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Moglichkeiten einer politischen Kontrolle

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Einige Bemerkungen zur „Fragestunde im Kreuzfeuer“: Fischer sieht in der Fragestunde eine Aktualisierung des parlamentarischen Geschehens, die „nicht zuletzt in vielen Fällen zu einer konkreten und plasti-schen Konfrontation der Auffassung eines Regierungsniitgliedes mit der Auffassung eines anfragenden Abgeordneten geführt“ hat. Damit wird das Wesen der Fragestunde verkannt; das Kontrollrecht des Parlaments und das Fragerecht eines einzelnen Abgeordneten dient wohl nicht dazu, Auffassungen zu konfrontieren. Der Abgeordnete hat die Möglichkeit, die Auffassung des Ministers in konkreten Fragen der Vollziehung kennenzulernen, würde aber die verfassungsmäßige Rolle der Legislative durch seine Aktivität vorwegnehmen, wenn er durch eine mündliche Anfrage seine Auffassung von der Vollziehung auf diese Weise dem Minister aufdrängen wollte. Dazu dienen die Beschlüsse des Nationalrates, deren Zustandekommen im Geschäftsordnungsgesetz beschrieben ist. Bedauerlich ist in diesem Zusammenhang, daß auf Grund der Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit unter den Kontrollrechten des Nationalrates in der letzten Zeit nur noch die Fragestunde gesehen wird. Im Handbuch des österreichischen Verfassungsrechtes (Adamovich — Spanner,

5. Auflage, Wien 1957) werden im

6. Hauptstück unter dem Titel „Die Kontrolle der Gesetzgebung und Vollziehung“ drei Arten aufgezählt: Die politische, die finanzielle und die rechtliche Kontrolle. In diesem Zusammenhang darf die rechtliche Kontrolle wohl außer acht gelassen werden, da sie von der Ebene der politischen Diskussion gehoben ist (durch verfassungsrechtliche und einfachgesetzliche Regelung). Unter die politische Kontrolle fällt das Interpellationsrecht (mündliche und schriftliche Anfragen), das Resolutionsrecht (Entschließungen), das Petdtionsrecht, das Enqueterecht und das Mißtrauensvotum. Diese fünf Möglichkeiten einer politischen Kontrolle müssen im gesamten gesehen werden, wenn vom Kontrollrecht des Nationalrates die Rede ist.

Das Interpellationrecht wird unter anderem auch durch die Abhaltung der Fragestunde verwirklicht. Bei Einführung der Fragestunde waren wohl auf politischer Ebene zwei Gesichtspunkte für deren Verankerung maßgebend:

1. Das Parlament war durch Koalition und Koalitionsausschuß weitgehend vom wirklichen politischen Leben ausgeschaltet.

2. Anläßlich der jährlichen Budgetdebatte stellten die Abgeordneten eine Reihe von Anfragen an den Minister, die nicht unbedingt im direkten Zusammenhang mit dem Bundesflnanzgesetz standen.

Aus der Debatte zur Einführung der Fragestunde ist klar zu entnehmen, daß beide Gesichtspunkte da'-als entscheidend waren. Die Öffentlichkeit verlangte vom Parlament, daß es trotz der gegebenen politischen Situation, die den Nationalrat zum Notar für die Vereinbarungen des Koalitionsausschusses abgestempelt hatte, Aktivitäten seiga

Die Belebung des Parlamentarismus wird in Hinkunft nicht nur von der Fragestunde zu erwarten sein. Der Parlamentarismus wird in Österreich auch nicht im Bereich der Fragestunde zu verteidigen oder auszubauen sein, sondern es wird einer ganz anderen Einstellung bedürfen, die nicht nur bei den Abgeordneten, der Bundesregierung oder anderen Institutionen zu suchen sein wird, sondern auf breitester Basis beim Staatsbürger selbst geweckt werden muß. Die Belebung des Parlamentarismus wurde auch nicht 1961 durch die Einführung der Fragestunde erreicht, sondern ist ein Ergebnis aus den Entscheidungen nach dem Wahlergebnis des 6. März 1966. Da erst ein Jahr vergangen ist, in dem neue Spielregeln gegolten haben, darf man auch die Kritik an der Fragestunde als eine Diagnose der Kinderkrankheit der parlamentarischen Praxis bezeichnen.

Die Fragestunde findet schon deswegen besondere Aufmerksamkeit, weil sie vor Eingehen in die Tagesordnung abgehalten wird, weil die Themen kurz und prägnant sein müssen und weil ein Großteil der Fragen von der Öffentlichkeit leicht mitverfolgt werden kann. Das schlägt sich auch in der Berichterstattung der Tageszeitungen nieder. Die Probleme des Parlamentarismus in Österreich können aber nicht an der Fragestunde ausdiskutiert werden. Das notwendige Gespräch über entscheidende Fragen der Zukunft Österreichs wird wohl auch nicht dadurch zu erzielen sein, wenn man die Zahl der möglichen Zusatzfragen erweitert oder gar die Begrenzung fallen läßt. Probleme kann man nur dann ganz ausdiskutieren, wenn ein Weg gewählt wird, der der parlamentarischen Willensbildung entspricht. Die Fragestunde ist nicht einmal Bestandteil der Tagesordnung; die Tagesordnung aber ist das Arbeitsprogramm des Parlaments. Will man politische Probleme im Parlament besprechen, bestehen für Regierung, Regierungspartei und Opposition andere Möglichkeiten der Geschäftsordnung.

