Quo vadis, felix Austria?

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Wir alle werden für die neue Bundesregierung bezahlen, meint der Schriftsteller Ivan Ivanji.

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Wir alle werden für die neue Bundesregierung bezahlen, meint der Schriftsteller Ivan Ivanji.

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Liebe ich Österreich? Darf ich, dem erst vor vier Jahren die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen wurde, diese Frage überhaupt stellen? Mir gefiel, wie sich der deutsche Bundespräsident Heinemann einmal abfällig über Patriotismus äußerte und als ein Journalist entsetzt fragte: "Ja, lieben Sie Deutschland nicht?", antwortete das Staatsoberhaupt schroff: "Nein, ich liebe meine Frau!"

Lebe ich gerne in Österreich? Oh, ja! Das mag genetisch bedingt sein. Kakanien hat man entweder im Blut oder man weiß nicht, was das ist. Aber ist das eine Vorbedingung um Österreicher zu sein, kein Fremder?

Wer ist Österreicher? Wenn man das Telefonbuch konsultiert, verraten die Nachnamen, daß die Mehrzahl der Bürger böhmischer, slowakischer, slowenischer, kroatischer, serbischer, polnischer, ungarischer oder italienischer Herkunft ist. Ein wohlklingender deutscher Name weist entweder auf einen Juden hin, oder ... Auf was? Einen Deutschösterreicher? Was ist das? Warum dann nicht lieber gleich ein Deutscher? Aber der käme in gefährliche Nähe eines Piefke und könnte, fürchte ich, Ostmark statt Österreich sagen.

Erkennt man den Österreicher daran, daß er Erdäpfel statt Kartoffel, Kukuruz statt Mais, Paradeiser statt Tomaten, Angelobung statt Vereidigung sagt, und, wenn er alt genug ist, weiß was ein Stanitzel ist? Dann bin ich einer. Die Vorgeschichte erzähle ich nur, um zu erklären, wieso ich mir einbilde über die neue österreichische Regierung etwas nicht nur sagen zu dürfen sondern sogar schreiben zu sollen.

Meine Cousine aus Israel fragte besorgt, was da los sei, erinnerte mich daran, daß ich jederzeit dorthin auswandern könne. Bisher haben mich israelische Freunde beneidet, weil ich hier bin, sogar gewarnt: "Viele glauben, das Land hier sei ein Kaffeehaus mit Wiener Juden. Ist es aber nicht, hier ist Afrika!"

Wo liegt Österreich? Früher hieß es, der Balkan beginnt beim Südbahnhof. Hat er sich nach Westen ausgebreitet? Gar bis nach Vorarlberg?

Ausgerechnet dieses "afrikanische Land" hat als erstes seinen Botschafter aus Österreich abgezogen. Dazu muß ich sagen, mir hat in Israel mißfallen, daß ich mich dort zum Herrenvolk zugehörig fühlte. Auf einem Strand, wo Ausländer in der Mehrzahl waren, stellte der Bademeister, der wie ein Mossad-Offizier in einem amerikanischen Film aussah und es möglicherweise war, als er mir die Liegestühle und den Sonnenschirm aushändigte, fest: "Du bist Jude!" Zufrieden und auf den ersten Blick. Meine Frau nahm die Sonnenbrille ab und lispelte: "Und ich?" Ohne zu zögern und mit aufrichtigem Bedauern sagte der gute Mann: "Leider nein!"

Man erkennt in Israel den "Dazugehörigen" auf den ersten Blick, in Österreich, wenn es kein Schwarzer und keine Türkin mit Kopftuch ist, nicht unbedingt. Ist Jörg Haider ein germanischer Typus? Aber fremd aussehen und nicht gut, wenn möglich, mit österreichischem Akzent Deutsch zu sprechen, ist nicht bequem.

Ich habe nichts Böses selbst erlebt, erstens, weil ich ohne nachzudenken und mich anzustrengen, Erdäpfel und Paradeiser sage, zweitens vielleicht, weil ich hauptsächlich mit Menschen verkehre, die ohnehin mehr oder weniger so denken, wie ich. Aber mein Computertechniker, ein Serbe, der als Kind vor fast dreißig Jahren nach Wien gekommen ist und längst eine eigene gutgehende Firma hat, sich leisten kann, eine Yacht nach eigenen Plänen für seine Segelfahrten in der Ägäis bauen zu lassen, beklagte sich und fragte, ob es nicht schrecklich sei, stets als Fremder zu gelten? Ich sagte, mir falle das nicht auf, als Jude sei man ohnehin überall ein Fremder, ich als Anationaler sogar in Israel. Mein türkischer Gemüsehändler, erzählte mir, ein Nachbar, ein Greißler, der pleite gegangen ist, habe ihn beschimpft: "Jetzt ist der Haider da, jetzt werden wir euch Ausländer endlich verjagen!" Andere Beispiele habe ich auch, aber sie würden hier den Rahmen sprengen.

