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Turbinen statt Romantik

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AM RECHTEN UFER beginnt das Innviertel, mit bewaldet ansteigenden Höhen, am linken Ufer das Mühlviertel. Eine herbe, ernste Landschaft, einschichtig gelegene Gehöfte oberhalb des „Harts", wie man hier noch vielfach den Nadelwald bezeichnet. Nur an den neuen, gleichmäßigen, aus Bruchgestein gefügten Uferböschungen merkt man den regulierenden Eingriff der Technik. Da und dort noch gewachsene Felsblöcke, die ins Randgewässer ragen und sich der „Gleichschaltung“ bisher widersetzten. Hier, im Stauraum oberhalb von Aschach, ist die Donau „zivilisiert“, zieht mit zahmem, flachem Wellenspiel ihre Bahn. Das Wasser wurde zum Rohstoff, der sich bei seinem Lauf durch die Turbinen zu elektrischer Kraft wandelt.

Die Schiffer wissen die „Entschärfung“ der Donau sehr zu schätzen. Bei der Fahrt durch die gefürchtete „Schlögener Schlinge“ mit ihren fatalen Engen, einer riesengroßen S-Kurve des Stromes, sandten sie manches Stoßgebet zum Himmel. Groß war die Gefahr, daß sich das Schiff auf einer der sandigen Untiefen festlief. Auch die Schlögener Schlinge zeigt sich nun reguliert; durch entsprechende Verbreiterung des Flußbettes verschwanden Teile des Uferstreifens unter Wasser.

Aschach selbst: das sind helle, farbige barocke Hausgiebel entlang der Lände, ein Ortsbild, das im 17. und 18. Jahrhundert sein Gepräge erhielt und sich seither nicht mehr wesentlich verändert hat. Der Markt war sogar Zentrum eines im späten Mittel- alter bekannten Weinbaugebietes, so daß sich Maximilian I. bewogen sah, den Aschachern eine Weintraube in den Wappenschild zu setzen.

Auf dem Markt rief Stefan Fadinger die Bauern zum Kampf gegen die Herrenleut’ auf. Auch die Gewalt der Naturkräfte bekamen die Aschacher zu, fühlen: Immer wieder trat die Donau aus den Ufern.

Napoleon schickte den friedlichen Bürgern seine Soldaten als Besatzungsmacht, dann begann hier die Idylle einer ereignislosen Biedermeierzeit, nur 18 39 durch» ein denkwürdiges Ereignis unterbrochen: Weißblau bewimpelt fuhr das erste Dampfschiff an Aschach vorbei, die „König Ludwig“ aus Passau.

Vor dem ersten Weltkrieg kamen einige Wasserbauingenieure, nahmen die Gegend in Augenschein, sprachen von kühnen Projekten. Niemand achtete weiter darauf. Der Strom in seinem unwandelbaren Gleichmaß nahm alles mit sich fort, Pläne und kühne Gedanken. Aschach blieb einer von vielen Ortsnamen, mit denen der weiter weg Wohnende kaum eine Vorstellung verband . ..

„WIR HABEN NICHT GEWUSST, wie reich wir sind“, sagte Bundespräsident Dr. Schärf, kurz bevor er im Maschinenhaus des neuen Kraftwerkes Aschach von seinem Rednerpult aus durch einen Knopfdruck den ersten Maschinensatz in Betrieb setzte. Man erwartet von der Eröffnungsrede des Staatsoberhauptes bei solchem Anlaß so etwas wie den Segen eines gütigen Vaters für das vollendete und gelungene Werk: ausgewogene, einprägsame Metaphern, Lob des Geschaffenen und Wünsche für die gedeihliche Entwicklung in der Zukunft. Hier in Aschach wurden die Worte des Bundespräsidenten zum Ausdruck eines sicher verwurzelten österreichischen Staatsbewußtseins. Nunmehr erschlossen und verwertet, kommen diese lange verborgen gewesenen Schätze — das Öl der Ebenen und die Wasserkräfte — allen zugute, bis zum bereits sprichwörtlichen „letzten Bergbauern und letzten Rentner“.

