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Ärger mit den Katholiken

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Zu den Jubiläumsfeierlichkeiten aus Anlaß des 500. Todestages des heiligen Kasimir wollte auch Papst Johannes Paul II. nach Litauen reisen. Doch Moskau sagte „Njet"! Für die kommunistischen Machthaber ist die katholische Kirche in dieser Sowjetrepublik ohnedies schon viel zu stark.

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Zu den Jubiläumsfeierlichkeiten aus Anlaß des 500. Todestages des heiligen Kasimir wollte auch Papst Johannes Paul II. nach Litauen reisen. Doch Moskau sagte „Njet"! Für die kommunistischen Machthaber ist die katholische Kirche in dieser Sowjetrepublik ohnedies schon viel zu stark.

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Wer eine Besichtigung der hinreißenden Altstadt der litauischen Metropole Vilnius (polnisch: Wilna) unternehmen will und dabei als Ausgangspunkt das Austra-Tor („Tor der Morgenröte") wählt, wird Ungewöhnliches erleben — für ein kommunistisches Land allemal: Da widerhallt die ganze Gorki-Straße von religiösen Gesängen aus der Kapelle oberhalb des Torbogens; vorbeikommende Frauen machen dem in der Kapelle untergebrachten Marienheiligtum zugewandt eine Kniebeuge oder bekreuzigen sich stehend auf der Straße.

Und das in einer Stadt, in einem Land, in einer Gesellschaft, in der die Religion — wie die kommunistische Propaganda seit Jahrzehnten beharrlich wiederholt — zum „Absterben" verurteilt ist?

Lassen wir zuerst die offiziellen Zahlen sprechen: Von den 3,5 Millionen Einwohnern Litauens sind 80 Prozent Litauer (2,8 Millionen), rund neun Prozent Russen und etwa sieben Prozent Polen (Volkszählung 1979). Vergleicht man diese Angaben mit der Bevölkerungszusammensetzung in den beiden anderen baltischen Staaten (Lettland: 53,7 Prozent Letten, 32,8 Prozent Russen; Estland: 67,7 Prozent Esten, 27,9 Prozent Russen), wird deutlich, wie erfolgreich sich Litauen der — auch hier versuchten — Russifizierung bis jetzt widersetzt hat.

Von allen westlichen Völkern der Sowjetunion hat Litauen die günstigste Geburtenrate.

Was die Anzahl der Katholiken in Litauen betrifft, gibt es keine exakten Angaben, schon gar keine offiziellen. Immerhin:

1982 gab ein litauischer Priester anläßlich einer offiziellen Sowjetunion-Ausstellung in Düsseldorf an, daß 70 Prozent der 2,7 Millionen Litauer gläubige Katholiken seien, 30 Prozent davon regelmäßige Kirchgänger.

Ein Kenner der Sowjetunion in Moskau, der auch Litauen schon mehrere Male bereist hat, bestätigt: „Was man in dieser Sowjetrepublik sieht, findet man sonst nirgends in der UdSSR: vor allem am Sonntag phänomenal volle Kirchen, eine tief-katholische Bevölkerung, die ihre Hirten auch finanziell, so gut es geht, unterstützt."

Hält man sich dies alles vor Augen, ist es nicht verwunderlich, daß bei den Genossen die Alarmglocken schrillen. Freilich können sie nicht offen die Mehrheit der litauischen Bevölkerung bekämpfen, zumal die sowjetische Verfassung die Gewissensfreiheit garantiert.

Dennoch ist sowjetisches Recht vielseitig anwendbar. Mit verschiedensten administrativen Mitteln ist es für den Staat sehr wohl möglich, die Tätigkeit der Religionsgemeinschaften einzuengen und gläubige Menschen zu diskriminieren. Und in Litauen werden die Bestimmungen der Religionsgesetze immer wieder mit harter Hand angewandt. Einige Beispiele:

• Während der Atheismus an den Schulen verbindlicher Unterrichtsstoff ist, sind kirchliche Versammlungen für Kinder und Jugendliche ebenso wie organisierter Religionsunterricht verboten.

Der Konflikt zwischen katholischer Kirche und Staat entzündete sich in Litauen gerade auch an der Frage des Katechismus-Unterrichtes zur Vorbereitung der Kinder auf die Erstkommunion. Schon 1970 und 1971 wurden drei Priester wegen dieses Tatbestandes vor Gericht gestellt und zu je drei Jahren Straflager verurteilt, was eine Flut von Protesten der Katholiken auslöste.

• Der Staat kontrolliert die Zahl der Priester-Kandidaten, was dazu geführt hat, daß die Zahl der Priester seit Jahrzehnten ständig gesunken ist. Für 630 katholische Kirchen stehen in Litauen derzeit etwa 700 Priester zur Verfügung (1940 waren es noch einschließlich der Ordenspriester 1451).

Dazu kommt die Amtsbehinderung, die etwa den Apostolischen Administrator des Erzbistums Vilnius, Bischof J. Steponavicius, betrifft, der seit 1961 in das kleine Dorf Zagare im Norden Litauens verbannt ist. Zwei Priester, Alf onsas Svarinskas und Sigitas Ta-mekevicius, wurden wegen „antisowjetischer Agitiation und Propaganda" zu mehreren Jahren Lagerhaft und Verbannung verurteilt.

