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Franz Joseph: Wie er wirklich war

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Seinem Dienstpersonal und den Leuten gegenüber, die ihn um Audienz baten, kehrte Franz Joseph niemals den Kaiser hervor. Im Gegenteil, die Hofbeamten verfuhren eher mit dem Kaiser rücksichtslos, und dieser ließ sie gewähren. Er nahm alles so hin, wie es eben war, nahm Beschwerlichkeiten eher auf sich, als daß er irgendeine Reklamation gegenüber seinem Personal laut werden ließ. Während er immer für sein Volk arbeitete, eigentlich kaum er selbst war, forderte er von seinem

Dienstpersonal nicht einmal das Selbstverständliche.

Der Kaiser, der morgens um fünf Uhr nur ein bescheidenes Frühstück einnahm, sollte eines Tages eine Ausstellung eröffnen und erst um vier Uhr nachmittag die nächste Mahlzeit vorgesetzt bekommen. Auf den Vorschlag seines Kammerdieners Ketterl, um zehn Uhr ein ausgiebiges Frühstück zu sich zu nehmen, fragte der Kaiser erstaunt: „Ja, werde ich denn jetzt in der Zwischenzeit etwas bekommen? Der Koch wird darauf nicht vorbereitet sein.“

Die Hofbeamten arrangierten stets nach eigenen Wünschen, nie nach der Bequemlichkeit des Kaisers, der ohnehin alles nahm, wie es ihm geboten wurde. Wahrscheinlich konnte er sich gar nicht vorstellen, daß jemand anderer seine Pflicht nicht nach bestem Wissen und Gewissen erfüllte. Ein Beamter erfüllt doch stets seine Pflicht! Also mußte alles so sein, wie die Hofbeamten es anordneten, und darüber gab es nichts nachzudenken.

„Fuhr er nach Budapest, mußte er schon um 8 Uhr abends abrei

sen, um anderen Morgens um 6 Uhr am Ziel einzutreffen. Damit der Zug nur j a nicht früher einlau- fe, ließ man ihn einige Stunden auf freier Strecke halten. Die Gründe hierfür waren persönlicher Natur, hatten aber mit der Person des Monarchen nichts zu tun. Der Kaiser wunderte sich einmal darüber und fragte mich, wieso er, um nach Budapest zu kommen, zehn Stunden im Waggon sitzen müsse, während der Großfürst Michael Michailo- witsch unlängst zu der Reise nur vier Stunden benötigte. Ich lächelte und meinte, daß hierbei die Diätenfrage sicherlich keine untergeordnete Rolle spiele“ , notiert Eugen Ketterl, der langjährige Kammerdiener Franz Josephs.

Niemals war der Kaiser dem Dienstpersonal wegen irgendeines Mißgeschicks böse. Er bat sie zum Dienste und bedankte sich hernach für deren Erweisung. Er war stets feinfühlig für Probleme des Personals und bemerkte alles, traurige Gesichter, aber auch fehlende Rosetten. Er forderte aber nie Bestrafung, bei Zwistigkeiten suchte er stets zu vermitteln. Altes Personal wurde nicht einfach entlassen. Der alte Kammerdiener Hornung durfte noch mit achtzig Jahren, weil er unbedingt wollte, dem Kaiser das Essen servieren. Einmal passierte ihm dabei ein Mißgeschick:

„Zittrig und in sich ergrimmt, wie er war, stolperte der achtzigjährige Mann in seinem Übereifer, die Suppenterrine bekam das Übergewicht, die Suppe ergoß sich auf den Boden und drei Leberknödel hüpften in artigen Sprüngen über den Teppich.

Durch die Tür hörte ich den tief erschrockenen Hornung stammeln:

.Bitte tausendmal um Vergebung, leg mich Eurer Majestät zu Füßen…’

,Nur das nicht auch noch1, wehrte der Kaiser wohlwollend grollend ab, ,zu meinen Füßen liegen ja schon die Leber knödel* “, schreibt Ketterl.

Das Dienstpersonal stellte für den Kaiser auch eine Verbindung zur Außenwelt dar. Der Kaiser wußte manches nicht, was er besser hätte wissen sollen, „verantwortungsvolle“ Beamte selektierten das Informationsmaterial. Ketterl versuchte diese Zustände zu ändern, indem er „dem Monarchen Zeitungen und Artikel brachte, die man ihm streng vorenthielt, und ihm auch vieles übermittelte, was er sonst überhaupt nie zu sehen und zu hören bekommen hätte“ (Ketterl).

