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Ein Retter?

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Es ist die 36. Kabinettskrise seit 1943. Der offizielle Grund für das Scheitern des fünften Kabinetts Rumor: Zwistigkeiten /wischen Linkssozialisten und Christdemokraten über die Kreditpolitik. Oer Grund wird von Beobachtern als nicht stichhältig angesehen; und der Verdacht greift um sich, daß Fanfani hinter der Bühne wieder operiert, trotz seiner Niederlage im Eheschei-dungsreferendum als ambitionierter Retter des Vaterlandes.

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Es ist die 36. Kabinettskrise seit 1943. Der offizielle Grund für das Scheitern des fünften Kabinetts Rumor: Zwistigkeiten /wischen Linkssozialisten und Christdemokraten über die Kreditpolitik. Oer Grund wird von Beobachtern als nicht stichhältig angesehen; und der Verdacht greift um sich, daß Fanfani hinter der Bühne wieder operiert, trotz seiner Niederlage im Eheschei-dungsreferendum als ambitionierter Retter des Vaterlandes.

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Noch ein letzter Versuch Rumors nach der Betrauung durch Präsident Giovanni Leone setzte am 14. Juni ein. Rumors Position ist jetzt leichter geworden; aber die Notwendigkeit, das Vaterland zu retten, ist nicht mehr so dringlich. Die Finanzminister der wirtschaftlich mächtigsten Staaten beschlossen in einer Konferenz in Washington, daß Goldreserven als Grundlage für Kredite verwendet werden können. Das ist an Italien adressiert. Das soll Italien helfen, das Handelsdefizit von einer Milliarde Dollar zu bewältigen. Und damit der Krise — der wirtschaftlichen und der politischen — an den Leib zu rücken. Innerpolitisch ist die Lage der Democristlani um Rumor und Fanfani allerdings noch trister: auf Sardinien gewannen alle Linksparteien — auf Kosten der DC.

Bei dieser Regierungskrise sind die tieferschürfenden politischen Erkenntnisse von der Uberzeugung getragen, daß der Kabinettsturz hätte vermieden werden können und sich hinter der offiziellen Erklärung etwas Geheimnisvolles. Nichtausgesprochenes verberge. Schon hatte sich zwischen Christlichdemokraten und Linkssozialisten in Sachen Kreditpolitik ein Kompromiß abgezeichnet, der bei seiner näheren Fixierung wieder aufgegeben wurde. Weshalb? Prominente Linkssozialisten vertreten den Standpunkt, daß es nichts mehr nütze, den Christlichdemokraten noch weiter entgegenzukommen, weil die Democrazia Cri-stiana, das heißt: ihr Hausherr Fanfani, eine Regierungskrise heraufbeschwören wollte. Solche Anschuldigungen werden von den Christlichdemokraten energisch ir> Abrede gestellt, doch mit Gründen, die keineswegs vollumfänglich zu überzeugen vermögen.

Bei Lichte betrachtet, ist der Konflikt, der im Februar zum Sturz des vierten Kabinetts Rumor geführt hat, immer noch nicht beigelegt. -Im Gegensatz zu ihren Koalitions-

partnern fürchten sich die Linkssozialisten nicht so sehr vor der noch größeren Geldentwertung als vor einer Massenarbeitslosigkeit über die „normale“ Ein-Millionen-Grenze hinaus als Folge einer deflationistischen Wirtschafts- und Kreditpolitik. Sie verlangen die sofortige Aufhebung des Kreditstopps, zumindest seme Erleichterung und Selektionierung. Mit Investitionen in Süditalien für die Eisenbahnen, gewisse halbstaatliche Betriebe und den öffentlichen sozialen Wohnungsbau dürfe nicht länger zugewartet werden. Die Linkssozialisten erklären sich überdies außerstande, eine Politik gutzuheißen, die von den Gewerkschaften „naturgemäß“ abgelehnt werde und zwangsläufig Streiks auf den Plan rufen müsse.

