Wenn in Reservaten Gold gefunden wird

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Jenseits des zur Zeit viel diskutierten islamischen Antisemitismus gibt es nach wie vor auch einen westlichen, "antikapitalistisch" grundierten Antisemitismus. Aber woraus speist sich dieser eigentlich? Eine historische Spurensuche scheint dringend geboten.

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Jenseits des zur Zeit viel diskutierten islamischen Antisemitismus gibt es nach wie vor auch einen westlichen, "antikapitalistisch" grundierten Antisemitismus. Aber woraus speist sich dieser eigentlich? Eine historische Spurensuche scheint dringend geboten.

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Antisemitismus hat eine uralte Tradition. Schon in den Evangelien wird die Schuld am Tode Jesu den Juden zugerechnet, nicht den Römern. Dass jede neue Religion danach trachten musste, mit der Macht des römischen Reiches nicht mehr in Konflikt zu geraten als absolut unvermeidlich, könnte bei dieser Darstellung durchaus eine Rolle gespielt haben.

Aber das interessiert höchstens noch einige Theologen und Althistoriker. Wichtiger ist der aktuelle Antisemitismus in Europa. Die gängigen Reaktionen darauf sind regelmäßig Empörung, Verweis auf den Holocaust, die Beschwörung eines "Nie wieder" und Vorwürfe an junge Rechte, die gerne betonen, dass sie selbst keine Schuld am Holocaust trifft -und nur eben weniger genau wissen, dass auch sie noch Verantwortung trifft. Aber Niederhalten durch Tabuisierung und Berufung auf political correctness hat bisher nichts gebracht. Ändern wird sich höchstens dann etwas, wenn etwas mehr an Wissen um die Ursachen ins allgemeine Bewusstsein gerückt ist.

Dass das Thema heikel ist, bedarf keiner weiteren Begründung. Trotzdem, oder gerade deswegen wäre Ursachenforschung vielleicht doch ein wenig hilfreich.

Tüchtiger Sanierer

Lassen wir den islamischen Antisemitismus einmal beiseite. Der hat andere Ursachen. Der hiesige ist schlimm genug. Und das war er schon im Mittelalter. Nur braucht und kann man das nicht allein der Kirche in die Schuhe schieben. Vielmehr war es so, dass die Landesfürsten die religiöse Diskriminierung der Juden ganz gut für ihre eigenen Zwecke auszunutzen verstanden. Sie statteten gerne Juden mit Monopolen aus, die diese gut verdienen ließen, und besteuerten sie dann umso härter. Beispielsweise Joseph Süßkind Oppenheimer, der als "Jud Süß" von den Nazis zum Prototyp eines habgierigen Bösewichts hochstilisiert worden ist: dieser war in Wirklichkeit eines württembergischen Herzogs tüchtiger Finanzberater, dem trotz der Verschwendungssucht seines Herzogs eine Sanierung des Staatshaushaltes gelang. Dazu besteuerte er unter anderem Beamtengehälter -was allein schon seine Beliebtheit unter Null drückte - und verkaufte Handelsmonopole für Salz und Leder. Selber pachtete er die Staatslotterie und sicherte sich ein Monopol auf das sogenannte Kanzleipapier. Wer Eingaben an die fürstliche Kanzlei machen wollte, der musste dieses Papier verwenden -und teuer dafür bezahlen. Aber der größte Teil des Ertrags ging als Steuer an den Herzog. Dem Papierverkäufer blieb wenig vom Umsatz, aber der ganze Hass der Käufer.

Oppenheimer wurde dann auch nach einer Farce von Prozess rasch gehängt, nachdem der ihn schützende Fürst gestorben war. Aber die Methode, das eigene Volk nicht direkt auszubeuten, sondern über Juden ausbeuten zu lassen und dann diese auszubeuten, hatten auch schon vorher manche Fürsten praktiziert. Deshalb lässt sich historisch sogar ein gewisser zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Ausmaß der Fürstenmacht und den immer wieder stattfindenden Pogromen ausmachen. Je stärker die Fürsten, desto weniger Pogrome -und umgekehrt.

