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Pflicht zum Umdenken

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Anläßlich der Unterzeichnung des Abkommens zwischen Österreich und den Europäischen Gemeinschaften hat sich die Vereinigung österreichischer Industrieller mit einer Erklärung an die Öffentlichkeit gewandt, die sie unter das Motto „An alle: Bereit sein für einen neuen Abschnitt“ gestellt hat.

In der Tat, die Unterzeichnung dieses Vertrages ist eine Zäsur in der Geschichte der Zweiten Republik, eine Zäsur, die wir aber keineswegs mit Bangen oder Kleinmütigkeit registrieren müssen. Österreich wird also in allerkürzester Zeit mit einem großen Markt in Europa konfrontiert sein, was einerseits Chancen, anderseits aber auch neue Anforderungen — und zwar, wie in der Erklärung der Industriellenvereinigung betont wird, an alle — bedeutet.

Gerade in einem Blatt wie der „Furche“, das sich die Pflege der österreichischen Tradition zu einem ihrer Redaktionsziele gemacht hat, ist es nützlich, darauf hinzuweisen, daß Österreich auf Grund seiner Geschichte geradezu als ein „europäisches“ Land par excellence bezeichnet werden kann. Insofern kann es nun bei Eintritt in einen großen europäischen Markt ohne Zweifel zum Wohl ganz Europas seine historische Erfahrung und insbesondere auch seine Funktion als neutraler Staat einsetzen.

Die Zugehörigkeit zur EFTA war eine gute Vorschule für diesen neuen Abschnitt in der wirtschaftlichen Entwicklung unseres Landes, der durch verschärfte Wettbewerbsbedingungen auf allen Gebieten gekennzeichnet sein wird. Österreichs Industrie hat die Bewährungsprobe der EFTA ausgezeichnet bestanden. Die Zugehörigkeit zu dieser wirtschaftlichen Gruppierung hat sehr wesentlich zur Modernisierung und zur viel zitierten „Europafähigkeit“ der österreichischen Industrie beigetragen. Denn die Märkte der EFTA-Länder gehören zum Teil zu den „verwöhnten“ Absatzgebieten, auf denen sich nur Länder mit international wettbewerbsfähigen Industrien zu behaupten vermögen. Gerade die EFTA hat nachhaltige Impulse zu einer neuen Industrialisierungswelle nicht nur quantitativer, sondern auch qualitativer Art gegeben und insbesondere viele Unternehmen veranlaßt, sich noch intensiver um die Spezialisierung ihrer Produktion und deren Hochzüchtung auf Finalprodukte mit sicheren Absätzchancen zu bemühen.

Ein großer Markt, wie ihn die Mitglieder der Europäischen Gemeinschaften bilden, eröffnet nicht nur beträchtliche Möglichkeiten für unsere Exportindustrie, sondern verschärft zugleich auch die Konkurrenzverhältnisse auf dem Inlandsmarkt. Aus diesem Grund ist die Vereinigung österreichischer Industrieller der Ansicht, daß nun die Einstellung zur Wirtschaft, ganz allgemein gesprochen: das Wirtschaftsklima in Österreich den neuen Anforderungen angepaßt werden müsse. Ein kleinkariertes, zaghaftes Denken verbietet sich in der anbrechenden Phase von selbst. Österreich wird jetzt von neuem seine weltoffene Einstellung, die es durch viele Jahrhunderte bezeugt hat, beweisen können.

Das heißt, daß die Pflicht zum Umdenken und zur inneren Orientierung an neuen Aufgaben, bei denen primär die Chancen, nicht aber die Gefahren gesehen werden sollen, alle angeht. Niemand ist davon ausgenommen: weder die Unternehmerschaft, noch der Sozial-und Wirtschaftspartner, weder die staatliche Wirtschaftspolitik, noch die Verwaltung; auch die Publizistik wird selbstverständlich ihren Part unter den neuen Bedingungen zu spielen haben.

Österreich soll vor allem mit einer leistungsorientierten Gesinnung an den Start zur Europakonkurrenz gehen. In allen Bereichen unserer Wirtschaft und des öffentlichen Lebens sollten mit Vorrang die ohne Zweifel noch vorhandenen geistigen und Energiereserven mobilisiert werden. Eine verstärkte Kosten-und Produktivitätsgesinnung wird nicht nur ein Gebot für die Unternehmensleitungen, sondern nicht minder auch für den Sozial-und Wirtschaftspartner sein müssen.

Auch der Stil der Wirtschaftspolitik sollte — je früher, je besser! --den neuen Realitäten Rechnung tragen. Insbesondere wird darauf Bedacht zu nehmen sein, daß die österreichische Wirtschaft schon jetzt geradezu in einem Rekordausmaß mit Steuern, Abgaben und Leistungen aller Art belastet ist. Es wird

Aufgabe der Wirtschaftspolitik sein, diese Belastungen auf ein erträgliches Maß herunterzuschrauben, denn es geht um nicht mehr und nicht weniger als um die Wettbewerbsfähigkeit unserer österreichischen Wirtschaft. Gerade anläßlich dieser europäischen Zäsur sollte immer daran gedacht werden, daß der Begriff „Wirtschaft“ nicht nur die Unternehmerschaft, sondern alle einschließt. Es liegt nun ausschließlich in unserer Hand, wie wir mit den verschärften Anforderungen fertig werden. Schutz bietet nur erhöhte Leistungsfähigkeit, da das Wettbewerbsklima rauher werden wird.

Die österreichische Industrie bringt für den Eintritt in den großen europäischen Markt sehr gute Voraussetzungen mit. Die erfreulichen Verbesserungen unserer Produktions- und Exportstruktur, dank deren Österreich sich in den sechziger Jahren in der Rangliste der Industriestaaten weiter nach vorne geschoben hat, sollte aber nicht zur Selbstzufriedenheit Anlaß geben. Sie muß vielmehr als eine ständige Herausforderung betrachtet werden, damit die österreichische Industrie im Rahmen einer immer mehr zusammenwachsenden europäischen Industrie den ihr auf Grund von Tradition, Initiative und Qualitätsarbeit aller in ihr Tätigen gebührenden Platz einnehmen kann. Denn es ist keine kühne Prophezeiung, wenn man sagt, daß es in wenigen Jahren nur mehr eine „europäische“ Industrie geben wird, die imstande sein muß, sowohl die amerikanische wie auch die japanische Herausforderung anzunehmen.

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