Weltweite Ideenleere

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Allen düsteren Aussichten zum Trotz: Eine Lösung des Nahost-Konflikts ist dringlicher denn je. Sonst bleibt jede Rede von der Terrorbekämpfung nichts als Geschwätz.

Die Situation sei extrem kritisch und gefährlich: "Kurzfristig ist kein Friede in Sicht." Die Lage sei durch Gewalt auf beiden Seiten gekennzeichnet. Solch dürre Einschätzung der Lage in Nahost, wie durch die prominente palästinensische Politikerin Hanan Ashrawi vor wenigen Tagen in Wien, bringt die politische Ratlosigkeit auf den Punkt, die - in Bezug auf den Nahostkonflikt - weltweit grassiert. Im Dezember noch sollte das so genannte "Nahost-Quartett" aus EU, UNO, USA und Russland eigentlich einen neuen Friedensplan (den wievielten der letzten Jahre?) vorstellen. Ebenso dürr klingt die Mitteilung, man wolle damit nun bis nach den israelischen Wahlen am 28. Jänner warten.

Derweil dreht sich die Spirale der Gewalt weiter und weiter: Die Selbstmordattentate versetzen Israel immer mehr in Angst und Schrecken, mit den Anschlägen von Mombasa in Kenia sind Israelis nun auch außerhalb ihres Landes zur Zielscheibe selbstmörderischer Anschläge geworden. Im Westjordanland und im Gazastreifen wehrt sich Israels Armee weiter mit militärischer Gewalt.

Keine gute Zeit für Friedensapostel, denn die Eskalation sät nur Hass: Jeder tote Palästinenser gebiert in der kollektiven Psychose von Gewalt und Gegengewalt weitere Selbstmörder. Und die Angst in und um Israel ist ebenfalls kein Ratgeber für den Frieden: Auch Österreicher, die Verwandte oder Freunde in Israel haben, durchforsten nach jedem neuen Selbstmordanschlag angstvoll die Internetseiten, auf denen die Namen der jüngsten Toten veröffentlicht werden. Und um die Opfer, die weder der einen noch der anderen Seite "zuzurechnen" sind, wird es sowieso schnell still: Keine Lobby der Weltöffentlichkeit beklagt etwa die kenianischen Tänzer, die von der Autobombe in Mombasa mit in den Tod gerissen wurden...

Einmal mehr zeigen die Ereignisse der letzten Tage, zu denen - ebenfalls in Kenia - auch ein Raketenangriff auf ein israelisches Passagierflugzeug gehört: Terrorismus ist weltweit zur erstrangigen Bedrohung geworden, und es ist davon auszugehen, dass keine Weltgegend und keine Bevölkerung mehr sicher ist. Terrorbekämpfung steht daher ganz oben auf der Agenda der Weltpolitik.

Anschläge wie die von Mombasa, hinter denen El Kaida oder andere Netzwerke stecken mögen, sind zwar nicht monokausal zu erklären: Weder der Islamismus, noch die riesige Kluft zwischen Nord und Süd, noch das Versagen staatlicher Politik gerade in der arabischen Welt oder andere Erklärungsmuster können allein für die Eskalation verantwortlich gemacht werden. Dennoch gibt es kaum einen Zweifel daran, dass in den Nahostkonflikt Bewegung kommen muss: Echte Schritte zur Befriedung dieser Region sind eine notwendige, wenn auch nicht hinreichende Bedingung, um der globalen Bedrohung durch den Terrorismus Herr zu werden.

Die Toten in Israel und Palästina, aber auch die kenianischen Toten von Mombasa - "Kollateralschäden" eines politische Motive vorschiebenden Terrorismus - sowie die globalen Anschlagsängste, die keine Fantasien mehr sind: All das wären Argumente genug für den/die weltpolitischen Player, sich auf die Lösung des Nahostproblems zu stürzen.

Skandal ersten Ranges

In den letzten Wochen und Monaten ist die Weltpolitik jedoch vor allem damit beschäftigt, sich mit einem Krieg gegen den von Saddam Hussein beherrschten Irak auseinanderzusetzen. Andere Konfliktherde, zu deren Befriedung das internationale Engagement ebenso dringlich wäre (zum Beispiel: Afghanistan), geraten aus dem Blick.

Das alles wird erst recht dramatisch in Bezug auf die Ideenleere beim Nahostkonflikt: Wie viel Propaganda verwendet die Bush-Administration darauf, den Krieg mit dem Irak herbeizureden? Und wieviel Argumente gibt es in der Öffentlichkeit - von Europa bis in die USA selbst, die gegen diese Option halten?

Würden George W. Bush und die Seinen ebenso viel Wort- und Ideen-Kreativität samt dem entsprechenden politischen Druck auf die Konfliktparteien in Palästina und Israel verwenden, so müsste sich in Nahost einiges bewegen lassen. Und wäre eine europäische Initiative, die auch vom ureigenen Interesse Europas im Kampf gegen den Terror geleitet wäre, nicht gleichfalls dringlich?

Im Falle des Irak zeigt Amerika, was es kann, wenn es nur will. Und Europa kann sich dabei - wenigstens teilweise - konstruktiv artikulieren.

Die zitierten dürren Analysen, im Israel-Palästina-Konflikt sei kurzfristig keine Lösung zu erwarten, und das Quartett EU-UNO-USA-Russland könne in Sachen Nahost vor Ende Jänner nichts Neues vorlegen, sind - für die internationale Gemeinschaft ebenso wie für alle, die sich als Weltpolizisten fühlen - ein Skandal ersten Ranges. Die Opfer in Israel, Palästina oder zuletzt: Mombasa schreien zum Himmel.

otto.friedrich@furche.at

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