhängigkeitserklärung (11. August 1960) durch die Diktatur Francois Tombalbayes und die Vorherrschaft des südlichen Bevölkerungsteiles über den Norden nur kurzfristig gebannt worden.

Die neuen Verwalter aus dem Süden, von denen man behauptete, sie hätten den „Segen" der französischen Schutzmacht, erwiesen sich in ihrer Vorgangsweise oft ungerechter und grausamer als die ehemaligen Kolonialherren. Der fünfzehnjährigen Diktatur Tombalbayes ist zu verdanken, daß sich die Kluft zwischen dem überwiegend islamischen Norden und dem christlich-ani-mistischen Süden noch mehr vertieft hat.

Die Regierungen Tombalbayes bestanden in der Regel aus den „Südisten" (Angehörige der Stämme aus dem Süden), der Norden dagegen war bei der Ausübung der Regierungsgewalt kaum vertreten.

Nord-Süd Gegensatz

Außenpolitisch brüskierte Tombalbaye den islamischen Norden durch seine bisweilen intensive Zusammenarbeit mit Israel, dievonden Nordisten als ein gezielter Schlag gegen ihr Solidaritätsbewußtsein mit den Palästinensern interpretiert wurde.

1968 rief Tombalbaye zur „kulturellen Revolution" auf, als er sah, daß der Gegensatz zwischen den zwei Landesteilen immer größer wurde. Die „J£ulturrevolution" sollte die Widersprüche zwischen Christen und Moslems überwinden.

Ein besonders grotesker Zug dieser Politik war die „Tschadi-sierung" des öffentlichen Lebens (Wortschöpfung nach dem von Leopold Senghor geschaffenen Begriff „Negritude"), die in erster Linie für die Staatsbeamten zur

Pflicht wurde. So wurden beispielsweise die Yondo-Riten (teilweise blutige Initiationsriten) wiedereingeführt.

Ganz ohne Grundlage war Tombalbayes neuer Kurs nicht, weil die tschadische Beamtenschaft größtenteils der traditionellen „Chefferie" (Häuptlinge) entstammte, wo Yondo-Riten teilweise noch praktiziert wurden.

Für den Norden kam jedenfalls die „Tschadisierung" nicht nur zu

spät, sondern bestärkte ihn in seiner Ansicht, die Willkürherrschaft des Südens könne nur durch Revolution beseitigt werden.

In Kairo, Khartum und Bagdad hat sich inzwischen die Oppositionsbewegung der tschadischen Muslime formiert, der Weg in die Krise war somit vorgezeichnet. Einer der engagiertesten Wortführer der muslimischen Opposition war Ibrahim Abatscha. Zusammen mit sechs muslimischen Freiwilligen absolvierte Abatscha 1965 einen Guerillakurs in Nordkorea. Dieser harte Kern gründete dann am 22. Juni 1966 in der sudanesischen Grenzstadt Nyala die tschadische Befreiungsbewegung FROLINAT (Front de Liberation Nationale Tschadien).

Der FROLINAT mangelte es von Anfang an an einer klar definierten ideologisch-politischen Richtung. Die aus ihr hervorgegangene Guerillabewegung „Armee Nationale Tschadienne" wurde von persönlichen Rivalitäten und Stammesgegensätzen beherrscht. Separatistische Bestrebungen einzelner FROLINAT-Führer waren an der Tagesordnung und lähmten die militärische Stärke der Guerillabewegung.

Trotzdem sorgte FROLINAT in den frühen siebziger Jahren für Schlagzeilen in der Weltpresse: Am 21. April 1974 entführten die Guerillas die französische Archäologin Francoise Claustre, den Entwicklungshelfer Marc Com-bes und den deutschen Arzt Christoph Staewen, übrigens einen Neffen des ehemaligen deutschen Bundespräsidenten Gustav- Heinemann. Nach zähen Verhandlungen mit der FROLINAT mußten Frankreich und die Bundesre-

publik umgerechnet an die 20 Millionen Schilling für die Freilassung der Geiseln bezahlen.

