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Zuflucht bei der Mariazeller Gottesmutter

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Ein Jahr nach dem „Begehren”: Die Glaubwürdigkeit der Kirche hängt davon ab, wie sie mit ihren Konflikten umgeht.

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Ein Jahr nach dem „Begehren”: Die Glaubwürdigkeit der Kirche hängt davon ab, wie sie mit ihren Konflikten umgeht.

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Sie bewegt sich, auch wenn ihr innerer Zustand alles andere als rosig ist. Die katholische Kirche Österreichs kämpft noch immer mit gewaltigen Akzeptanzproblemen. Nach dem unerquicklichen „Fall Groer” sollte vor einem Jahr die Gunst der Stunde genutzt werden, den aufgestauten Unmut in einem von vielen längst erwünschten Reformschub zu lenken. Von einem frischen Wind, von randvoller Fjneue-rungsenergie, die in einen Österreich-weiten synodalen Vorgang münden sollte, war im Zuge des „ Kirchen-volks-Begehren” und der „Weizer Pfingstvision” die Rede.

Was ist daraus geworden? Die Bischofskonferenz hatte die Chance, die weithin aus der Hand gegebene Leitung der Kirche wieder an sich zu ziehen, nachdem ihr viele Themen und das Tempo der Beformen von den Unterschriftensammlern vorgegeben waren. Doch die Kompromisse gedeihen schwer, da einstimmige Beschlüsse nur auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner möglich sind. Zu tief durchziehen die Gräben der Polarisierung das Gremium. Zwar sind Reformprozesse in einzelnen Diözesen möglich, doch von einem eigenständigen Auftreten der Kirche Österreichs, wie zu Zeiten Kardinal Franz Königs, kann schon lange nicht mehr gesprochen werden.

Als ersten und vorerst einzigen landesweiten Schritt als Reaktion auf das „Kirchenvolks-Begehren” einigten sich die Bischöfe auf eine Wallfahrt nach Mariazell Anfang September. 1998 sollte ein „Österreichweiter Beratungsvorgang”, eine „Delegiertenversammlung” folgen. Dazu müsse er aber noch die Zustimmung seiner Amtskollegen einholen, wie der Vorsitzende der Konferenz, der Grazer Bischof Johann Weber, erklärte.

Und so konzentrieren sich die Bemühungen zunächst auf die „Wallfahrt der Vielfalt”, die in der ersten

Septemberwoche mit zahlreichen Gottesdiensten, Gesprächen und Begegnungen in den Diözesen startet. Vom 5. bis 7. September findet in Gö-sing eine Fachtagung statt. Dabei werden die Bischöfe mit 40 Experten zwar nicht interne kirchliche Fragen wie das „Kirchenvolks-Begehren” behandeln, sondern den Standort der Kirche in einer veränderten politischen Landschaft neu überdenken. Die Versammlung dient als Auftakt zu einem mehrjährigen Diskussionsprozeß, an dessen Ende ein Hirtenbrief der Bischöfe zu diesem Thema stehen könnte, sofern sie sich auf einen gemeinsamen Text einigen. Die eigentliche Wallfahrt beginnt am 6. und 7. September an 12 Orten rund um Mariazell (Programm siehe Kasten).

Bischof Weber hat große Hoffnungen: „Es soll ein Fest der Begegnung sein, über alle bestehenden Strukturen, kirchlichen Gartenzäune hinweg.” In der Kirche Österreichs sollte eine neue Gesprächs- und eine Konfliktstruktur entstehen. Weber hofft, daß der Konservativste und Progressivste in Mariazell miteinander beten und streiten können.

Ehrlicher Dialog statt Festnageln

Wie schwierig dies mitunter sein kann, wird am kommenden Sonntag, am 16. Juni, deutlich. An diesem Tag kommen Befürworter und Gegner des „Kirchenvolks-Begehrens” nach Linz. Zusammenstöße sind jedoch nicht zu befürchten. Während die einen die Innenstadt bevölkern, treffen sich die anderen am zwei Kilometer entfernten Pöstlingberg. Die Initiatoren des „Kirchenvolks-Begehrens” wollen mit der Versammlung in Linz ihren Forderungen Nachdruck Verleihen (siehe Kasten). „Die Gläubigen sind mündiger geworden, sie trauen sich, Kritik anzubringen, und lassen sich nicht mehr so schnell abwimmeln”, betont deren Sprecher Thomas Plankensteiner. Allein im deutschsprachigen Raum setzten 2,3 Millionen Menschen mit ihrer Unterschrift ein nicht mehr zu überhörendes Signal. In elf Ländern finden ähnliche Begehren statt. Beim eigentlichen Adressaten der Anliegen, dem Vatikan, herrscht nach wie vor Funkstille. Doch dies ist für die Initiatoren noch lange kein Grand zur Resignation. In Arbeit ist ein „Herdenbrief” zum Thema „Liebe-Eros-Sexualität”, der im Herbst an die Bischöfe versandt werden soll. Die Plattform hat außerdem Blätter für Frauen aufgelegt, die sich zur Priesterin, Diakonin oder Gemeindeleiterin berufen fühlen.

Dem „Linzer Priesterkreis”, einer in Oberösterreich tatigen konservativen Vereinigung von Seelsorgern, sind solche Aktionen ein Dorn im Auge. Deren Sprecher, Pfarrer Johann Enichlmayr aus Oberkappel (dem Geburtsort von Bischof Krenn), ruft daher zum Bosenkranzgebet und einer Heiligen Messe am Pöstlingberg auf: „Wir wollen ein Zeichen setzen für die notwendige Neu-Evange-lisierang der Kirche und wir wollen ein Sprachrohr sein für jene 90 Prozent der österreichischen Katholiken, die das Volksbegehren nicht unterschrieben haben.”

Zeigt das Gegenüber dieser beiden Veranstaltungen, daß Progressive und Konservative nur bedingt an einem Gesprächsprozeß interessiert sind, sich vielmehr in ihren Positionen festnageln und davon keinen Millimeter abweichen? Ob die Gräben in Mariazell bei der „Wallfahrt der Vielfalt” überwunden werden, ist fraglich. Wenn sich die Bischöfe schon für den Weg des „miteinander Betens und Streitens” entschieden haben, sollten sie dann nicht konsequenterweise selbst mit gutem Beispiel vorangehen? Wenn sie schon die Katholiken zu einer neuen Streit- und Konflikt-Struktur auffordern, warum gibt es dann in Mariazell beispielsweise keine offene und ehrliche Diskussion zwischen dem St. Pöltner Bischof Kurt Krenn und seinem Eisenstädter Mitbruder Paul Iby über die Punkte des „Kirchenvolks-Begehrens”?

So rät der Linzer Bischof Maximilian Aichern in seinem jüngsten Fastenhirtenbrief: „Die Glaubwürdigkeit der Kirche wird nicht zuletzt davon abhängen, wie sie mit Konflikten im kirchlichen Leben umgeht. In Ernsthaftigkeit sollen die Fragen behandelt werden, die heute über den künftigen Weg der Kirche aufgeworfen werden.”

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