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Pas de deux im Krebsgang

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„Was im Koalitionsübereinkommen (Anm.: siehe nebenstehenden Kasten) drinnensteht, ist ein kleines Wunder“, schwärmt Kanzleramtsminister Heinrich Neisser heute noch.

Wunder freilich sind nicht Sache der Politik. Und die klaren Zielvorgaben des Arbeitsübereinkommens vom 16. Jänner 1987 sind schon begraben. Die hinter-bliebenen Wähler sollen sich mit einer Reform im Krebsgang begnügen — wenn es überhaupt dazu kommt. Die Koalitionspartner

haben sich großzügig vorerst zwölf Monate Fristerstreckung genehmigt: „Wenn wir“, meint Neisser, „in diesem Jahr zu keinem Ergebnis kommen, hat's nicht viel Sinn.“

Sinn einer Reform hin zu einem „Persönlichkeitswahlrecht, das kein Etikettenschwindel ist, sondern das diesen Namen verdient“, wäre — darin stimmte Neisser beim „Concordia-Forum“ am 29. April mit der Salzburger Politik-wissenschaftlerin Barbara Wicha und Universitätsprofessor Norbert Leser überein - „in einer doch eher kritischer werdenden Stimmung der Politik und dem

politischen System gegenüber“ zu finden. Als „vertrauenbildende Maßnahme“.

Das sind interessante Gesprächs-, aber keine Verhandlungspartner. Und die fehlten beim „Forum“ des Presseclubs. Seitens der SPÖ, mußte „Concor-dia“-Präsident Kurt Skalnik berichten, „haben alle Herren gebeten, von einer Einladung Abstand zu nehmen“.

Der Abstand vom Reformziel ist manifest. Auch bei der ÖVP — trotz Neisser. „Die Koalitionspartner haben den Widerstand in den eigenen Parteien“, gesteht er gerne ein, „völlig unterschätzt.“ Das Scheitern (FURCHE 16 und 17/1988) wurzelt in der Angst. „Ich habe den nicht unbegründeten Verdacht, daß in beiden Großparteien die Angst vor einer Personalisierung überwiegt, die einen Un-sicherheitsf aktor ins System hineinbrächte“, formuliert es Leser eher schmeichelhaft.

Da geht es, so Barbara Wicha, nicht nur um einen Machtverlust der Parteisekretariate, sondern auch um das „Selbstbewußtsein der Parlamentarier“. Könnte doch glatt einer auf die Idee kommen, auf sein „freies Mandat“ zu pochen, wenn er direkt gewählt

ist! Unvorstellbar! Unvorstellbar?

Die Dominanz der Machterhaltung hat wirksame Methoden der Verhinderung einer Reform entwickelt. Neisser: „edes Modell wird sofort auf seine Auswirkungen im Detaü durchgerechnet. Alle Versuche, das letzte Wahlert gebnis auf ein neues Modell umzulegen, sind problematisch.“ Motto: Was immer sich ändert, am Endergebnis darf sich nichts ändern.

Und Wicha hört förmlich das Aufatmen, „wenn das Ergebnis 1986 unverändert bleibt“. Was bleibt, ist das Ringen um.Rituale, weil das Koalitionsversprechen doch „irgendwie“ gehalten werden soll.

Nur: Wie sag ich's meinem Wähler, daß der Traum vom Persönlichkeitswahlrecht mit Stimmen-Splitting nach deutschem Modell nach Koalitionsübereinkommen ausgeträumt ist?

Splitting ist halt so unheimlich kompliziert, und auch in der Bundesrepublik Deutschland machen davon nur etwa zehn Prozent Gebrauch. Hinter der Forderung nach Einfachheit der Stimmge-bung verbirgt sich Überheblichkeit, quasi: Der Wähler ist zu dumm. Daher ersparen wir ihm das.

Liegt es am Wähler? Liegt es nicht vielmehr an den Parteien,

auch an den Medien?

„Der Wähler müßte verstärkt informiert werden, welche Möglichkeiten ihm das Wahlrecht gibt“, fordert Neisser, um einzugestehen: „Die Parteien sind geradezu bemüht, alle Möglichkeiten des Wählers auf die Auswahl der Gewählten totzuschweigen.“ Heute schon.

Dementsprechend pragmatisch zeigt der Kanzleramtsminister noch Zweckoptimismus. Er „würde den Vorwurf der Nicht-Erfüllung des Koalitionsübereinkommens“ auf sich nehmen, wenn es noch gelänge, „ein anderes System des Persönlichkeitswahlrechtes zu entwickeln“, wobei er sich für ein „großangelegtes System der Vorzugsstimme“ durchaus erwärmen könnte.

Allerdings: „Nach dem, was bis jetzt vorliegt“, ist Leser skeptisch, „ist der große Sprung nach vorne innerhalb des bestehenden Wahlrechtes nicht absehbar.“

Sprung? Der schöne Franz und der treuherzige Alois proben ihn als Pas de deux im Krebsgang.

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