Ground Zero wird tiefer

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Zwei Jahre Krieg gegen den Terror haben die Welt nicht sicherer gemacht. Afghanistan, Irak, Israel ...: Die Attentäter vom 11. September hätten ihre Freude an der Fortsetzung ihres Werkes .

Macht keine Dummheiten, während ich tot bin", schrieb Theodor Herzl, 1904, kurz vor seinem Tod, in einem Brief an seinen Nachfolger. Und auch wenn der Begründer des modernen Zionismus diese Mahnung nicht ganz ernst gemeint hat, dass sie einmal so wenig ernst genommen wird wie heute, damit hat Herzl wohl in seinen schlimmsten Befürchtungen nicht gerechnet. Über die größte Dummheit, die Israel begehen kann, wusste Herzl Bescheid. Sein Mitarbeiter hatte ihm eines Tages eine Entdeckung mitgeteilt: "Mensch, in Palästina gibt es Araber! Das hab ich gar nicht gewusst."

Dieses Wissen ist heute erneut verschüttet. Unter den Trümmern der von der israelischer Artillerie zusammengeschossenen Palästinenserdörfer, unter den Blechhaufen der von palästinensischen Selbstmordattentätern in die Luft gesprengten israelischen Autobusse. Genau zehn Jahre nach dem Handschlag zwischen Itzhak Rabin und Jassir Arafat gibt es keine palästinensische Akzeptanz für die Israelis in Israel mehr. Gleichzeitig ist das israelische Wissen um die Existenzberechtigung der Palästinenser in Palästina vergessen. Die einzige "Road Map" die noch gilt ist ein Terrorplan auf der einen und ein Terrorbekämpfungsplan auf der anderen Seite.

Aber was meint Israels Premier Ariel Scharon, wenn er davon spricht, die "Infrastruktur" des Terrors zu zerstören? Es gehe doch nicht um die Garage, wo die Eigenbaugranaten gebastelt werden, widerspricht dem Premier unter anderem der israelische Schriftsteller Amos Elon. Die wahre Infrastruktur sei viel gefährlicher, so Elon, und bestehe aus zwei Elementen: der Bereitschaft verbitterter junger Männer und Frauen, sich selbst in die Luft zu sprengen und der religiösen und politischen Kultur in arabischen Staaten, wo Selbstmordattentäter als Märtyrer gefeiert werden.

Doch dieser und anderer Widerspruch gilt nicht. Und seit dem 11. September vor zwei Jahren schon gar nicht mehr. Und dieser und anderer Widerspruch gilt nicht nur in Israel nicht, sondern auf der ganzen Welt. Denn die Devise der amerikanischen Militärstrategen seit dem 11. September lautet: "Von Israel lernen!" Gegen den neuen "asymmetrischen Feind" braucht es neue Waffen, neue Kräfte und neue Taktik. Und obwohl die israelische Strategie gescheitert ist und mit jedem Selbstmordattentat noch mehr scheitert, haben sich die USA auf diese Kriegsführung eingeschworen.

Die Asymmetrie beschränkt sich dabei nicht nur auf die Terroristen, sondern gilt auch für den Rest der Welt. "Einige Länder werden angesichts des Terrors ängstlich reagieren. Aber niemand darf sich täuschen", stellte Präsident George W. Bush in seiner letztjährigen Rede zur Lage der US-Nation unmissverständlich klar: "Wenn sie nicht handeln, wird Amerika es tun." Und dieses Handeln hat die Welt unsicherer gemacht, als sie zuvor schon war. Das Resümee nach zwei Jahren Krieg gegen den Terror ist verheerend: Von einer Befriedung Afghanistans kann keine Rede sein, und die vielbejubelte Befreiung der afghanischen Frauen beschränkt sich auf die Hauptstraßen in Kabul. Osama Bin Laden hingegen schafft es auch ohne Satellitentelefon sein El-Kaida-Netzwerk zu leiten.

Im Irak wiederum werden nach dem offiziellen Kriegsende pro Tag 15 bis 20 tödliche Attacken auf die Besatzungssoldaten ausgeübt. Die irakischen Autoritäten blockieren sich gegenseitig oder sprengen ungeliebte Konkurrenten mit Hilfe von Autobomben in die Luft.

Währenddessen vegetieren in Guantanamo hunderte Käfigmenschen dahin, für deren Inhaftierung die USA bereit sind, alle Prinzipien des Rechtsstaates über Bord zu werfen.

Mit der Präventivschlag-Doktrin und der Desavouierung der UNO im Vorfeld des Irak-Krieges ist es den USA zudem gelungen das Völkerrecht ad absurdum zu führen. Die Rechnung dafür bekommen sie und alle anderen vom nordkoreanischen Diktator präsentiert, der sich jetzt noch weniger als zuvor an internationale Verträge gebunden fühlt.

"Macht keine Dummheiten!" Genausowenig wie der Herzl-Wunsch in Israel beachtet wird, gilt er in Washington und in den anderen Kommandostellen im Krieg gegen den Terror. So lange, bis die Welt ein zweites Palästina wird.

wolfgang. machreich@furche.at

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