Ein geisterfüllter Augenblick

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Bei der Salzburger Delegiertenversammlung zum „Dialog für Österreich“ fand wirklich das Gespräch zwischen den Lagern statt. Leider ohne Folgen.

Es war noch einmal der Versuch eines „konziliaren Prozesses“, erinnert sich Fery Berger heute. Der steirische Theologe und Initiator des „Weizer Pfingstereignisses“ war einer der gut 280 Delegierten bei der abschließenden Versammlung zum „Dialog für Österreich“, die Ende Oktober 1998 in Salzburg stattfand. „Konziliarer Prozess“ – damit waren in jenen Jahren Diskurse und Diskussionen gemeint, die sich am Modell des II. Vatikanums orientierten und die – zumindest im katholischen Bereich – Kirche heutig machen sollten, sozusagen fit für die Gegenwart und gerüstet für die Zukunft. Und wesentlich: Nicht nur die Hierarchie sollte nachdenken; eine breite Auseinandersetzung des ganzen „Gottesvolkes“ über die Zukunft der Kirche war ein typisches Merkmal solchen Prozesses.

„Demokratisch“ war die Zusammensetzung dieser Versammlung nicht, denn die Delegierten waren von den Bischöfen „handverlesen“ – sozusagen das katholische Aktivsegment. Aber es war gelungen, die unterschiedlichen Strömungen und Begabungen in der Kirche – von den sehr Konservativen bis zu den „Kirchenvolks-Begehrern“ – hier zu versammeln. Gemeinsam mit den 15 Bischöfen des Landes – ausgenommen deren Vorsitzendem Kardinal Christoph Schönborn, denn der war am Vorabend der Versammlung ernstlich erkrankt.

Überwältigende Mehrheiten für moderate Reformen

Es war für alle Beteiligten ein geisterfüllter Augenblick, denn die Proponenten der zerstrittenen Lager waren zum Gespräch bereit, die Vorsichtigen wurden mutiger, die Reformbegehrer konzilianter. So ist es zu erklären, dass 35 Voten, vornehmlich zu kirchlichen Reformthemen, mit überwältigenden Mehrheiten verabschiedet wurden: Je 75 Prozent votierten für Frauengleichberechtigung in der Kirche, für Priesterweihe bewährter verheirateter Männer, für „Achtung“ für Homosexuelle, für Gewissensentscheidung bei der Empfängnisverhütung; je vier Fünftel der Delegierten waren für die Zulassung von Frauen zum Diakonat und von Laien für die Spendung der Krankensalbung; über 90 Prozent votierten für die Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zu den Sakramenten und für die Mitwirkung der Ortskirche an den Bischofsernennungen. Zwei der Voten wurden einstimmig verabschiedet – die Ablehnung aktiver Sterbehilfe und das Eintreten für den arbeitsfreien Sonntag: Es gab also Themen, welche die gesamte Versammlung einten.

Die Ereignisse von Salzburg, 24. bis 26. Oktober 1998, waren eine Folge der dramatischsten Entwicklung, denen sich die katholische Kirche Österreichs nach 1945 gegenübersah. Nach den Missbrauchsvorwürfen gegen den Wiener Kardinal Hans Hermann Groër 1995 und dem im Sturm der Entrüstung so erfolgreichen Kirchenvolks-Begehren, hatte es verschiedene Versuche gegeben, die katholische Kirche des Landes wieder in ruhige Fahrwasser zu bringen. Für 1998 hatte dazu Bischofsvorsitzender Johann Weber den „Dialog für Österreich“ ausgerufen, um vor allem gesellschaftspolitische Fragen zu diskutieren.

Ein „Dialog“ neuer Dimension

Doch im Jänner 1998 tauchten neue Vorwürfe gegen den da längst emeritierten Wiener Erzbischof auf, die Wogen öffentlicher Erregung kochten daraufhin so wie drei Jahre zuvor. Im Februar stellten die (Erz-)Bischöfe Schönborn (Wien), Eder (Salzburg), Weber (Graz) und Kapellari (Klagenfurt) in einer Erklärung fest, dass die Vorwürfe gegen Kardinal Groër „im Wesentlichen zutreffen“ würden. In der Folge versuchte Bischof Weber, noch bis Juni 1998 Vorsitzender der Bischofskonferenz, gemeinsam mit der Katholischen Aktion, den „Dialog für Österreich“ zu einem echten Diskussionsprozess zu gestalten: Alle Katholiken sollten sich einbringen können. Viele folgten der Einladung, Themen und Diskussionspunkte durch Eingaben zu formulieren – zur allgemeinen Überraschung war die überwältigende Zahl dieser Eingaben Fragen der Kirchenreform gewidmet; gesellschaftspolitische Themen spielten eine marginale Rolle: Österreichs Katholiken wollten, das war schon nach den Eingaben abzusehen, Fortschritte in der Kirchenreform.

Die Eingaben wurden gesichtet, in zwölf Themenkörbe geordnet und in einem Arbeitsdokument gebündelt, das die Grundlage für die Beratungen der Salzburger Delegiertenversammlung zum „Dialog für Österreich“ darstellte. Jeder Diözesanbischof nominierte – in unterschiedlichen Verfahren – Delegierte, die an dieser bislang letzten repräsentativen Kirchenversammlung Österreichs teilnahmen, die eben vom 24. bis 26. Oktober 1998 in Salzburg stattfand. Die 280 Delegierten berieten und stimmten „Voten“ ab, die den Bischöfen, die mitdiskutierten, aber nicht mitstimmten, übergeben wurden. Das Ergebnis dieser offiziell als „Meinungsbilder“ apostrophierten Abstimmungen waren das nochmals überraschende wie überwältigende Eintreten für Forderungen mit Augenmaß in Richtung Kirchenreform.