Andere dienstbeflissene Beamte wiederum meinten, dort sparen zu müssen, wo der Kaiser gar nicht sparen wollte, beim Dienstpersonal. Ketterl berichtet:

„Wegen der herkömmlichen Spenden an die Dienerschaft gab es auch oft Zank und Hader, doch war daran nicht der Kaiser schuld, sondern vor allem der Hofkanzleidirektor Wetschl, der seinem Spitznamen ,Sparmeister’ wo und wie er konnte alle Ehre machte und dem Personal Vergünstigungen zu entziehen suchte, um angeblich eine .Verschwendung des kaiserlichen Gutes* zu verhindern. Wetschl wollte auch die Flasche Wein und den Laib Brot, die jeder von uns alljährlich

am 18. August, dem Geburtstage des Monarchen, erhielt, streichen, da er behauptete, das Personal trinke den Wein nicht auf die Gesundheit des Kaisers, sondern verkaufe ihn.“

Die goldenen Uhren, die das Kammerpersonal des Kaisers auf dessen Geheiß anläßlich einer Geburtstagsgratulation erhalten sollten, waren, weil das Obersthofmeisteramt und die Hofkanzleidirektion das Billigste für gut genug hielten, so schlecht, daß das Personal sie zurückwies.

Der Kaiser erfuhr nicht, wer ihn um Audienz bat, nur, wer vorgelassen wurde. Fürst Montenuovo, der Chef aller Hofbeamten, nahm für sich das Recht in Anspruch, zu entscheiden, wer zum Kaiser vorgelassen wurde und Audienz erhielt. Selbst Ketterl mußte sich an seine Anordnungen halten:, Auch mir erteilte Montenuovo wiederholt den gemessensten Befehl, niemand ohne des Fürsten ausdrückliche Genehmigung bei Seiner Majestät vorzulassen. Ich gestehe, daß ich mich öfters gegen dieses Gebot versündigte. Es war unendlich schwer, zu einer Audienz zugelassen zu werden. Montenuovo verhinderte diese, wo er nur konnte, namentlich, wenn es sich um das Vorbringen einer persönlichen Bitte handelte und ihm aus irgendeinem Grund die Nase des Bittstellers nicht gefiel“ , erinnert sich Ketterl.

Der große Huldigungschreiber Johannes Emmer weiß selbstverständlich viel salbungsvoller als der Ketterl die kaiserliche Güte, die den Menschen bei Audienzen zuteil wird, darzustellen. Die be

sondere Fürsorge und Förderung durch den Kaiser gehörten der Armee und der Kunst, weiß Emmer zu berichten: „Viele Maler, Bildhauer, Medailleure wurden durch Stipendien und Aufträge des kaiserlichen Hofes zu herrlichen Schöpfungen ermuntert; die graphischen Künste blühten ebenso auf, wie die Kunstgewerbe; so daß jetzt Wien als ein Sitz der schönen Künste gilt. Nicht nur Deutschland, auch Frankreich wurden auf vielen künstlerischen und kunstgewerblichen Gebieten überflügelt.“ Die offene Hand des Kaisers ist nicht zu bezweifeln, in der Kunst genauso wenig wie in anderen Bereichen. Ob er aber ein sehr kunstsinniger und kunstverständiger Mensch war, sei dahingestellt. Franz Joseph war als Mensch bescheiden, rücksichtsvoll, hilfsbereit, verliebt in mehr als eine Frau, und er war, seiner Zeit und seinen Untertanen entsprechend, auch ein wenig Spießbürger. „In seinem bürgerlich gewordenen, veränderten Zeitalter mußte der Herrscher auch der erste Bürger, das erste Familienoberhaupt und der erste Beamte des Reiches sein, mußte seinem Herrschertum eine Dosis Spießbürgertum beimischen. Die Virginia, das Seidel Pilsner, die trockene Frühstückssemmel und alle diese kleinen Ingredienzen im Alltagsleben Franz Josephs tun seiner olympischen Majestät “keinen Abbruch. Er glaubte eben ein Herrscher von Gottes Gnaden und zugleich Philister sein zu können“ , schreibt Otto Ernst.

Aus dem Buch „Es war sehr schön, es hat mich sehr gefreut“ , das demnächst im Österreichischen Bundesverlag erscheint.

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