ALS 63. ANLAGE IHRER ART und zugleich als größtes Kraftwerk in Österreich steht Aschach nun in Betrieb. Die Österreichische Donau kraftwerke AG. arbeitete einen Stufenplan aus, demzufolge die einzelnen Stufen im Verlauf des Stromes so anzulegen sind, daß die Rohenergie der Donau auf der Strecke zwischen Passau und Preßburg mit mehr als 80 Prozent ausgenützt wird. Experten ermittelten, daß unser Land insgesamt 42 Milliarden Kilowattstunden an ausbauwürdigen Wasserkräften besitzt. Daran ist die Donau als Energieträger mit rund 14 Milliarden Kilowattstunden, also etwa einem Drittel der Gesamtzahl, beteiligt.

Stufenweise, allmählich, „befreundeten“ sich die Techniker und die Arbeiter mit der Donau, lernten sie im Alltag der Baustellen genau kennen und sammelten wertvolle Erfahrungen.

Mit Jochenstein wurde 1952 der Anfang gemacht, der schwierige, problematische Anfang, wie alle Beteiligten in der Rückschau feststellen. An der Anlage Ybbs-Persenbeug, 1940 begonnen und dann als Torso von den Deutschen hinterlassen, fuhren die Ingenieure und die Planer mit wehmütigen Seitenblicken vorbei, denn dort saßen die sowjetischen Besatzer, hielten die Hand auf das deutsche Eigentum und gaben die Baustelle erst 1953 frei. Die sechs Arbeitsjahre bis zur Inbetriebnahme des endlich fertiggestellten Kraftwerks erweiterten die praktischen Kenntnisse und Erfahrungen beträchtlich, und so war es ein vielfach erprobtes und bewährtes großes Werkteam von Fachkräften und Hilfsarbeitern, das 1959 nach Aschach kam und die stille Uferlandschaft in eine riesige Baustelle verwandelte. Vom Planer bis zum Lenker des Bulldozers waren alle mit dem Element vertraut, hatten schwere Hochwassertage bei Jochenstein und Ybbs-Persenbeug in Erinnerung. In Aschach zeigte sich die Donau weniger gefährlich, fügte sich rascher und leichter den Forderungen der Technik.

SO KONNTE EIN REKORD gesetzt werden, den die Österreichische Kraftwerke AG. voll Stolz besonders hervorhebt. Der Österreicher weiß ja aus Erfahrung, daß er bei Großprojekten die Angaben über Kosten und Fertigstellungstermine etwas skeptisch zur Kenntnis nehmen muß.

Im Fall Aschach errechnete man als Termin für die Inbetriebnahme des ersten Turbinensatzes den 1. Dezem-

ber dieses Jahres. Doch das große Arbeitsteam gewann einen Vorsprung und erfüllte sein „Plansoll“ bereits Ende September! Damit nicht genug: Auch der Kostenvoranschlag wurde unterschritten. Kaum zu glauben, aber wahr. Jedenfalls steht die Österreichische Kraftwerke AG. somit als eine Art wirtschaftlicher Musterknabe vor der staunenden Öffentlichkeit.

EINDRUCKSVOLLE ZAHLEN vom Bau des Kraftwerkes Aschach werden für den technisch unbelasteten Laien durch einprägsame Vergleiche anschaulich gemacht. So war zum Beispiel ein Felsaushub von 277.000 Kubikmetern und die Verarbeitung von mehr als 1,200.000 Kubikmetern Beton erforderlich. Das liegt fast schon im Bereich mathematisch-abstrakter Begriffe. Der Techniker hilft uns mit der Vorstellung eines Pfeilers, der die Grundfläche 10 X 10 Meter besitzt, das ist etwas mehr als die Maße eines durchschnittlichen Einfamilienhauses. Würde man das ausgehobene Felsgestein emporschichten, dann erreichte der Pfeiler eine Höhe von 2800 Metern, baute man ihn aus dem in Aschach verarbeiteten Beton, dann würde er zwölf Kilometer hoch sein. Wir wundern uns, um so mehr nach dem Hinweis, dies sei die doppelte Höhe des — bei Vergleichen so beliebten — Mount Everest.

Doch wir können das Gedankenspiel mit Relationen noch fortsetzen. Für die neuen Böschungen der Ufersicherung im Stauraum oberhalb Asch- achs benötigte man 600.000 Kubikmeter Gestein; damit könnte man eine Pyramide errichten, Basislänge 115 Meter, Höhe: gleich der des Stefansturms.

