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Wettkampf der Heuchelei

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Diese positiven Aspekte des amerikanischen Gutachtens sind durih die die Wahrheit verzerrende Überschrift der „Presse“ vom 13. und 14. Juli 1968 „Stahlwerke nicht lebensfähig, Expertengutachten: 14.000 Arbeiter zuviel beschäftigt“ leider in den Hintergrund gedrängt worden. Bei dem mangelnden ökonomischen Selbstbewußtsein der meisten Österreicher ist dies nicht verwunderlich. Angesichts solcher Tatarenmeldungen bemüht sich freilich der angesehene Nationalökonom Dr. Kausel vergeblich, den traditionellen Wirtschaftspessimismus in Österreich mit dem Nachweis zu entkräften, daß 5. s|gn i f, dank gM -, mik seiner Wirtschaft ökonomisch .gegenüber, den„jve ifjien .Sfefjfn aufgeholt hat und daß das Wohlstandsgefälle gegenüber West- und Nordeuropa abnimmt.

Wem diente also diese negative Berichterstattung der derzeit in Österreich führenden Wirtschaftszeitung wirklich? Dem Ruf der betroffenen Firmen und der Ruhe in der Belegschaft dieser Unternehmungen sicher nicht, nur den konservativen Verteidigern einer dogmatisch festgefahrenen Verstaatlichungsdoktrin. Nachdem sich der Beitrag dieser dogmatischen Vertreter des Verstaatlichungsgedankens zur Rationalisierung, Reorganisation und Modernisierung „ihrer“ verstaatlichten Industrie während der letzten Jahre der großen Koalition auf die Prägung des verschwommenen Begriffes „Nationalindustrie“ beschränkt hatte, würden diese Kreise heute, ließe man sie entsprechend der jüngsten Argumentation der „AZ“ handeln, aus der „nationalen“ Stahlindustrie ein „nationales Stahlmuseum“ machen.

Trugen die „Presse“ und die „AZ“ wenig zur objektiven und leidenschaftslosen Diskussion der Gutachten bei, gelang der „AZ“ und der Bundeskammer doch Arm in Arm eine Meisterleistung an Heuchelei. Am 16. Juli wetterte Paul Blau in einem Leitartikel der „AZ“ mit der Überschrift „Versuchter Rufmord“ gegen die „Presse“, weil diese „die Indiskretionen eines führenden Industrie- und Bankmannes benutzte, um ein paar aus dem Zusammenhang gerissene Einzelheiten eines vertraulichen Gutachtens über die österreichische Eisen- und Stahlindustrie wiederzugeben“, obwohl in der gleichen Ausgabe der „AZ“ die bisher detaillierteste Darstellung der doch vertraulichen Untersuchungsergebnisse zu finden war. Die Bun-

deskammer der gewerblichen Wirtschaft aber veröffentlichte genau eine Woche nach dem Erscheinen der ersten Indiskretionen über die Stahlgutachten in der ihr gehörenden „Presse“ eine eigene Aussendung, in der sie auf das Schärfste verurteilte, „daß die beiden streng vertraulichen Gutachten über die Österreichische Stahlindustrie durch Indiskretionen an die Öffentlichkeit gelangt sind“.

Da die Stahlindustrie schon ins allgemeine Gerede gekommen ist, kann ihr jetzt nur noch eine möglichst objektive Diskussion über die Stahlgutachten nützen. Schon in der Einleitung wurden jene Sätze des amerikanischen Gutachtens zitiert, lSfe ösWreidisn t’ iindüsifie bestätigten, öaß stän dig verschärfenden internationalen Wettbewerbes auch in Zukunft lebensfähig sein kann. Um diese Lebensfähigkeit zu erhalten, sind aber nach Meinung sowohl des amerikanischen Gutachtens als auch des der Experten der Montanistischen Hochschule in Leoben einige Reformen durchzuführen.