WAS HABEN DIE DOKTOREN SCHÜSSEL UND HAIDER UNTERSCHRIEBEN?

Im Laufe der Vorgespräche war Jörg Haider zweimal unrasiert und ohne Krawatte beim Bundespräsidenten. Er scheint sonst genau zu bedenken, für welche Angelegenheit er sich wie in Schale wirft. Bin ich altmodisch, wenn ich meine, daß er damit nicht zu Thomas Klestil unhöflich war, sondern zu Österreich?

Ich glaube, ein Bild sollte man sich einprägen: Wie ein Schulmeister, der mit ungezogenen Schülern unzufrieden ist, beobachtet Bundespräsident Klestil, wie die Doktoren Wolfgang Schüssel und Jörg Haider ihre Namen unter einen Text setzen, der so selbstverständlich klingt, als müßten sie mit ihren Unterschriften besiegeln, daß die Sonne im Osten auf- und im Westen untergeht. Wenn so hochrangige Persönlichkeiten etwas unterzeichnen, steht meist jemand vom Protokoll hinter ihnen und nimmt das Dokument ab, hier aber mußten die beiden Herren sogar das Löschpapier eigenhändig betätigen. Und sich vor ihrem Volk in einem unterirdischen Gang verbergen.

Bundespräsident Klestil hat gesagt, daß er die neue Regierung schädlich für Österreich hält, nur von der Sachlage gezwungen war, sie hinzunehmen. Hat er an einen deutschen Präsidenten namens Hindenburg gedacht, der einen Mann als Reichskanzler akzeptieren mußte, den er als "böhmischen Gefreiten" verhöhnte?

Natürlich ist die Sachlage heute anders, ganz anders. Der Braunauer, der kein Böhme war, ist nach Deutschland gegangen um politische Karriere zu machen. Als man fragte, wie es gelungen sei, daß alle Welt glaube, Beethoven sei Österreicher und Hitler Deutscher, nicht umgekehrt, war es, glaube ich, Ex-Kanzler Franz Vranitzky, der antwortete: "Bei uns war er Anstreicher, bei euch ist er Reichskanzler geworden ..."

Nicht nur Klestil, auch andere glauben, es wäre gefährlich gewesen, den Nationalrat aufzulösen und Neuwahlen auszuschreiben, weil die Freiheitlichen womöglich die absolute Mehrheit gewonnen hätten. Ich glaube nicht, daß Neuwahlen falsch gewesen wären, ich hoffe sogar, bald werden wir wieder wählen. Falls die Österreicher Haider dann zum Chef der stärksten Partei machen, oder die Freiheitlichen sogar die absolute Mehrheit erringen, wissen wir wenigstens genau, was das Volk will. Adolf Hitlers NSDAP hat die Mehrheit mit demokratischen Wahlen gewonnen. Slobodan Milosevi'c auch.

Es ist eine Selbstverständlichkeit, aber so wie Schüssel und Haider erklärt haben, daß sie keine Antisemiten sind, muß ich hier die Binsenwahrheit betonen, daß Haider kein Milosevi'c und schon gar kein Hitler ist. Haider ist Haider, Schüssel sein Steigbügelhalter, und das ist schlimm genug. Daß die Frau Vizekanzlerin aus Braunau stammt, die Frau Außenministerin mit Vorname Benita heißt, ist Zufall.

Wenn jemand vom Präsidenten Frankreichs sagt, er habe alles falsch gemacht, was man falsch machen könne, die Regierung Belgiens in Zusammenhang mit Kinderschändern bringt, darf er sich nicht wundern, wenn man mit ihm und seinen Freunden nichts zu tun haben will. Das werden nicht der neue Bundeskanzler und der Kärntner Landeshauptmann bezahlen, höchstens werden sie mit Einreiseverboten in verschiedenen Ländern konfrontiert sein, (und hier fällt mir, Gott helfe mir, ich kann nicht anders, wieder Slobodan Milosevi'c ein), bezahlen werden die österreichische Wirtschaft, der Fremdenverkehr, die Nahrungsmittelindustrie und ihre Produzenten, die Bauern, die Österreicher, die deshalb arbeitslos werden. Aber sie, das heißt, wir, wir sind doch alle verantwortlich für unsere Regierung in einem demokratischen Land, nicht wahr?

Wasserwerfer auf den Wiener Prachtstraßen, demolierte Polizeifahrzeuge. Demnächst wollen die Ordnungshüter härter durchgreifen. Tränengas, Gummigeschosse? Kenne ich sowohl aus Serbien, als auch aus Israel. Randalierer werden Terroristen genannt, soll man sie vorbeugend einsperren? Stehen wir vor Streiks, sobald die Opfer der Wende die Folgen dieses Regierungswechsels erkennen?

Bedrückt, aber, ich muß zugeben, auch neugierig, stelle ich die Frage: Quo vadis, felix Austria?

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