Die Stromerzeugung der beiden Donaukraftwerke Aschach (nach Vollausbau) und Ybbs-Persenbeug in menschliche Muskelkraft umgerechnet. Das Resultat: 22 Millionen Menschen müßten all ihre Kräfte anspannen, um die gleiche Leistung zu vollbringen!

„Unermüdliche, unsichtbare Roboter, die jedem Österreicher jahraus, jahrein zur Verfügung stehen.“ So werden die Donaukraftwerke charakterisiert.

Das Kernstück der ganzen gigantischen Anlage ist das Maschinenbaus, das nach der endgültigen Fertigstellung mit vier Kaplan-Turbinensätzen ausgestattet sein wird. Auch hier vermenschlichen bildhafte Vergleiche die fast bedrückende, gewaltige Masse der nüchternen Technik: Die drehenden Teile, also Turbine und Generator, haben eine Gesamthöhe von 22 Metern, sind demnach so hoch wie ein vier- bis fünfstöckiges Wohnhaus. Das Gewicht der drehenden Teile samt dem Rotor beträgt rund 1000 Tonnen. Pro Sekunde stürzen 500 Kubikmeter Wasser auf das Schaufelrad.

Und dieser ungeheure Druck lastet auf einem dünnen Ölfilm, der, in unablässiger automatischer Nachfüllung, die metallenen Lagerflächen schmiert. Große Shell-Laster brachten das international erprobte ,,Turbo Oil 37“ nach Aschach. Würde diese hauchdünne Ölschicht — nicht dicker als Sonnenbrandcreme, die man auf den Körper aufträgt — eintrocknen, dann wäre der riesengroße Turbinensatz funktionsunfähig.

DAS NEUE WAHRZEICHEN von Aschach ist der hohe, hellgelb gestrichene Portalkran, der beherrschend über die Dächer der Montagehalle und des Krafthauses und über die Brücken der Schleusen und des Wehrs emporragt. Diesör „Stahlkoloß“ ist das größte, leistungsfähigste Hebezeug Österreichs und gehört zu den größten Krananlagen Europas. Er dient dazu, die Maschinensätze in ihre riesigen, tiefen, kreisrunden Lager zu versenken.

Noch vor Ende dieses Jahres soll der Einbau des zweiten Maschinensatzes erfolgen; die Komplettierung durch die dritte und vierte Turbine ist für die ersten Monate 1964 vorgesehen.

DER AUFSTAU DER DONAU machte planmäßige Umsiedlungen notwendig. 300 Liegenschaften und 150 Gebäude wurden davon betroffen. Zwei Orte, die Gemeinden Obermühl und Untermühl, zeigen sich nunmehr als komplett neu errichtete, saubere, frisch verputzte Häusergruppen im höhergelegenen Gebiet, während die gewachsenen Siedlungen mit ihrem Baucharakter aus dem 17. Jahrhundert unter der Spitzhacke und dann unter dem Donauwasser verschwanden. Jedoch der alte Obermühler Kornspeicher, ein Renaissance-„Schüttkasten“ mit hochgiebeligem Dach und festen Mauern, konnte gerettet werden. Er steht nach dem Einstau, als markanter Blickpunkt dicht am Ufer.

In das Kapitel Landschaftsgestaltung gehört auch ein fremdenverkehrsgerechtes „Nebenprodukt“ des Kraftwerkbaus. Stromabwärts von Aschach errichtete man während der Arbeit eine Kiesaufbereitungsanlage, die größte Europas übrigens. Davon blieb ein weiträumiges Becken zurück, das zum Teich wurde, mit einer kleinen, baumbestandenen Insel in der Mitte. Nach den Erfahrungen, die sie bereits im vergangenen Sommer mit auswärtigen Badegästen machten, stellen die Aschacher Gemeindeväter diesem neuen Anziehungspunkt günstige Prognosen und werden zweifellos für dieses unerwartet entstandene sonnige Freibad die Werbetrommel rühren.

ALS GRÖSSTE LEISTUNGSPROBE bezeichnen die Techniker den Bau der Staustufe Linz. „Unser schwierigstes und kostspieligstes Vorhaben.“ Bis es soweit ist, wird allerdings, im wahrsten Sinn des Wortes, viel Wasser die Donau hinunterfließen.

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