Zur in Europa überall gängigen Diskriminierung der Juden hat auch der Ausschluss von den sogenannten ehrlichen Handwerken und damit vom Zunftwesen gehört. Den Juden blieben der Handel und die aus christlicher Sicht bedenklichen Geld-und Wuchergeschäfte.

Erfolgsfaktor Kapital

Nur genau damit begann in der historischen Phase der Industrialisierung ab dem 18. Jahrhundert ihr enormer Aufstieg im Wirtschaftsleben -und ihr weiterer Abstieg in der Gunst der Zeitgenossen. Die Industrialisierung hat jede Menge an Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft mit sich gebracht. Eine davon war die Verdrängung des früher so entscheidenden Produktionsfaktors handwerklichen Fachwissens durch neue maschinelle Produktionsmethoden, die nur mit viel Kapital installiert werden konnten -und zwar mit mehr Kapital, als die meisten traditionellen Handwerksbetriebe aufbringen konnten. Das Zunftwesen ist untergegangen (1869 wurden in Österreich die alten Zünfte sogar gesetzlich beseitigt) - und mit ihnen wertvolles Wissen, viele Betriebe und zahllose menschliche Existenzen. Und diese haben die Schuld an ihrem Untergang nicht zuletzt bei denen gesucht, die die Modernisierung finanziert haben: bei den jüdischen Bankiers und Börsehändlern. Will man einen simplen, aber dafür drastischen Vergleich heranziehen, dann könnte man die Stellung der Juden im damaligen Europa mit der einer Randgruppe vergleichen, die wirtschaftlich (und was die Ghettos betrifft, auch durchaus real) in eigene Reservate abgedrängt wird, in denen dann aber Gold gefunden wird - was zumindest zu Neid und Missgunst führt

Manche Politiker, wie etwa der sonst durchaus tüchtige Modernisierer und Wiener Bürgermeister Karl Lueger, haben den daraus erwachsenden Antisemitismus bewusst gefördert und noch verschärft, um ihn politisch für sich auszunützen. Kaiser Franz Joseph hat sich lange gewehrt, Lueger zum Bürgermeister zu ernennen. Die Habsburger waren ab Joseph II. in religiösen und rassischen Angelegenheiten immer tolerant und weltoffen. So merkwürdig das auch klingen mag: Der Untergang der Monarchie war der Beginn des Untergangs des mitteleuropäischen Judentums.

Aber was sich in Wien abgespielt hat, hat es in ähnlicher Form in ganz Europa gegeben. Populistische Politiker haben die Aversionen gegen die Juden zugleich genutzt und verschärft. In Deutschland und in Österreich hat der Antisemitismus zu furchtbaren Konsequenzen geführt, als mentale Haltung war und ist er weit verbreitet.

Geschickt gesteuerter Hass

Will man wirklich etwas gegen Antisemitismus tun, dann genügt es nicht, sich bewusst zu sein, dass sechs Millionen Juden ermordet worden sind. Es ist bedeutend wichtiger ins allgemeine Bewusstsein zu rücken, dass sechs Millionen Mitbürger zuerst ihrer Einkommen, dann ihrer Vermögen, dann ihrer Würde und zuletzt ihres Lebens beraubt worden sind, die stets um Integration bemüht waren (nur eben nicht um Assimilation, aber diese kleine Unterscheidung scheint kaum mehr zu interessieren), die bzw. deren Vorfahren über Jahrhunderte auf oft recht "schlaue" Weise diskriminiert worden sind, und auf die sich der allgemeine und vielfach geschickt gesteuerte Hass gerichtet hat, weil im Zuge der fundamentalen Umwälzungen der Wirtschaft ein kleiner Teil von ihnen auf der glücklicheren Seite der Geschichte gestanden ist.

| Der Autor ist Gesellschafter einer Vermögensverwaltungsgesellschaft und als Publizist tätig |

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