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Randhemerhungen zur woche

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Das große E r ei gn i s, die Anerkennung der Regierung Mao-tse-tungs durch die britische Regierung, ist wie ein Schock in die Beziehungen der angelsächsischen Mächte gefahren. In Washington zeigen sich selbst entschiedenste Freunde der außenpolitischen Koordination mit England verletzt; Kanada macht von seiner Freiheit als Dominion, den britischen Schritt nicht mitzumachen, Gebrauch, Australien und Neuseeland dürften zunächst dasselbe tun. Die diplomatische Vorbereitung des britischen Aktes hat offenbar zu wünschen übrig gelassen. Böse Erinnerungen an die surrealistische Außenpolitik Albions werden aufgefrischt werden. Doch in diesem Falle rechtfertigen tiefliegende, wichtige Gründe den Entschluß der Downing Street. Die psychologische Situation in der Welt erinnert an die Stimmung beim Ausbruch des russisch-japanischen Krieges im Jahre 1904, da die Sympathien des größten Teils der zivilisierten Welt gegen das Zarenreich auf der Seite Japans standen, ohne zu ermessen, welche Entwicklungen ein Sieg Japans eröffnen mußte. Auch gegenwärtig dominieren augenscheinlich Sympathien und Antipathien über das nüchterne politische Urteil. Die kommunistische Macht, die mit beispielloser Schnelligkeit die Herrschaft über das chinesische Riesenreich an sich gerissen hat, ist nicht die Macht des Kreml, sie steht sogar in so manchen schweren Gegensätzen zu Moskau, und sie fußt auf ganz anderen Voraussetzungen als die des Nachbars jenseits des Urals, der über die Mandschurei nach Asien gegriffen hat. Es ist durchaus nicht von der Hand zu weisen, daß das neue China die britische Weltmacht, die sich aus Indien und Burma zurückgezogen hat, mit geringerem Mißtrauen als Verhandlungspartner betrachtet als Stalin und Genossen. — Deshalb darf man annehmen, daß es dem britischen Außenamt bald gelingen wird, die Dissonanzen zwischen den angelsächsischen Mächten auszugleichen und die Freunde zu überzeugen, welch hohes Spiel diesmal in London begonnen wurde.

An Insulin, diesem für Zuckerkranke lebensnotwendigen Medikament, herrscht empfindlichster Mangel; selbst in den Spitälern wird es nur mehr an Kranke verabreicht, die bereits in Lebensgefahr schweben. Nun muß das so wichtige Medikament aus dem Ausland, aus Dänemark, eingeführt, der Kaufpreis aber in Devisen bezahlt werden. Kurz gesagt: Sozialministerium, Nationalbank und Finanzministerium verhandeln seit Wochen um die Freigabe der notwendigen Summen. Zu lange für die Kranken, viel zu lange. In dieser Situation hat das Unterrichtsministerium vorgeschlagen, das Guthaben für die Kopenhagener Ausstellung der österreichischen Kunstschätze, das noch in Dänemark liegt, anzugreifen und solchermaßen Kunst gegen Insulin zu tauschen. In der Tat ein dankenswerter Entschluß, der bereits zum zweiten Male gefaßt wurde — vor wenigen Wochen erst konnte eine drohende Insulinknappheit durch diesen alle bürokratischen Regeln über den Haufen werfenden menschlichen Akt eines Ministeriums verhindert werden. Wie man es auch nimmt. — das Ganze ist ein Stück österreichischer Kulturgeschichte und nicht das belangloseste.

Auf dem Genossenschaftstag der Werksund Wirtschaftsgenossenschaften erfuhr man, daß zu den zur Zeit in Österreich bestehenden sieben Betrieben von Arbeitsgenossenschaften weitere 25 in den ersten Monaten dieses Jahres treten werden. Die Genossenschaft wird von der jeweiligen Belegschaft gebildet, die einen kommissarisch verwalteten Betrieb auf Grund eines vom Finanzministerium genehmigten Pachtvertrages übernimmt, wobei die Eigentumsfrage bis zum Abschluß des Siadts-vertrages offenbleiben kann.

Da der Gesamtgewinn der vergenossen-schafteten Unternehmen zwischen der Belegschaft (Genossenschafter) und dem Betrieb als eigenständigem Rechtsträger halbiert wird und dieser Gewinn sich lediglich aus der Arbeitsleistung der Belegschaft ableitet, ergab sich die interessante Erfahrung, daß die Belegschaften mit äußerster Anspannung auf die Leistungsfähigkeit des Betriebes bedacht sind. So melden sich nicht voll ausgelastete Arbeiter und Angestellte freiwillig zu Mehrleistungen und die Belegschaften sind bestrebt, jeden an den für ihn zweckmäßigsten Arbeitsplatz\nner-halb des Betriebes zu bringen. Die Absenzen vermindern sich auf ein. Minimum, die Unfallverhütung wird besonders beachtet, die Vereinfachung des Arbeitsvorgangs wird erstrebt usw., kurzum, es herrscht bei den Belegschaften ein Sinn für Rationalisierung in einem solchen Maß, daß die vergenpssenschafteten Betriebe heute die am besten rationalisierten in Österreich sind. Diese Ergebnisse verleihen der Vergenossenschaftung eine Bedeutung, die weit über den Rahmen der Wirtschaft hinausreicht und eines der wichtigsten Probleme unserer Zeit berührt: das Problem der Verantwortung und der Persönlichkeit. Es zeigt sich darin deutlich und klar, daß dort, 10 man den kleinen Mann nicht als bloße Nummer betrachtet, sondern ihm die Möglichkeit des Wirkens und Werteschaffens im eigenen Verantwortungskreis und für den eigenen Lebensbereich gibt, sich ein zufriedener, arbeitsfreudiger Metisch aus dem Grau des Alltags schält, der nichts mehr von der Gleichgültigkeit des Massenmenschen an sich hat, sondern sich als lebensbejahende, initiativ wirkende Persönlichkeit entpuppt.

