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Soldatows Schlangengrube

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In letzter Zeit häuften sich die Beweise dafür, daß der Kreml den libanesischen Bürgerkrieg nicht nur aktiv schürt, sondern möglicherweise sogar ausgelöst hat. Während sich alle übrigen Viertel der Hauptstadt Beirut unaufhaltsam in blutüberströmte und brennende Bürgerkriegsschauplätze verwandelten, blieb die Gegend um die auf einer geschickt gewählten Anhöhe im Süden der Metropole zwischen Zentrum und Flughafen gelegene Sowjetbotschaft bemerkenswerterweise eine Oase der Ruhe. Hier fanden keine Kämpfe statt. Nach Beobachtungen von Phalange-Spähern und westlichen Geheimdienstfachleuten hatten die Linksguerrilleros einen undurchdringlichen Sperrgürtel um dieses Areal gelegt. Dennoch spielte sich im Botschaftsgebäude ein reger Besuchsverkehr ab.

Hausherr ist in der wie eine Zwingburg wirkenden diplomatischen Vertretung seit 1974 eine der zwielichtigsten Gestalten der sowjetischen Diplomatie. Exzellenz Alexander Soldatow trägt nicht nur einen äußerst kriegerischen Namen, er ist auch eine der gefährlichsten

Vipern in der roten Diplomaten-Schlangengrube. Kenner der Verhältnisse betrachten ihn als erstrangigen Experten für illegale Subversionstätigkeit und Stadtguerrilla im neutralen Ausland. Als „Botschafter“ in Kuba lenkte er die gesamte prokommunistische Subversions- und Guerillatätigkeit in Südamerika. Als der Kreml ihn zu seinem diplomatischen Vertreter in dem kleinen Levantestaat berief, hätten die westlichen Experten wissen sollen, was die Stunde geschlagen hatte. Jetzt, viel zu spät, wissen sie es. Soldatow hatte offensichtlich keine geringere Aufgabe, als die amerikanische Vermittlungspolitik im Nahen Osten von dem labilen Libanon aus aufzubrechen.

KGB-Mann Soldatow verfolgt allem Anschein nach ein vierfaches Ziel: das wichtigste ist, wie der bis zur unheilbaren Feindschaft zwischen Moslems und Christen hochge-putschte Blutrausch in Beirut beweist, die Widerlegung der gemäßigten Palästinenser-Theorie von der Entstehung eines binationalen und trireligiösen Staates Palästina anstelle des jetzigen Israel. Den Juden soll jedes Zutrauen in die Verständigungsbereitschaft und Vertragstreue der Araber genommen und der Nahostkonflikt dadurch weiter kochend erhalten werden. Eng damit verknüpft ist das zweite Ziel: den Chef der „palästinensischen Befreiungs-Organisation“ (PLO) und die Gemäßigten in ihren Reihen unglaubwürdig zu machen. Jassir Arafat ist zwar im Kreml noch immer „persona grata“, gilt aber keineswegs als zuverlässiger Bundesgenosse. In den Augen der Moskauer Drahtzieher ist er als palästinensischer Nationalist ein höchst unsicherer Kantonist. Im Interesse des Kreml liegt daher Soldatows dritter Auftrag: der Libanon soll zürn Schauplatz des aktiven Kampfes gegen jede Vernunftpolitik im Nahostkonflikt umfunktioniert werden. Zu diesem Zweck verbündete sich die Sowjetboschaft mit einem vielfachen Mörder und

Berufskriminellen namens Ibrachim Koleitat. Dieser hatte bei den meisten politischen und privaten Blutfehden in der Levante die Hände im Spiel. Er ist ein bezahlter Killer und war der Hintermann bei der Ermordung des dem verstorbenen Nildiktator Gamal abd el Nasser unangenehmen libanesischen Journalisten und Verlegers Kamal Murruwe. Heute befehligt er eine dubiose Bande politisierender Berufskrimineller unter der Deckbezeichnung „Unabhängige Nasseristen“ und ist häufiger Gast in der Sowjetbotschaft. Exzellenz Soldatow hat sich jedoch auch gegen ihn und seine Marodeure abgesichert. Er konferiert häufig mit den Befehlsempfängern von der bislang nicht sonderlich einflußreichen lokalen kommunistischen Partei.

Diese KP ist Soldatows „letztes Aufgebot“, denn der Bürgerkrieg macht immer mehr verarmte Libanesen beider Glaubensrichtungen hoffen, nur die atheistische KP könne eine endlose Fortsetzung der Religionskämpfe verhindern.

Dieses vielblättrige Kleeblatt von Aufträgen ist eine der Hauptursachen der blutigen Verwicklungen im Libanon. Wer sich kurz vor dem Ausbruch der grauenhaften Kämpfe einmal die Mühe machte, die Besucher Soldatows und die Kontakte der Sowjet-„Diplomaten“ zu beobachten, kennt die .ganze böse Wahrheit. Die Entspannung, die Moskau anderswo zur Konsolidierung seiner äußeren und inneren Machtposition zu brauchen scheint, findet im Nahen Osten nicht statt.

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