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Privilegien als Anachronismus

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Die Reform der Demokratie ist nicht allein in Österreich ein gängiges Wort mehr oder minder beteiligter Interessenten; ein stabiler Demokratisierungsprozeß überzieht die westliche Welt der funktionierenden Parlamente. Außer-, auch antiparlamentarische Kräfte suchen nach Einfluß zwischen den Torstangen des Machtslaloms einer teilweise zur Routine gewordenen Praxis des Entscheidungsflusses.Was in Österreich not tut, ist nicht so sehr eine Reform unserer demokratischen Spielregeln und auch nicht so sehr ein Gesinnungswandel einer sich erfreulich beschleunigenden Demokratisierung der Gesellschaft, sondern ein Erfüllen der Systeme mit neuem Leben, ein authentischer Interpretationsversuch des ganzen Volkes im Sinn des Verfässungsgebers.

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Die Reform der Demokratie ist nicht allein in Österreich ein gängiges Wort mehr oder minder beteiligter Interessenten; ein stabiler Demokratisierungsprozeß überzieht die westliche Welt der funktionierenden Parlamente. Außer-, auch antiparlamentarische Kräfte suchen nach Einfluß zwischen den Torstangen des Machtslaloms einer teilweise zur Routine gewordenen Praxis des Entscheidungsflusses.Was in Österreich not tut, ist nicht so sehr eine Reform unserer demokratischen Spielregeln und auch nicht so sehr ein Gesinnungswandel einer sich erfreulich beschleunigenden Demokratisierung der Gesellschaft, sondern ein Erfüllen der Systeme mit neuem Leben, ein authentischer Interpretationsversuch des ganzen Volkes im Sinn des Verfässungsgebers.

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Die österreichische Volkspartei verkündet auf ihrem Bundesparteirat die Absicht, noch vor den nächsten Parlamentswahlen diese „Verlebendigung der Demokratie“ anzusteuern. Vieles davon ist in ihren eigenen Reihen zu erfüllen, manches im Parlament, hoffentlich vieles nur im Zusammenwirken mit der Opposition.

Da ist zunächst die Regelung der Rechtsstellung der politischen Parteien. Die österreichische Bundesverfassung sieht die Existenz der Parteien an sich nicht vor — und läßt, wie Univ.-Prof. Marcic es ausdrückte, die Parteien auf dem Korridor der Macht. Sie sind Gebilde ohne klare Aufgabenstellung und ohne Pflichten — außer jenen, die sich aus dem Vereinsgesetz ergeben. Eine Regelung sollte die Finanzierung ebenso ins Auge fassen wie die Präzisierung ihrer Einflußsphären. (Hier mag der Olah-Prozeß eine gründliche Diskussion provozieren.) Aber vor allem i n den Parteien müßten erst die Voraussetzungen für mehr „Verlebendigung“ geschaffen werden. Dias trifft in großem Maß auf die Willensbildung zu. Es ist doch heute sä, daß das einzelne Mitglied, der kleine Funktionär nur zum Sanktionieren von Beschlüssen aufgerufen wird, daß die kleinen Gruppen gerade noch über die Organisationsprobleme ihrer Einheit reden, daß aber politische Debatten in Meinem Rahmen unüblicto sind.Hier müßte ein entscheidender Ril-dumgsprozeß eingeleitet werden; hier müßten Schulungen und Kurse geradezu verpflichtend für denjenigen werden, der politische Aufgaben übernehmen soll.

Mehr Verlebendigung betrifft aber vor allem die Systematik der Kan-didatenaufsitellung. Die Hierarchie hat mit der Demokratie ein schein-! heiliges Bündnis geschlossen: der Wähler erhält Mandatare zugewiesen, die unqualifiziert sein können, wenn sie ins Parlament oder in den Landtag ziehen, und deren Reihung ein erwählter Kreis von Lokalgrößen in den Bünden und Bundesländern bestimmt. Wenn der Generalsekretär der ÖVP „schockierend junge Menschen“ in die Parlamente holen will, muß er zuerst das erstarrte Bünde- und Landesprinzip der •Kandidatenermittlung zerstören oder die .Flucht, in die Öffentlichkeit antreten. Die Einführung von „Vor zugsstimmen“ — die dem Wähler ein Auswahlrecht unter mehreren Kandidaten einer Partei , lassen 4r kann zweckmäßig sein. Es kann aber auch schon viel getan werden, würden die Parteien das Reihen und Streichen auf dem Stimmzettel zu einem legitimen Mittel der Direktdemokratie erheben. Bei den Nationalratswahlen 1.966 haben 24.142 Wähler vom Reihungsrecht Gebrauch gemacht — das sind nur 0,53 Prozent der Gesamtwäihler-schaft Die Volkspartei will auch die Möglichkeit der Briefwahl in einer Zeit der verstärkten Bevölkerungsmobilität möglich machen. Daß sich das System der Wahlkarten nicht bewährt hat, Ist offensichtlich: 97.966 Wahlkartenwähler sind 1966 nur umständlich zu ihrem Wahlrecht gekommen: manche von ihnen dürften massiert als kommunistische Sitimmhilfe eingesetzt worden sein. Aber viel bedeutungsvoller scheint, daß tausende Menschen etwa in Wintersportgebieten (wenn im März gewählt wird), aber auch Studenten und am Berufsgrüniden von 'hrem Wohnort Abwesende nicht wählen können. Hier wäre eine Sofortmaßnahme wünschenswert, die so bald wie möglich den guten Willen der Politiker erkennen läßt, daß man wirklich jedem Willigen möglichst leicht die Ausübung seines Stimmrechtes ermöglicht.

Lebendige Demokratie braucht fähige Politiker — gleichgültig, pb in den Gemeindestuben oder im Nationalrat. Hier sollte die Volkspartei bei sich selbst anfangen und endlich ihr leidiges Problem mit dem „Bundesprincipium“ regeln. Es widerspricht dem Geist der Verfassung, wenn nicht die wahiwerben-den Parteien — bei Bundeswahlen repräsentiert durch ihre Biuindes-organisationen — auswählen, sondern Instanzen, die mit Bundespolitik nichts zu tun haben. Es ist tatsächlich eine Farce, das Wahlalter herabzusetzen, aber ein stillschweigendes Limit zu setzen, unter dem kein Kandidat in eine Körperschaft einrücken darf. Und es ist richtig, wenn etwa Doktor Withalm die Frage stellt, ob nicht Regierungsmitglieder automatisch ihr Mandat zurücklegen müßten: denn man kann nicht gleichzeitig Kontrolleur und Kontrollierter sein.

Wenn die Regierungspartei auf ihrem Bundesparteirat mit einigen Vorschlägen aufwartet, die ungewöhnlich sind, soll sie ein Problem nicht vergessen: es geht nicht so sehr um die Privilegierung, die Abgeordnete durch ihre Immunität genießen — wenngleich manches an dieser' Immunität anachronistisch ist —, es geht vor allem auch um die Privilegierung der Abgeordneten hinsichtlich ihrer Bezüge. Main hat vor einem Jähr über die Steuerfreiheit konkret diskutiert. Aber die Öffentlichkeit wartet noch immer darauf, daß auch dieses „heiße Eisen“ endlich angefaßt wird. Anfassen aber können es die Politiker nur selbst.

Eine solche Geste des guten Willens könnte mehr zum Selbstverständnis der Demokratie beitragen als Radikalreformen, die nur zu leicht in der durchsichtigen Interessensphäre hängen bleiben.

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