Eine wichtige Ursache für den späteren Konflikt zwischen den beiden Gegenspielern und FRO-LINAT-Anführer Hissene Habre und Goukouny Ouedey, war ju-stament die Frage der Geiseln.

Während Goukouny angeblich eine konziliante Haltung in der Geiselfrage empfahl, plädierte Hissene Habre für die Liquidierung der Geiseln. Er soll auch die

grausame Ermordung des französischen Unterhändlers Major Ga-lopin angeordnet haben.

Nach dem vorwiegend „ideologischen" Bruch zwischen den beiden entwickelte sich der tschadische Bürgerkrieg, an dem bisweilen sogar 14 verschiedene Guerillagruppen beteiligt waren, immer mehr zu einem persönlichen Konflikt zwischen Goukouny und Hissene Habre. Die ausländischen Interventionsmächte, Frankreich und Libyen, brauchten lediglich ihre Fäden zu ziehen. Seit der französischen Intervention 1980 verläuft eine Trennungslinie durch den Tschad, die sogenannte „grüne Linie". Somit ist der Tschad ein geteiltes Land.

Während die „Schutzmacht" Frankreich aus den benachbarten Staaten Gabun und der Republik Zentralafrika die Entwicklung im Tschad beobachtet (Gabuns Hauptstadt Libreville ist einer der wichtigsten französischen Stützpunkte auf dem schwarzen Kontinent), haben sich die Libyer unmittelbar hinter der „grünen Linie" verschanzt.

Vor allem eine wichtige Frage drängt sich im Augenblick auf:

Warum hat sich gerade jetzt Gadhafi zum Säbelrasseln im Tschad entschlossen?

In Frankreich wird in acht Wochen gewählt. Trotz des Hilfeabkommens mit Hissene Habre, kann sich Paris in der Wahlzeit kaum zur Truppenentsendung in den Tschad entschließen. Eine militärische Intervention in Afrika hätte zum gegenwärtigen Zeitpunkt für den Präsidenten FranT cois Mitterrand fast unabsehbare innenpolitische Folgen. Genau damit spekuliert der libysche Revolutionschef Gadhafi. Es sind hauptsächlich zwei wichtige Gründe, die das starke Interesse

Libyens an den Ereignissen und Entwicklungen im benachbarten Tschad erklären.

Erstens: Tripolis will um jeden Preis die Bildung einer westlich orientierten Allianz Ägypten-Sudan—Tschad verhindern. Daß dahinter der starke Druck des sowjetischen Beschützers und Waffenlieferanten steckt, liegt klar auf der Hand.

Zweitens: Das Interesse Gadhafis im Tschad hat auch einen religiös-ideologischen Hintergrund. In seinem Programmbuch „Kitab al ahtar" (Das grüne Buch) schreibt Gadhafi, der Kampf um die Vereinigung der islamischen Völker in Afrika sei die erste Pflicht der libyschen Revolution. Die Franzosen verfolgen ebenfalls zwei wichtige Ziele im Tschad.

Zum einen ist der Tschad von erstrangiger Bedeutung als Stützpunkt und logistische Nachschubbasis für die Operationen der französischen Luftwaffe in Afrika. Das hat sich bei der Intervention in Shaba (Zaire) deutlich gezeigt.

Der zweite Punkt ist politischer Natur und weitaus wichtiger: Der Zerfall des Tschad würde bei den anderen frankophonen Staaten Afrikas die Glaubwürdigkeit Frankreichs als „Schutzmacht" stark beeinträchtigen. Zudem würde ein Zusammenbruch im Tschad eine Kettenreaktion bei anderen Staaten in der Region mit ähnlich labilen Strukturen auslösen. Der Abzug der Franzosen hinterließe im Tschad ein Vakuum, welches zu einem verstärkten Engagement der Supermächte mittels „Stellvertreterarmeen" führen kann. Das libysche Kontingent im Nord-Tschad ist so eine „Stellvertreterarmee".

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