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Juden und andere: weiter unerwünscht?

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Österreich ist nicht nur das Land der Berge, Land der Dome, ferner Land der Äcker und Land der Hämmer, zukunftsreich. Österreich ist auch ein Land der Vorurteile par excellence, wie jeder längst weiß, der es wissen will, und der nun vorgelegte abschließende Bericht über ein Forschungsprojekt des Arbeitskreises für Stereotypieforschung, das über Jahre verfolgt und von Ifes und Sozialwissenschaftlicher Studiengesellschaft unterstützt wurde, hat düsterste Vermutungen wieder einmal bestätigt

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Österreich ist nicht nur das Land der Berge, Land der Dome, ferner Land der Äcker und Land der Hämmer, zukunftsreich. Österreich ist auch ein Land der Vorurteile par excellence, wie jeder längst weiß, der es wissen will, und der nun vorgelegte abschließende Bericht über ein Forschungsprojekt des Arbeitskreises für Stereotypieforschung, das über Jahre verfolgt und von Ifes und Sozialwissenschaftlicher Studiengesellschaft unterstützt wurde, hat düsterste Vermutungen wieder einmal bestätigt

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So finden 35 Prozent der Österreicher Rassentrennung gar nicht so übel, vor allem in jenen Jahrgängen, die die Rassentrennung erlebt haben. 64 Prozent halten Gastarbeiter für unehrlich, 72 Prozent verabscheuen Gammler und alles, was sie dafür halten, 81 Prozent wollen die Prügelstrafe für Sexualverbrecher (was bedeutet, daß sie prinzipiell nichts gegen die Prügelstrafe haben).

Die Neigung zu Vorurteilen ist, dieser Untersuchung zufolge, vor allem vom Alter und von der politischen Einstellung abhängig. Obwohl sie vorwiegend von Wissenschaftlern durchgeführt wurde, die der gegenwärtigen Regierungspartei nahestehen, scheint Wunschdenken bei der Forschung und bei der Formulierung der Schlußfolgerungen keine Rolle gespielt zu haben. Denn es wird off en zugegeben, daß Anhänger der SPÖ zwar weniger zum Antisemitismus neigen als Anhänger aller anderen Parteien, eingeschlossen die KP, und daß sie auch die Rassentrennung weniger sympathisch finden, daß sich hingegen SPÖ-Nahestehende hinsichtlich der Abneigung gegen Gastarbeiter und Gammler kaum vom Rest der Bevölkerung unterscheiden.

Positivstes Ergebnis dieser Untersuchung: Es geht klar aus ihr hervor, daß Vorurteile durch bewußte Einwirkung abgebaut werden können. Einige Jahrzehnte intensiver politischer Beeinflussung, im konservativen Lager für, in der Sozialdemokratie gegen den Antisemitismus, führten dazu, daß in Österreich ein für antisemitische Parolen empfängliches, christlichsoziales Kleinbürgertum und eine wesentlich widerstandsfähigere Arbeiterschaft entstand.

Seit sich die SPÖ für die weltanschauliche Erziehung ihrer Anhänger kaum mehr interessiert, schiafft auch der Sozialist wieder ab, er tradiert weiterhin seine Abneigung gegen den Antisemitismus, verfällt aber gegenüber Gastarbeitern, Gammlern, Negern (und so weiter) in die alte in Aggression (in Österreich vorwiegend verklemmte und nicht zugegebene), umschlagende Angst vor dem Fremden zurück.

Mit anderen Worten: Anders erzogen, anders beeinflußt, könnte Österreich vielleicht wirklich ein zukunftsreiches Land werden.

Oder dies wenigstem schneller, denn, zweitpositivstes Ergebnis dieser Untersuchung: Die Dinge bessern sich scheinbar auch von selbst. Oder wenigstens einige Dinge. Der Österreicher ist um so voller der Vorurteile, je älter er ist. Bei den Dreißigjährigen ist ein Bruch feststellbar: Was jünger ist, ist deutlich vorurteilsfreier. Die Jüngeren haben weniger gegen Gastarbeiter und Gammler und finden auch ein ganz klein wenig weniger Gefallen an der Prügelstrafe für Sittenstrolche.

