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Reif auf Rumäniens Frühling
Mit einer nicht zu überhörenden Deutlichkeit drohte der rumänische Parteichet Ceausescu den Schriftstellern, beim 25. Jahrestag der ersten legalen Ausgabe des Parteiorgans „Scinteia” (am 25. September d. J.), daß das bisher geduldete Spiel mit der Freiheit nun zu Ende ist. Vor viereinhalb Jahren hatte er gleich nach Übernahme der Parteiführung die Mannigfaltigkeit der Stile gefördert und schien somit das Ende des berüchtigten sozialistischen Realismus zu verkünden. Die Folge war, daß die zaghaften und zarten Knospen einer wahren Dichtung binnen kurzer Zeit zu einer erstaunlichen Blüte gelangen konnten. Der Erneuerungsgeist schien dann im vergangenen Jahr auch die Prosa endlich zu befruchten.
Auch ein Frühling
Der Aufschwung der Dichtung war auf eine Befreiung der jungen Dichtergeneration von der Diktatur der Kulturfunktionäre infolge einer regelrechten Hinwegsetzung zurückzuführen, die von der Parteiführung hingenommen wurde, vermutlich wed. sich dieser Aufstand vornehmlich gegen die für die stalinistische Kulturpolitik verantwortliche „Alte Garde” richtete und somit in das Konzept des neuen Parteichefs paßte. Die Auflehnung gegen die Kulturfunktionäre wurde aber auch deshalb hingenommen, weil ihre Träger, die jungen Dichter, zum Unterschied zu der älteren Generation, völlig im Sozialismus aufgewachsen und sich zum Marxismus-Leninismus und zur Partei bedingungslos bekannten. Es war theoretisch Gewähr gegeben, daß sie gegen die Gefahr einer Ansteckung durch bürgerlichen Ideen immun-sein würden.
Der Freiheitsanspruch der Geistesschaffenden kam in Allegorien zum Ausdruck, wie in der Dichtung „Der Weg” von Marin Sorescu, gemeint war der Zwiespalt zwischen dem denkenden Menschen und der Maschine.
Die Auseinandersetzung mit den Kulturfunktionären schien im vergangenen Jahr zu Gunsten der Schriftsteller entschieden zu werden, als die Leitungen des Schriftstellerverbandes und der bedeutendsten Literaturzeitschriften abgelöst wurden. Die neuen Männer besaßen das Vertrauen der Schriftsteller. Die Parteiführung verlangte jedoch für diese Genugtuung eine Gegenleistung, das Aufräumen einer Reihe von Erscheinungen, die mit steigendem Unbehagen registriert worden waren. Seit einem Treffen des Parteichefs Ceausescu mit dem damaligen Vorstand des Schriftstellerverbandes, im Mai vergangenen Jahres, hat es an Alarmsignalen nicht mehr gefehlt. Der Raum erlaubt uns nicht, alle Unzufriedenheitsgründe anzuführen und noch weniger zu erläutern.
Die Partei versuchte zuerst, die Entwicklung wieder in die gewünschten Bahnen durch gezielte Diskussionsbeiträge der Kritiker und eines Teiles der Schriftsteller zu lenken, erreichte aber eher einen erneuten Aufstand gegen die Kulturfunktionäre, die offen beschuldigt wurden, ihre persönliche Kunstvorstellungen als Ideologie der Partei vorzutäuschen.
Die kalte Dusche
Zwei Wochen später nahm jedoch Parteichef Ceausescu in der eingangs erwähnten Rede eindeutig Partei für die Kulturfunktionäre. Unmißverständlich sagte er: „Alle Zeitschriften müssen die Auffassungen und den Standpunkt der politischen, sozialen und kulturellen Organe widerspiegeln, denen sie gehören” (Scinteia, 26. 9. 1969). Zur Begründung dieses Urteilsspruches, hatte Ceausescu den Freiheitsanspruch der Schriftsteller folgendermaßen zurückgewiesen: „Es gibt auf dem Gebiet der Kunst und Kultur gewisse Genossen, die möchten, daß unsere Zeitschriften ihre Werke ohne Unterscheidungsvermögen veröffentlichen, … die meinen, daß Pressefreiheit mit der Möglichkeit gleichzusetzen ist, diesen Zeitschriften einen ihrem Standpunkt, ihrer Willkür entsprechenden Inhalt zu geben.”
Dabei fiel auch das ominöse Wort von einer „realistischen Kultur”, die von den Literatur- und Kunstzeitschriften nach dem Wunsch des Parteichefs mit mehr Standhaftigkeit zu fördern ist.
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