Beide Gutachtergremien sind der Meinung, daß die gesamte Massenstahlerzeugung in Linz und Donawitz zu konzentrieren sei; die Amerikaner vertreten darüber hinaus noch die Ansicht, daß ein erhöhter Anteil niedrig legierter Stähle in Linz und Donawitz erzeugt werden solle. Die Leobner schlagen außerdem vor, die SM-Stahlerzeugung (Siemens-Martin-Verfahren) einzustellen und dafür die LD-Stahl- erzeugung in Donawitz auszuweiten. Beide Gutachten stimmen darin überein, daß die Stabstahlerzeugung in Donawitz, Judenburg und Kapfenberg konzentriert werden solle, die Leobner schließen nur noch Kindberg mit ein, das die Amerikaner ebenso wie die Stabstahlstraßen in Ternitz, Hönigsberg und Ferlach stillegen wollen. Die letzteren drei Stillegungen erachten auch die Leobner als notwendig. In beiden Gutachten ist ebenfalls die Konzentration der Drahterzeugung in Ferlach enthalten. Während das Leobner Gutachten eine Konzentration der Elektrostahlerzeugung hochlegierter Qualitäten in Kapfenberg vor- schlägt, fordert das amerikanische Gutachten zwar auch, daß die Produktion von legiertem Stahl an einem Ort erfolgen sollte. Auf Grund der gegenwärtigen geographischen Trennung von Elektroofen und Walzstraßen für legierten Stahl soll aber nach Ansicht der Amerikaner mittelfristig ein Standortkomplex mit drei unterschiedlichen Standorten aufrechterhalten bleiben. Die Elektroofen sollen nur in Ternitz, Kapfenberg und Judenburg und die Stabstahlstraßen in Kapfenberg und Judenburg betrieben werden. In Kapfenberg wären weiter noch die Grob- und Feinblechstraßen zu konzentrieren, während die Fertigung nahtloser Rohre in Ternitz erfolgen sollte.

Nach den amerikanischen Konzentrationsvorschlägen, die eine gänzliche Stillegung der Walzwerke Kindberg, Krieglach, Hönigsberg, Mürzzuschlag, Ternitz, Ferlach und Krems vorsehen, sollen jährlich Einsparungen in einer Größenordnung von 540 Millionen Schilling erzielt werden. Im Hinblick auf die Investitionspläne für die Fünfjahresperiode 1968 bis 1972 würden durch den Konsolidierungsplan mindestens weitere 500 Millionen Schilling an Investitionen erspart werden. Die Leobner sind der Ansicht, daß die Ersparnisse aus den Reorgani- .S9fl m naßnahiiaen, ichfr, exakt in absoluten Zahlen angegeben werden können ..doch dürften v5Qft „Millionen Schilling auf dem technischen Sektor und 350 Millionen Schilling auf dem Verwaltungssektor einzusparen sein.

Nach dem amerikanischen Gutachten würden durch die Konsolidierung etwa 4500 Beschäftigte im

Stahlbereich freigesetzt werden, aber auch dann wären die Beschäftigtenzahlen im Vergleich mit den westeuropäischen Konkurrenten noch zu hoch. Verglichen mit dem europäischen Standard beträgt nach Meinung des amerikanischen Gutachtens die Uberbeschäftigung etwa 14.000 Personen, doch schon eine Reduzierung der Belegschaft um 10.000 bis 11.000 Beschäftigte würde der gesamten verstaatlichten Industrie einen annehmbaren Betriebsgewinn ermöglichen. Nach Meinung der Leobner könnte durch die Konzentration die Belegschaft in der Produktion um 6000, in def, Y rwaltuijg um 40Ö0 und durch Rationalisierung um wejtere 5000 gesenkt werden.- gei rund 63.000 Beschäftigten in der Gruppe Bergwerke und eisenerzeugende Industrie würde dies bedeuten, daß für über 20 Prozent der Arbeitskräfte die Arbeitsplätze in der Stahlindustrie in Frage gestellt sind.

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