Oder, und diese Frage kann noch niemand beantworten, werden auch den heute jungen Menschen im Laufe ihres Lebens Vorurteile nachwachsen? Hier vor allem müßten künftige Forschungen ansetzen.

Düsterste Feststellung der Untersuchung: Der österreichische Antisemitismus oder das, was man gern abwiegelnd als seine „Restbestände“ bezeichnet, ist bei der Jugend um nichts weniger stark als bei den Alten, während die politische Einstellung auch natürlich hier eine große Rolle spielt.

27 Prozent der Österreicher glauben an eine historische Schuld der Juden an ihrer eigenen Verfolgung.

14 Prozent von 1330 Befragten fanden es zutreffend, 26 Prozent wenigstens zum Teil, daß es für einen Nichtjuden beim Händeschütteln mit einem Juden oft schwer sei, einen gewissen körperlichen Widerwillen zu unterdrücken.

Apropos Restbestände: Die „New York Times“ zitierten aus solchen Fakten. Ein bekannter Funktionär der österreichischen Fremdenverkehrswerbung erklärte in einer Diskussion, wie „solche Dinge“ in ausländische Zeitungen kommen: Dadurch, daß man versäumt habe, dem oder jenem Journalisten anläßlich eines Österreichbesuches zwei Flaschen Whisky ins Hotelzimmer zu stellen.

Solcher Beispiele könnte man viele anführen. Und prominentere. Sie sind Indizien für einen nun mit Zahlen belegten Umstand: Daß der Antisemitismus in Österreich lediglich kraft Dekretes ausgestorben ist, nicht aber in Wirklichkeit. Österreich, das Land der Hämmer, zukunftsreich, ist irgendwann in seiner emotionellen Entwicklung steckengeblieben, hat Schaden an seiner Seele genommen, dies freilich in einer Welt, in der solches nicht mehr auffällt. Der Österreicher des Jahres 1970 nimmt dem Antisemitismus gegenüber eine ähnliche Haltung ein wie der Ostmärker des Jahres 1940: Er will nicht wissen. (So viele wollen nicht wissen.)

Er nahm zur Kenntnis, daß die Judensterne immer seltener wurden,

als Erklärung genügte ihm die Feststellung, die Juden seien „in den Osten“ abtransportiert worden. Eine Erschießung an der nächsten Ecke hätte ihn denn doch gestört. Genaueres wollte er nicht wissen, weil er Genaueres ahnte. Er war für Humanität, aber die Humanität, die er unbewußt meinte, war die Humanität des Schlachthofes, die darin besteht, Fleischessern den Anblick des Schlachtern zu ersparen. Er wollte niemandem etwas zuleide tun, jedenfalls nicht persönlich, und er wollte vor allem nicht, daß „diese Dinge“ in seinem Namen geschahen.

Als 1945 der große Konsensus des Nichtwissens durchbrochen wurde, war der große Schock des Jahres 1945 für große Teile des deutschen und des Österreichischen Volkes weniger ein Erschrecken darüber, was geschehen war, als darüber, daß man gezwungen wurde, es zu erfahren. Man war zufrieden, wenn einem der Beweis gelang, man habe nichts gewußt. Es war nicht der Zusammenbruch einer Welt, sondern nur der Einsturz einer Fassade, deren Wiedererrichtung, erst provisorisch, dann immer endgültiger, alsbald in Angriff genommen wurde. Zum Nachholbedarf an Kalorien und Textilien gesellte sich ein gewaltiger Bedarf an Entschuldigungen und Alibis, und der große Wunsch, zu verdrängen und zu vergessen.

So wurde die Stunde der Wahrheit zum Ausgangspunkt einer neuen Gegenaufklärung. Die Bilanz — siehe oben. Ein Volk, das seinen verklemmten Antisemitismus mit dem Satz „I hab eh nix gegen die Juden“ verrät und um so offener und ungenierter gegen Fremdarbeiter, dunkelhäutige Studenten, Gammler und „Tschuschen“ wettert.

Ihr dunkler Teint ist in Nachfolge der „jüdischen Nase“ das neue Objekt einer in Anbetracht der wirtschaftlichen Prosperität zum Glück bis auf weiteres verhemmten und verklemmten Aggression.

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