• Streng kontrolliert wird auch der Druck und die Verbreitung elementarer religiöser Literatur. Zwar durften hin und wieder liturgische — und Gebetbücher, die Beschlüsse des II. Vatikanums, das Neue Testament sowie aus Anlaß des diesjährigen Kasimir-Jubiläums Medaillien, Karten und ein Kalender gedruckt werden, doch alles in einer geringen Auflagenhöhe, die niemals auch nur annhähernd die Nachfrage befriedigen konnte.

• Erschwert wird das Leben und Wirken der katholischen Kirche aber noch durch weitere administrative Maßnahmen: Während eine Privatperson maximal vier Kopeken für ein kWh Strom berappen muß, zahlt die Kirche 25 Kopeken; Wallfahrten oder Prozessionen wurden in den letzten Jahren verhindert, indem plötzlich Straßen wegen Bauarbeiten gesperrt wurden, keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr verkehrten oder ein Gebiet, in das die Gläubigen pilgern wollten, schlichtweg wegen Schweinepest zum Seuchengebiet erklärt wurde.

• Da die Kirche sich in allen wichtigen Fragen wie Personalwesen, Finanzen, Wirtschaftstätigkeit, Organisation (Renovierungen, Versorgung der Kirche mit Baumaterialien, Dienstreisen, Transporte), Lehranstalten und Publikationswesen an das Kirchenamt wenden muß, ergibt sich für den Staat die Möglichkeit einer umfassenden Kontrolle. # Schwierigkeiten haben natürlich auch die Gläubigen selbst, vor allem Jugendliche und Kinder, die aufgrund ihrer Religiosität kaum in führende Funktionen aufrücken können, beziehungsweise denen ihr Glaube bestimmte Ausbildungsmöglichkeiten von vorneherein versperrt.

Sieht man all diese Möglichkeiten der Kontroll- und Repressionsmaßnahmen der staatlichen Behörden, muß einem die Stärke des Katholizismus in Litauen allemal verwundern. Hier spielen die kommunistische Parteidoktrin und das innere Sicherheitsbedürfnis des Sowjetsystems zusammen, um die Religiosität in starren Bahnen zu halten und die katholische Kirche in ein strenges Korsett zu zwängen.

Aber was fürchtet die staatliche Macht so vor der katholischen Kirche, daß sie dem Papst die Einreise zu kirchlichen Feierlichkeiten wie dem 500jährigen Kasimir-Jubiläum verweigert?

Moskau hat bei seinen jetzigen Maßnahmen gewiß auch die Ereignisse in Polen von 1980/81 vor Augen, denen ja der erste Besuch von Papst Johannes Paul II. vorausgegangen war. Polen und Litauen aber teilen nicht nur über weite Strecken eine gemeinsame historische Erfahrung: Es sind auch die beiden kommunistischen Länder, in denen sich das Nationalbewußtsein am stärksten in der Religion ausdrückt.

Der Kampf um die nationale Existenz war und ist hier gleichsam identisch mit dem Kampf um den Glauben.

In ihrer Auseinandersetzung mit dem katholischen Glauben haben es die kommunistischen Machthaber in Vilnius und Moskau also nicht nur mit einem religiösen, sondern mit einem eminent politischen, nämlich mit dem nationalen Problem zu tun.

Das zeigt sich in der schon erwähnten litauischen Demographie, deren Stabilität gewiß auch mit der festen Haltung der katholischen Hierarchie gegenüber dem Problem der Geburtenregelung zusammenhängt und die ja auch bewirkt, daß die Russifizie-rungs-Versuche in dieser Sowjetrepublik nicht so recht gelingen.

Das zeigt sich aber auch, wenn der stellvertretende Kirchenamtsleiter Edvardas Juozenas österreichischen Journalisten gegenüber klagt, daß Ronald Reagan die katholische Kirche dazu benützen wolle, die nationalen Streitigkeiten in Litauen zu schüren.

Und dann bejammert der staatliche Kirchenkontrolleur noch bitter das mangelnde Engagement der katholischen Kirche in der Friedensfrage — für den Staat gleichsam ein Gradmesser der Loyalität: „Die katholische Kirche müßte in der Friedensfrage noch viel mehr leisten; sie ist zwar aktiv, aber noch viel zuwenig."

Kein Wunder, daß Juozenas unzufrieden ist. Denn im Gegensatz etwa zur orthodoxen Kirche läßt sich die katholische Kirche in Litauen nicht so ohne weiteres vor propagandistischen Friedenskarren der Sowjetunion spannen, tut gerade das, was notwendig ist, um nicht völlig in Ungnade des Kreml zu fallen.

Doch gerade dieser Mut ist es auch, der die Position der Kirche unter den Gläubigen stärkt, sie zu einem Symbol des stillen Widerstandes gegen den totalen kommunistischen Machtanspruch macht. Und insofern ist die Stärke des Katholizismus eben nicht nur ein rein religiöses, sondern auch ein politisches Phänomen. Das freilich bedeutet für die Kirche Kraft und Bürde zugleich.

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