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Der goldene Schlüssel des Schuman-Planes

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Im Rahmen der Pariser Konferenz über den Schuman-Plan wurde von einem vornehmen französischen Sprecher geäußert, nie zuvor sei es in der GMchichte geschehen — so wie in der Übereinstimmung zwischen Minister Schuman und auf der anderen Seite Dr. Adenauer, daß zwei Staaten sich gewillt gezeigt oder auch nur in Erwägung gezogen hätten, einen Teil ihrer Souveränität an einen unabhängigen übernationalen Organismus zu übertragen.

Gerade weil diese angebliche Erstmaligkeit von den offenen und stillen Gegnern des Schuman-Planes als eine Art Warnung vor dem Unternehmen gebraucht wird, ist es wichtig, festzustellen, daß schon ein staatsrechtlicher Präzedenzfall vorliegt.

Der erste ist in den Friedensverträgen von 1919/20 enthalten durch die Bestimmung, daß der gesamte Fragenkomplex des Minderheitenschutzes aus dem Bereiche der Souveränität jedes vertragschließenden Staates herausgehoben und in die Kompetenz des internationalen Rechts verwiesen werde. Als oberster Hüter und Wahrer der Minderheiten-rechte wurde der Völkerbund bestellt. Der Friedensvertrag von St.-Germain regelt zum Beispiel im Abschnitt V, Artikel 62—69, die von Österreich seinen Minderheiten gegenüber zu beobachtende Haltung. Dieser Abschnitt hat alle Änderungen der österreichischen Verfassung überdauert, und bildet auch heute noch einen Teil der Bundesverfassung, obwohl der Völkerbund mittlerweile aufgehört hat, zu bestehen. Nach Aufzählung der den Minderheiten zustehenden Rechte sagt also demzufolge die österreichische Verfassung: „Diese Bestimmungen stellen Verpflichtungen von internationalem Interesse dar und werden unter die Garantie des Völkerbundes gestellt. Im Falle einer Verletzung oder der Gefahr einer solchen hat jedes Ratsmitglied des Völkerbundes das Recht, dies dem Rate vorzutragen, der dann in geeigneter und wirksamer Weise vorzugehen hat.“

Weiter heißt es: „Im Falle einer Meinungsverschiedenheit oder eines Streites gehört die Frage vor den Ständigen Internationalen Gerichtshof, da sie als ein Streitfall anzusehen ist, dem nach 14 der Völkerbundssatzung internationaler Charakter zukommt.“ Damit wurde eine Frage, die früher trotz aller zwischenstaatlichen Minoritätsvereinbarungen seit dem Westfälischen Frieden vom Jahre 1648 immer nur als eine aus-schließlich interne Angelegenheit der ein zelnen Staaten angesehen wurde, znm Anlaß genommen, die Souveränität der Vertragspartner, eben kraft ihrer Souveränität, zu beschneiden.

Und da der Völkerbund, dieses über staatliche Gebilde, in das sich seine Mitglieder auf Grund ihrer souveränen Entschließungen freiwillig gefügt haben, nur eine moralische Kraft gehabt h a t, die Mitglieder zur Befolgung seiner Verfügungen zu bewegen, liegt das Wesen dieser freiwilligen Unterwerfung eben in der souveränen Beschränkung der eigenen Souveränität, wodurch dem Fragenkomplex des Minderheitenschutzes internationaler Charakter zuerkannt wurde.

Die Berufungsinstanz gegen eine Entscheidung des Völkerbundes war der Internationale Gerichtshof im Haag. Es ist noch unentschieden, vor welches Forum die Berufungen gegen die Entscheidungen der geplanten hohen internationalen Wirtschaftsbehörde gehören werden. Mehrere Wege stehen dafür offen: vielleicht schafft man ein eigenes internationales Schiedsgericht aus hervorragenden wirtschaftlichen und juristischen Fachleuten aller Teilnehmerstaaten am Schuman-Plan, oder es wird der Haager Internationale Gerichtshof zu diesem Zwecke herangezogen. Wie immer, die Hauptsache bleibt, daß sich alle Mitgliedsstaaten unbedingt den Schiedssprüchen dieser Berufungsbehörde unterwerfen, und dadurch der auf Grund ihrer Souveränität erfolgten Beschränkung ihrer Souveränität stets neuen Ausdruck geben. Das Zustandekommen der freiwilligen Souveränitätsbeschränkung innerhalb des Schuman-Planes ist der goldene Schlüssel. Ohne ihn ist der kostbare Schatz, den die Einigung Europas bedeuten muß, nicht zu heben.

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