In der Öffentlichkeit kann durch die Einseitigkeit dieser Diskussion der Eindruck entstehen, daß die Abgeordneten nur über den Weg der Fragestunde die Möglichkeit haben, Auskünfte von der Bundesregierung zu erhalten. Man vergißt dabei die schriftlichen Anfragen, die viel umfassender und präziser Unterlagen und Tatsachen liefern, als das in der mündlichen Fragestunde auch ohne Beschränkungen möglich wäre. Ebenso vergißt man, daß die Abgeordneten in den Ausschüssen und im Plenum die Möglichkeit haben, durch entsprechende Fragestellung an den zuständigen Ressortminister in jeder Hinsicht informiert zu werden. Daß die Opposition lieber den spektakulären Weg der Polemik im Bereich der Fragestunde sucht, ist verständlich, aber nicht immer einer sachlichen Auseinandersetzung förderlich.

Die in den letzten Tagen durch die Presse gegangene Meldung, daß eine Verbesserung der Praxis der Fragestunde vorbereitet wird, zeigt, daß die in der letzten Zeit geübte Kritik doch auf fruchtbaren Boden gefallen ist. Man kann auch nicht, wie in den Artikeln angedeutet wurde, der Bestimmung der Geschäftsordnung, daß „jede Anfrage nur eine konkrete Frage enthalten“ darf, dergestalt entsprechen, daß man die Frage einleitet: „Ich frage Sie konkret, Herr Minister...“ Die Konkretisierung, die 75 Abs. 2 der GO verlangt, muß wohl im Zusammenhang mit der Zuverlässigkeit von kurzen Fragen aus dem Bereich der Vollziehung des Bundes gesehen werden. Was aber unter einer konkreten Frage aus dem Bereich der Vollziehung des Bundes zu verstehen ist, ist wohl leicht zu klären. Auch die Opposition kann nicht bestreiten, daß etwa die Frage nach der Erstellung von Regierungsvorlagen ein Gegenstand ist, der auf Grund der Geschäftsordnung nicht als mündliche Anfrage an einzelne Mitglieder der Bundesregierung gerichtet werden kann. Verständlicherweise weicht die Opposition auf die Möglichkeiten des einzelnen Abgeordneten aus, um in der Öffentlichkeit das Bewußtsein zu unterdrücken, das ihr auf Grund der herrschenden Mehrheitsverhältnisse entscheidender Einfluß genommen ist. Im Sinn des Parlamentarismus wäre allerdings nicht eine mündliche Anfrage an ein Mitglied der Regierung, sondern etwa die Einbringung eines Initiativantrages durch Abgeordnete der Opposition. In diesem Zusammenhang ist auch noch auf die in der Öffentlichkeit von der Opposition geübte Praxis hinzuweisen, sich so darzustellen, als wäre sie mit dem Nationalrat identisch. Es ist wiederholt nicht zuletzt vom Klubobmann der ÖVP hingewiesen worden, daß ein natürliches Spannungsfeld zwischen Gesetzgebung und Verwaltung besteht. Das Parlament mit der Opposition gedanklich gleichzusetzen und daraus die Mehrheit der Abgeordneten auszusparen, ist zweifellos eine Sünde wider den Geist des Parlamentarismus. Das Parlament ist dem Gesetz der Mehrheit unterworfen, einzelne Rechte stehen der Minderheit zur Verfügung. Als Ganzes obliegt dem Parlament die Wahrnehmung der Kontrollrechte gegenüber der Verwaltung.

Fischer fordert eine Reform der Fragestunde, wobei die Richtung der Reform nicht ganz zu ersehen ist. Außer der Beseitigung der Beschränkung der zwei Zusatzfragen wird kein zielführender Vorschlag unterbreitet. Es wird lediglich auf das bundesdeutsche und englische Beispiel hingewiesen, wobei der damalige SPÖ-Klubobmann Abgeordneter Uhlir bei der zweiten Les-sung zur Geschäftsordnungsreform 1961 (71. Sitzung des Naitionalrates) bereits vor einer Nachahmung gewarnt hat: „Auch wir werden die Fragestunde so gestalten, wie sie den besonderen österreichischen Verhältnissen entspricht, und wir werden nicht einfach sklavisch das nachmachen, was man draußen in anderen Staaten gemacht hat.“

Regierungsmitgliedern durch Anfragen die Möglichkeit zu geben, über bestimmte Absichten oder Leistungen zu referieren, kann wohl nicht als geschäftsordnungswidrig oder verurteilenswert angesehen werden. Die Opposition verlangt sehr oft nach Informationen und sollte deshalb den Abgeordneten der Regierungspartei dankbar sein, wenn diese durch mündliche Anfragen die Möglichkeit geben, das Parlament durch den Minister informieren zu lassen. Dieselbe Möglichkeit steht schließlich auch den Abgeordneten der Opposition offen. Im übrigen stammt die Übung der sogenannten „Alibifrage“ nicht aus der Zeit der XI. Gesetzgebungsperiode, sondern wurde seit Einführung der Fragestunde von beiden Koalitionsparteien praktiziert. Noch heute ist die Anfrage eines sozialistischen Abgeordneten an einen Minister seiner Partei in Erinnerung, wo der befragte Minister die Antwort auf die zweite Zusatzfrage verlesen hat, bevor diese noch gestellt war.

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