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Laute Rufe nach Demokratie
Kim II Sung, der rote Tyran -► nenmonarch Nordkoreas, wußte sehr wohl, wohin er seine Landsleute zur Kaderausbildung schickte: Entweder in das Reich des Conducators Nicolae Ceausescu oder eben zum Busenfreund Todor Schiwkoff. Seitdem der Bulgare aber entmachtet und letzte Woche sogar aus der KP ausgeschlossen wurde, fordert Sung alle Studenten und Arbeiter umgehend auf, nach Hause zu kommen.
Aber sie wollen nicht. Einmal dem koreanischen Stalinismus entronnen und zum ersten Mal in ihrem Leben Zeugen einer demokratischen Rebellion bitten sie nun in Bulgarien um Asyl. Und die gerade erst aus der Taufe gehobene „unabhängige studentische Vereinigung“, die Gruppe „Ökoglasnost“ und das oppositionelle Sammelbecken „Union der demokratischen Kräfte“ leisten entsprechende Unterstützung.
Was in Sofia vor zwei Jahren als Netz von Klubs in Privatwohnungen begann, bei denen jeder jeden kannte und deren Mitgliedschaften sich weitgehend überschnitten, schwillt jetzt - Leipzig und Prag immer vor Augen - zu eindrucksvollen politischen Organisationen an. Aus dem „verschlafenen“ Balkanstaat sieht man auf einmal Bilder friedlicher Demonstranten, die zum „Tag der Menschenrechte“ am 10. Dezember ein überdimensionales Stalin-Porträt tragen - den Diktator mit Augenklappe und Nazi-Armbinde. Neben der Staatsflagge werden blaue Europa-Fahnen mitgeführt als Zeichen, daß man dazugehört und die geographische Entfernung als „balkanisches Hinterzimmer“ die historische Wende entstelle.
Die Wandlungen der alleinherrschenden Kommunisten sind in der Tat beachtlich. Sie überrumpelten die Opposition, nahmen ihr viel Wind aus den Segeln, bevor sie sich überhaupt eigene Programme ausarbeiten konnte. Seit vergangener
Woche gilt: Die führende Rolle der KP wird aus der Verfassung gestrichen, für Ende Mai sind freie und demokratische Wahlen ausgerufen. Eine Palastrevolte brachte die versteinerten Verhältnisse zum Tanzen.
Der 78jährige Schiwkoff, der 35 Jahre lang an der Spitze von Partei und Staat gestanden war, wurde gestürzt, weil er an der Politik der Zwangsbulgarisierung festhalten wollte, die 300.000 Volkstürken aus dem Land getrieben und die Wirtschaftskrise dramatisch verschärft hatte. Und dies obwohl ähnlich wie beim Nachbarn Rumänien in ländlichen Regionen Bauern nachts ihre Wohnungen nur begrenzt beheizen dürfen, allgemeine Energie- und Stromsperren zum Alltag gehören.
Im Agrarland Bulgarien verschlechterte sich die Versorgung mit
Grundnahrungsmitteln außerordentlich. So rufen selbst in entlegenen Dörfern neugegründete Bewegungen zu Kundgebungen auf. Sie nennen sich in sowjetischer Anlehnung einfach „Perestrojka-Clubs“ oder „Glasnost-Komitees“ und fordern eine Beschleunigung des Reformprozesses. Inwieweit es sich dabei wirklich um „freie“ Vereinigungen handelt oder doch um von Reformkreisen innerhalb der Partei initiierte Gruppen, sei dahingestellt.
Schiwkoff-Nachfolger Mladenof f hat auf jeden Fall die Lehren aus den Vorgängen in anderen realsozialistischen Ländern gezogen und versucht, das Tempo der Erneuerung selbst zu bestimmen und nicht anderen Kräften zu überlassen, die dann über Nacht die Kommunisten hinwegfegen könnten. Angesichts der traditionell passiven Haltung der Bulgaren und des Fehlens einer Tradition des zivilen Ungehorsams ein geschickter Schachzug. Vielleicht eben auch der einzig gangbare, um die Erneuerung nicht im Chaos enden zu lassen. Der Nachbar Jugoslawien bietet dafür ein erschreckendes Beispiel.
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