Dem Geist dieser Stunden von Salzburg folgten die Mühen der Ebene und die Ernüchterung, dass sich das österreichische Kirchenvolk zwar einig in seinem – moderaten – Reformbegehren war, nicht aber die Leitung der Kirche, sowohl in Österreich als auch in Rom. Auch Fery Berger resümiert 10 Jahre später, dass das meiste nicht durchzusetzen, aber auch bei den ambitionierten Wünschen, die sich nicht auf die sogenannten „heißen Eisen“ der Kirchenreform bezogen, nicht durchzuhalten war. Aber, so Berger, es gab doch Impulse, die vom „Dialog für Österreich“ weitergingen. So erinnert sich der oststeirische Theologe an die Arbeitsgruppe „Jugend“, in der er damals mitgearbeitet hat, und für deren allgemeines Ergebnis einer „Option für die Jugend“ 93 Prozent der Delegierten votierten: Die dieser Tage wiederum von katholischen Jugendorganisationen propagierte Aktion „72 Stunden ohne Kompromiss“, bei der sich Jugendliche zu einer gemeinnützigen Tätigkeit für 72 Stunden zusammenfinden, wurde, so Berger, schon in dieser Arbeitsgruppe vorgedacht.

Solche Früchte des „Dialogs für Österreichs“ gibt es, sie sind unter dem Strich aber unspektakulär geblieben. Das einzige Votum von Salzburg, das vollinhaltlich umgesetzt wurde, war die Anregung eines gemeinsamen Sozialworts aller Kirchen Österreichs. Dieses Projekt wurde in einem mehrjährigen Prozess entwickelt, der mit der Veröffentlichung des „Ökumenischen Sozialworts“ 2003 erfolgreich zum Abschluss gebracht wurde.

Kirchenreform: zehn Jahre keine Bewegung

Bei den innerkirchlichen Reformthemen hat sich nach dem „Dialog für Österreich“ hingegen nichts bewegt. Bis heute, zehn Jahre danach, nichts. Der damalige St. Pöltner Bischof Kurt Krenn, mediale Speerspitze konservativer Hardliner in der Kirche, hatte es bald nach der Delegiertenversammlung knapp auf den Punkt gebracht: „Der Dialog ist tot.“ Seit damals sind die Probleme, die 1998 als „kirchlicher Reformstau“ bezeichnet wurden, nicht gelöst. Es findet sich zurzeit nur keine wirkliche Lobby, dies innerhalb der katholischen Kirche auch breit zu thematisieren.

Fery Berger, der seit 1998 mit seinem „Weizer Pfingstereignis“ eine Reihe von Initiativen aus einem kirchlichen, aber keinem binnenkirchlichen Engagement heraus gestartet hat, die gesellschaftspolitische Anliegen wahrnehmen, sieht in seiner täglichen Arbeit, dass die Fragen, die auch beim „Dialog für Österreich“ unter den Nägeln brannten, weiter ungelöst sind: Die priesterlosen Gemeinden etwa sind heute mehr denn je bittere Realität. Schon von daher ist etwa das Problem des Pflichtzölibats für Priester auf der Tagesordnung. „In den priesterlosen Gemeinden bieten sich Leute an, die für das Amt geeignet sind“, sagt Berger, und spielt auf das Modell der Viri Probati an, also der „bewährten Männer“, die Priester werden sollten.

Zu viele Fragen mit „Frustrationspotenzial“

Diese Forderung der Delegiertenversammlung von Salzburg bleibt weiter virulent. Wie kann es aber weitergehen? Fery Berger meint, die Klage vieler Engagierten, der „Dialog für Österreich“ sei im Sand verlaufen, habe auch damit zu tun, dass dabei zu viele „Fragen mit Frustrationspotenzial“ angesprochen worden seien: „Die Wahrheit muss immer ausgesprochen werden“, so Berger, „aber man darf davon nicht gegenabhängig sein.“

Der Initiator des „Weizer Pfingstereignisses“ meint damit, dass es unabhängig von der kirchlichen Reformlage notwendig bleibt, als Christ zu handeln. In fünf Jahren würde sich der kirchliche Horizont „völlig anders darstellen“. Berger spielt auf die Wirtschafts- und die Ökologiekrise an, in der Region Weiz sei das schon heute hautnah zu spüren. Die Christen müssten „vor Ort da sein“ – auch gesellschaftspolitisch.

Christen sollten wieder öffentlich Partei ergreifen: „Man muss wissen, wo wir stehen.“ Dass er hier gerade das Engagement der Kirchenleitung einmahnt, muss Fery Berger da nicht extra betonen.

FURCHE-Religionsressortleiter Otto Friedrich war 1998 Vizepräsident der Katholischen Aktion Österreich und Ko-Autor des Arbeitsdokuments für die Salzburger Delegiertenversammlung.

„Die zerstrittenen Lager waren zum Gespräch bereit, die Vorsichtigen wurden mutiger, die Reformbegehrer konzilianter.“

„Die Christen müssen vor Ort da sein – auch gesellschaftspolitisch. Sie sollen wieder öffentlich Partei ergreifen: Man muss wissen, wo wir stehen.“

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