Die Christlichdemokraten haben nun offenbar aber keine Angst vor einer Kraftprobe mit den Gewerkschaften. Wie eine schwache Regierung den gut organisierten Arbeitnehmerverbänden jedoch die Stirne bieten kann, ist schleierhaft. Daß Fanfani bereits vor sieben Jahren das Streikrecht einschränken wollte, ist ein offenes Geheimnis, und viele behaupten, daß ihm diese bei Linkssozialisten und Kommunisten unbeliebte Haltung 1971 den Präsidentenstuhl gekostet habe. Fanfanis Ehrgeiz, der starke Mann Italiens zu werden, hat durch seine Niederlage im Kampf gegen die Ehescheidung sicherlich einen Dämpfer erhalten, doch dürfte er nach wie vor mit dem Gedanken spielen, in der höchst verzwickten wirtschaftlichen und politischen Situation als Retter des Vaterlandes aufzutreten. Ist sein Vorbild de Gaulle?

Die persönliche Spekulation Fanfanis kann freilich seine Partei in eine chaotische Situation bringen. Fanfani hat sich bisher nicht für die Stunde X aufgespart und sich nicht als Retter aus der Not der permanenten Regierungskrisen mit einem intakten Stab zurückgehalten. Er

steht ja mitten im Strudel der Innenpolitik Italiens — als seinerzeitiger Regierungschef, Minister vieler Kabinette und als geheimer Chef der DC. Woher soll er selbst die Kraft nehmen, sich zum starken Mann glaubwürdig zu stilisieren

Die Niederlage in Sardinien, einem der wirtschaftlieh zurückgebliebensten Gebiete Italiens, beweist aufs neue: Selbst die geduldigste Wählerschaft verträgt auf Dauer nicht die Widersprüche in und die Bocksprünge außerhalb der (noch) führenden Christdemokratischen Partei.

Heute steht Italien nicht mehr nur vor wirtschaftlichen Schwierigkeiten, sondern bereits vor bürgerkriegsverwandten Erscheinungen. Die Attentäter von B**scia sind noch keineswegs ausgeforscht,' in Padua wurden zwei Neofaschisten ermordet, eine Subkultur der politischen Kriminalität umspannt bereits das ganze Land.

Bei alledem ist offensichtlich, daß die Zeit für die Kommunisten arbeitet. Sie verlieren immer mehr von ihrer Schreckhaftigkeit, nachdem ja die Maoisten linksaußen marschieren, und offeriert sich augenfällig als Partner für alle nur denkbaren Gruppierungen. Wann wird man diese tödliche Gefahr in den demokratischen Parteien in ihrem wirklichen Ausmaß erkennen?

Ffenfani selbst hat früher den Gedanken einer Koalition mit der KP ins politische Spiel gebracht. Was ist heute sein Rezept? Heißt es wirklich nur „Fanfani“?

Wo sind jene hilfreichen Hände mit vollen Herzen, die 1956 Zehntausenden ungarischen Flüchtlingen durch den eisigen Einserkanal und über die Stacheldrahtverhaue halfen?

Sie verfrachten heute Ungarnflüchtlinge — offenbar mit Gewalt — in Autos und führten sie zu den ungarischen Sicherheitsorganen an der Grenze zurück. So geschehen vor einigen Tagen in Oberpullendorf, Österreich.

Der Flüchtling, dessen Schicksal auch im Gulaschkommunismus derzeit höchst unerfreulich sein wird, mag keine oder nur vorgetäuschte Gründe für seine Flucht gehabt haben. Aber wo kommen wir hin, wenn hier Selbstjustiz geübt wird und sich jemand aufschwingt, Zu entscheiden, wer in Österreich bleiben darf und wer nicht?

Die Polizei walte ihres Amtes. Wenn man den Flüchtling schon nicht zurückholen kann, dann brumme man den ungemütlichen Oberpullendorfern herzlos jene Strafe auf, die bei uns für Freiheitsentzug .jedes Menschen festgesetzt ist. Nach dem neuen Strafgesetzbuch drei Jahre ...

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