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Diplomatie um den Völkerbund

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DIE DIPLOMATISCHE VORGESCHICHTE DES BEITRITTES DEUTSCHLANDS ZUM VÖLKERBUND 1&24- 1U26. Von Jürgen s p e n z. Ein Beitrag aur Außenpolitik der Weimarer

Republik. Musterschmidt-Verlag, Göttingen, 1966. 816 Seiten. DM 35.—.

In den bisherigen Arbeiten zur Geschichte der Außenpolitik der Weimarer Republik konnte die Frage des Beitritts Deutschlands zum Völkerbund nur in größeren Zusammenhängen behandelt werden. So taten dies Anneliese Thimme in ihren grundlegenden Untersuchungen zur Politik Stresemanns und Theodor Schieder in seinem Werk über den Rapallo-Vertrag. Der Verfasser hat über Anregung von Professor Egmont Zechlin (Hamburg) vor allem die unveröffentlichten deutschen Akten herangezogen und wertvolle Quellen aus dem Völkerbundarchiv sowie die inzwischen erschienenen Dokumente der Außenpolitik der UdSSR über die Jahre 1925 und 1926 verwertet.

Der Völkerbund war für das besiegte Deutschland ein doppeltes Problem. Zunächst galt er in den Augen der deutschen Politiker als ein Instrument der Sieger zur dauernden Niederhaltung der Besiegten. Allmählich aber erwuchs die Erkenntnis, daß unter Umständen auf dem Weg über den Völkerbund eine Art Generalbereinigung verschiedener schwebender Probleme möglich sein könnte. Bei den Überlegungen über einen eventuellen Beitritt Deutschlands, der übrigens sehr stark von der Sozialdemokratie forciert wurde, spielten die beiden Grundströmungen innerhalb des deutschen Auswärtigen Dienstes eine große Rolle. Nur ein Teil der Diplomaten vertrat die Ansicht, daß Deutschland den Völkerbund brauche und überhaupt eine allmähliche Annäherung an die Westmächte zweckmäßig wäre.

Eine mächtige konservative Gruppe, die naturgemäß beträchtliche Unterstützung durch den Chef der Heeresleitung, Generaloberst von Seeckt, erhielt, sah in der Anlehnung an die Sowjetunion, wie man sie in Rapallo und durch die geheimen militärischen Verbindungen zwischen Reichswehr und Roter Armee angebahnt hatte, den einzigen Weg zu einer Revision des Versailler Vertrages, vor allem an den Ostgrenzen. Hier bildete Polen den Drehpunkt aller Überlegungen und taktischen Maßnahmen, da sich die deutsche Außenpolitik unter keinen Umständen durch irgendwelche vertragliche Bindungen gegenüber

Polen festlegen lassen wollte. Auch andere Konfliktherde und Reibungsflächen — etwa die Tschechoslowakei — mußten berücksichtigt werden.

Dazu kam noch, daß der Völkerbund gerade während der ersten Versuche Deutschlands, den Beitritt vorzunehmen, unter dem dominierenden Einfluß Frankreichs auch die Sicherheitsfrage in Europa hochspielte — ein Problem, das angesichts der von Deutschland so heiß erwarteten Aufhebung der internationalen MilitärkontroUe und de* erwünschten Räumung des Rheinlandes wohl zu beachten war. Aus den Ausführungen des Verfassers geht deutlich hervor, wie stark vor allem die Sowjetunion einen Druck auf Berlin ausübte, sich nicht durch den Artikel 16 der Völkerbundsatzung in eine eventuelle militärisch-politische Einheitsfront gegen Rußland eingliedern zu lassen. Es war ein Meisterstück der deutschen Politik, keine Option nach West oder Ost durchzuführen, sondern durch Abschluß des Berliner Vertrages mit Moskau und eine für Deutschland günstige Interpretation des Artikel 16 die eigene Stellung aufgewertet zu haben. Nicht uninteressant ist, daß in der Schlußphase die Struktur des Völkerbundes mehr und mehr geändert wurde und Deutschland di Rolle eines Oppositionsführers gegen die Vorherrschaft der Versailler Gründermächte übernehmen hätte können. Die deutsche Politik hat sich — ausgehend von Locarno und Rapallo — dazu entschieden, auch nach dem Eintritt in den Völkerbund unter Umgehung von Genf die direkten Kontakte zu den Großmächten zu suchen, und hat sicherlich dabei manche Chance vertan.

Bemerkenswert ist der zeitweilig starke Widerstand Italiens, das wegen des Südtirolproblems, das gerade vor 1926 von Deutschland mehrfach aufgegriffen wurde, eine deutsche Revisionspolitik befürchtete und sich an die Seite des stärksten Gegners des Eintritts der Weimarer Republik in den Völkerbund, nämlich Polen, stellte.

Die starken konservativen Strömungen gegen einen Beitritt Deutschlands gingen auch von den Rechtsparteien und vom Reichspräsidenten Hindenburg aus, der zum erstenmal recht deutlich in die Außenpolitik eingriff, nicht zuletzt unter dem Einfluß seiner Berater aus den Kreisen des Junkertums.

Die vorliegende Studie ist sowohl nach der Art der Darstellung als auch durch die Fülle der verwendeten Akten und Literatur ein außerordentlich wichtiger Beitrag zur außenpolitischen Geschichte der Zwischenkriegszeit.

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