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Vandalismus in Litauen

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In der litauischen Hauptstadt Vilnius vergeht keine Nacht, in der nicht Menschen von der Sowjetarmee zusammengeschlagen und verletzt werden. Ein Achtzehnjähriger, der sich dem Dienst in der Roten Armee entziehen wollte, wurde auf der Flucht erschossen. Vandalismus ist an der Tagesordnung: bei „Kontrollen" nehmen die Soldaten den Bürgern Geld, Autoradios oder was sonst von Wert zu sein scheint, weg.

Fernsehturm, Rundfunkstation, Pressehaus, Kommunikationszentrum, zentrales Papierlager und das

Haus des Verteidigungsrates sind noch immer von den sowjetischen Fallschirmjägern besetzt. Tausende Litauer verteidigen Tag und Nacht das Parlament, das Präsident Vytautas Landsbergis keine Minute verläßt; zum Schutz wurden Barrikaden errichtet und meterhoch Sandsäcke gestapelt. Die größte Bibliothek der Stadt wurde in ein provisorisches Lazarett verwandelt.

Dies berichtete der Oberbürgermeister von Vilnius, Arunas Gru-

madas, der am 1. Februar ein Übereinkommen mit dem Salzburger Bürgermeister Lettner unterzeichnete, das die bestehende Partnerschaft Salzburg-Litauen weiter intensivieren soll. Land und Stadt Salzburg haben mit Hilfe des Roten Kreuzes Medikamente, chirurgisches Instrumentar und Blutersatzstoffe im Wert von 2,5 Millionen Schilling nach Litauen gebracht.

Peter Krön, der die Länderpartnerschaft seit 20 Jahren mit viel Energie betreut und den Transport geleitet hat, konnte auch mit Kulturminister Kuolys zusammentreffen - dieser kam eben von der Militärkommandantur, wo er stundenlang festgehalten worden war.

Auch der Bürgermeister von Vilnius hat bereits eine Festnahme hinter sich. Die Militärs zeigen sehr deutlich, daß ihnen demokratisch gewählte Politiker nichts bedeuten. Der Kurzzeit-Ministerpräsident Simenas ist noch heute unfähig, über die zwei Tage zu berichten, während der er verschwunden war; er mußte sich - schwer geschockt - in medizinische Behandlung begeben.

Bürgermeister Grumadas, ein 40jährige Physiker und Sajudis-Mann der ersten Stunde, hat die schreckliche Nacht des 13. Jänner in seinen Amtsräumen verbracht; er und seine Mitarbeiter waren bereit, sich zu verteidigen. Für ihn steht fest, daß ein Putsch genau nach Drehbuch ablaufen sollte: Durch die Ausschaltung von Presse und Fernsehen sollten keine Nachrichten ins Ausland dringen, bis die Lage fest im Griff wäre. Der Überfall auf den Fernsehturm war strategisch genau geplant: Die Panzer hielten zunächst an einer Stelle vor der Menschenkette an, um dorthin

die Aufmerksamkeit zu lenken, und durchbrachen sie an anderer Stelle. Der Sturmangriff hatte bekanntlich 15 Tote zur Folge; die gesamte Sendeeinrichtung imWertvonmehr als 40 Millionen Rubel ist komplett zerstört.

„Der erste Plan ist nicht aufgegangen, der zweite Plan ist noch nicht klar. Ich hoffe, daß es kein blutiger Plan sein wird", schätzt Bürgermeister Grumadas die Situation ein. Daß Gorbatschow mit der Gewaltanwendung zumindest einverstanden war, steht auch für ihn fest. Und mittlerweile wissen wir, daß die Aktionen im Baltikum schon seit einem Geheimbeschluß des Moskauer ZK-Sekretariats vom 29. August 1990 vorbereitet worden waren.

Mit dem gewaltlosen Widerstand der Litauer, die bereit waren, ihr Leben zu geben, hatte man offenbar nicht gerechnet. Und daß doch eine leichte Entspannung eingetreten ist, geht wohl auf die für Litauen so wichtigen internationalen Proteste zurück. Von Amerika wird zwar vermutlich in Hinkunft diesbezüglich noch weniger zu hören sein - der Deal: Partnerschaft im Golfkrieg gegen Schweigen zum Baltikum ist recht plausibel -, aber Schritte zur diplomatischen Aner-

kennung Litauens stehen unmittelbar bevor. Ein Vertragstext mit dem russischen Präsidenten Boris Jelzin, der Litauen als unabhängige Republik anerkennt, ist bereits ausgearbeitet, dann wird die bereits ausformulierte Anerkennung durch Island folgen, Norwegen und Polen werden sich anschließen.

Litauen selbst wird am 9. Februar ein Referendum abhalten, bei dem die Wähler der Aussage „Litauen ist eine unabhängige und demokratische Republik" zustimmen oder sie ablehnen können; der Ausgang ist sicher, da auch weit mehr als 70 Prozent der in Litauen lebenden Russen und mehr als 60 Prozent der Polen für die Unabhängigkeit sind. Salzburger Landtagsabgeordnete werden wieder unter den Wahlbeobachtern sein.

Zum litauischen Nationalfeiertag am 16. Februar und zum Jahrestag der Unabhängigkeitserklärung am 11. März bereitet sich Vilnius auf ein Fest unter Beisein ausländischer Gäste vor. Bürgermeister Grumadas antwortet auf die Frage der FURCHE, ob er nicht Angst hätte, daß gerade an diesen Tagen Furchtbares geschehen könnte, mit einem litauischen Sprichwort: „Wer Angst hat vor dem Wolf, darf nicht in den Wald gehen.

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