Litauischer Mittsommer

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Am 1. Juli hat Litauen die EU-Ratspräsidentschaft übernommen. Kernthema ist die Energiepolitik - und der Wille, alles besser zu machen. Ein n-ost-Report aus Vilnius.

Der Schal leuchtet in den Landesfarben Gelb, Grün und Rot. Auf dem T-Shirt prangt ein Siebdruck des mittelalterlichen Großfürsten Vytautas. Daneben hängt eine Tasche mit dem Länderkürzel "LT“: Kein Dresscode für Rechtsradikale, sondern ein Modetrend für betuchte Litauer. Das Label "LT-Identity“ aus Vilnius’ Szene-Bezirk Uzupis entwirft Alltagsmode mit patriotischen Symbolen und landestypische Trachten. Es zeigt damit das neue Selbstverständnis der größten Baltenrepublik.

"Ich liebe mein Land und bin stolz darauf“, sagt Jolanta Rimkute, die in dem kleinen Verkaufsraum steht und einige Kleider hochhält. Zusammen mit einer Freundin gründete sie das Label vor zehn Jahren und führte es durch die Finanzkrise, in welche die Baltenrepublik in den Jahren 2008 und 2009 geriet.

Litauen hat als erstes postsowjetisches Land am 1. Juli für ein halbes Jahr die EU-Ratspräsidentschaft übernommen. Obwohl es nicht zur Euro-Zone gehört, sieht es sich als Vorbild für die südeuropäischen Krisenstaaten. Denn Litauen hat selbst vor vier Jahren eine schwere Wirtschaftskrise gemeistert: Um fast 14 Prozent schrumpfte die Wirtschaftsleistung im Jahr 2009, ein Jahr später lag die Arbeitslosigkeit bei fast 18 Prozent und setzte eine Auswanderungswelle in Gang.

Kürzungen für Wachstum

Radikale Reformen, wie Gehaltskürzungen im öffentlichen Dienst, brachten die junge Demokratie wieder auf Wachstumskurs. "Wir haben eine bittere Pille schlucken müssen, aber wir taten es zur richtigen Zeit“, sagt Petras Austrevicius, liberaler Parlamentsabgeordneter, der vor neun Jahren die Beitrittsverhandlungen zur EU führte. Jetzt sei Litauen in einer besseren Verfassung als vor der Krise, "das kann eine Lektion für alle Mitgliedsstaaten sein.“

Litauen sieht sich aber auch als Brückenland zu den Anrainerstaaten östlich der EU-Außengrenze. "Wir kennen Belarus oder die Ukraine besser als die Westeuropäer“, sagt Palmira Krupenkait˙e, Journalistin bei der Tageszeitung Lietuvos zinios. Auf die Agenda des Ratsvorsitzes setzte Litauen neben der Arbeit an einer Europäischen Wirtschaftsregierung und dem EU-Finanzrahmen 2014-2020 deshalb auch eigene Schwerpunkte: Angesichts der Abhängigkeit vom russischen Gas das Thema Energiesicherheit und die Östliche Partnerschaft.

Das ist auch ein innenpolitisch heißes Thema, wie sich auch dieser Tage in Vilnius ablesen lässt. Bürger kommen jeden Tag um die Mittagszeit vor den prächtigen Präsidentenpalast im Herzen von Vilnius. Mit Pastellkreiden malen die Frauen und Männer Pflastersteine aus, bis nach gut einer Stunde das Wort "Gerechtigkeit“ zu lesen ist.

Die Demonstranten verlangen von Präsidentin Dalia Grybauskait˙e und deren Regierung, Wort zu halten, sagt eine junge Frau. "Im Oktober haben die Litauer gegen ein neues Atomkraftwerk gestimmt, aber die Regierung will es trotzdem bauen.“ Ohne die Bürger zu fragen, soll jetzt auch noch mit unterirdischen Sprengungen, dem sogenannten Fracking, Schiefergas gefördert werden, mischt sich wütend ein Mann ein.

Die Frage, woher Litauen seine Energie bezieht, sorgt in dem kleinen Baltenstaat regelmäßig für hitzige Debatten. Bislang ist die ehemalige Sowjetrepublik abhängig von Energieimporten aus Russland. Aus dieser Abhängigkeit will sie sich so schnell wie möglich befreien. Die Frage ist nur: Wie? Vor vier Jahren musste Litauen seinen alten Kernreaktor Ignalina im Osten Litauens abstellen. Das hatte Brüssel verlangt, weil Ignalina baugleich mit dem Unglücksreaktor von Tschernobyl war. Seitdem muss Litauen sowohl Strom als auch Gas aus Russland beziehen. Trotzdem lehnten bei einer Volksbefragung im vergangenen Jahr 63 Prozent der Litauer einen neuen 1,7 Milliarden Euro teuren Atommeiler ab. Eine Mehrheit der Litauer ist dafür, Gebäude zu sanieren, Energie zu sparen und auf die Erneuerbaren zu setzen.

Längst hat eine Arbeitsgruppe Litauens Energiestrategie ohne Atomkraft entwickelt. Experten hätten deutlich vorgerechnet, dass der Ausbau von Wind, Wasser und Biomasse viel effizienter sei. Litauen könnte seine Blockheizwerke auf Biomasse umrüsten und auf diesem Gebiet neue Arbeitsplätze schaffen. Die Regierung setzt aber auch auf den amerikanischen Chevron-Konzern, der im Südwesten Litauens auf der Suche nach dem umstrittenen Schiefergas ist. Gerade vor dem Hintergrund der litauischen EU-Ratspräsidentschaft müsse Europa daran festhalten, dass Strom bezahlbar bleibt.

Atomkraft und Gas

"Wenn wir keine billige Energie haben, werden wir europaweit keine Jobs schaffen können. Atomkraft und Gas sind das Rückgrat der europäischen Energiepolitik. Ansonsten wird Europa weltweit nicht konkurrenzfähig bleiben“, sagt Regierungsberater Udrenas.

Die Demonstranten vor dem Präsidentenpalast lassen sich davon nicht beirren. Sie erwarten während der EU-Ratspräsidentschaft hohen Besuch aus ganz Europa. Nach ihrem Willen sollen Politiker und Experten Litauen von den erneuerbaren Energien überzeugen.

Bei der Beantwortung dieser Frage spielt Europa und der gemeinsame Energiemarkt eine nicht unbedeutende Rolle. Auch deshalb sind die Erwartungen in die EU-Präsidentschaft groß.

Erwartungen weitaus breiterer Natur hegt auch Vytautas Leˇskeviˇcius, Staatsekretär im Außenministerium. "Ein Staat wird erst als EU-Voll-mitglied betrachtet, wenn er den Rat einmal führt“, sagt er. "Wir bereiten uns seit langer Zeit darauf vor.“ Vor zu vielen Erwartungen dagegen warnt Politikprofessor Ramunas Vilpidauskas. Nicht nur, weil das Land mit gerade drei Millionen Einwohnern und als Nicht-Euroland nur wenig Gewicht innerhalb der Staatengemeinschaft hat. Die EU-Ratspräsidentschaft sei nur in einem geringen Maße dazu da, die nationalen Bedürfnisse zu artikulieren.

Ob EU-Ratspräsidentschaft oder nicht, der Betrieb in dem kleinen Modelabel "LT-Identity“ in Uzupis am Rand der Altstadt von Vilnius geht weiter. An große Sprünge glaubt Verkaufsmanager Rokas Jurkevicius allerdings nicht. Die Mode sei zu bunt, westliche Touristen würden lieber traditionelle Leinenkleidung kaufen.

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