Vom 15. März an werden die österrei-' chischen Rundfunkstationen auf neuen Wellenlängen arbeiten müssen; bekanntlich wurde im Vorjahr für alle europäischen Staaten in Kopenhagen eine Rundfunkwellenkonvention beschlossen, bei der Österreich sehr schlecht abgeschnitten hat. Die neue Regelung wird nicht nur den österreichischen Radiohörern teuer zu stehen kommen — sie müssen die Skalen ihrer Apparate ändern —, sondern wird auch österreichische Sendungen ins Ausland erheblich beeinträchtigen. Und das freilich wiegt schwerer als der Ärger der Teilnehmer; der . österreichische Rundfunk genoß bis 1938 einen ausgezeichneten Ruf in der Welt, man übernahm seine Sendungen gerne, ausländische Hörer stellten ihre Empfangsgeräte mit Vorliebe auf Wien ein, der propagandistische Effekt unseres Rundfunks war also nicht gering zu schätzen. Nach der siebenjährigen Unterbrechung nun setzten die zahlreicher gewordenen österreichischen Sender, das muß man ihnen lassen, viel Mühe daran, die Verbindung mit den ausländischen Hörern wieder herzustellen. Soll sie nun zum großen Teil, einer mißglückten Konvention halber, zwecklos gewesen sein?

Die Erklärung des neuen Obmanns der wiedererstandenen Deutschnationalen Partei in Westdeutschland, Joachim Gottsleben, „unter Umständen“, wenn es der Vorteil gebieten sollte, auch mit den Sowjets zusammenzuarbeiten, bestätigt die Wahrheit, daß trotz aller Umbrüche, Umstürze und Lehren der Vergangenheit gewisse tiefeingewurzelte Ansichten und Denkformeri gleichsam unter der Decke weiterleben. Dazu gehört eben auch jene eigenartige borussische Russophilie, die seit den dynastischen Beziehungen der Häuser Hohenzollern und Romanow über York und Tauroggen, über Bismarck und den Vertrag von Rapallo, über die deutschrussische Zusammenarbeit zur Zeit Tu-chatschewskis und der geheimen Wiederaufrüstung Deutschlands bis zum Hitler-Stalin-Pakt und zur „Vierten Teilung Polens“ im Jahre 1939 immer wieder als Unterton und Möglichkeit in der preußischdeutschen Politik vorhanden war und in schicksalshaften Augenblicken auch immer wieder wirksam wurde. In welche tiefe geistige Schichten diese Denkart aber hinabreicht, zeigt der „Fall Niemöller“, der durch ein ähnliches verklausuliertes Bekenntnis des weithin bekannten und anerkannten Pastors zu einer deutschen Einheit unter sowjetischer Ägide ausgelöst wurde — ein Bekenntnis, dessen letzte Wurzeln man vielleicht besser versteht, wenn man bedenkt, daß Niemöller ein An gehöriger jenes preußischen Unionsbekenntr nisses ist, das seine Entstehung 1819 dem Willensakt des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III. verdankt. Hier wird eine Bresche in der abendländischen Gei stigkeit offenbar, durch die schon öfter in der Geschichte die Geisteswelt eines östlichen Cäsaropapismus nach Europa eingeströmt ist, die heute aber, da dieser östliche Cäsaropapismus mit einem Sendungsbewußtsein von noch nie dagewesener revolutionärer Sprengkraft verbunden ist, leicht zu schwerster Bedrohung nicht nur der deutschen, sondern auch der euro.-päischen und christlichen Freiheit werden könnte. ,

Die Generalversammlung der UNO hat In ihrer nunmehr verflossenen Sitzungsperiode beschlossen, in Genf nach dem Aufr hören der IRO, deren Tätigkeit bekanntlich am 30. Juni nächsten Jahres zu Ende geht, ein hohes Kommissariat für DP-Flüchtlingsfragen einzurichten. Dieses Amt soll versetzten Personen weiterhin gesetzlichen Schutz und Beistand gewähren, dessen Administrative von den Vereinten Nationen erhalten werden. Mittel aber zur Hilfeleistung werden, soweit es solche nicht durch freiwillige Beiträge und Spenden aufbringen kann, ihm allerdings keine zur Verfügung stehen. Das ist die etwas desillusionie-rende Pointe des schönen Beschlusses.

Mauterndorf im Lungau, Salzburg: Spätgotische Häuser (16. Jahrh.)

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