6840102-1975_38_18.jpg
Digital In Arbeit

Was Literatur leisten kann

Werbung
Werbung
Werbung

Der 1887 geborene, Stuttgarter Großbügertum entstammende Bruno Frank ist von den prominenten deutschen Autoren der Emigration fast der einzige, dem bisher noch nicht die Ehre einer Gesamtausgabe gewährt wurde. Das will nun die Nymphenburger Verlagsanstalt nachholen, und sie hat ihr Projekt mit einem Volltreffer gestartet. Denn diese drei Meistererzählungen, die der erste Band vereinigt, mußte man sich in den zwanziger Jahren, als sie entstanden, für teures Geld einzeln kaufen. Zum ersten Mal hat man sie

Tage des Königs nynpherfeurger nun alle drei in einem mittelstarken Band in der Hand. Und man liest und liest — und weiß nun wieder einmal, weshalb man so vielen zeitgenössischen Produkten, auch bemühten und ehrlich gearbeiteten, mit so großer Reserve gegenübersteht. Denn hier sieht man, was ein Meister ist und was Meisterwerke sind. Und man erkennt auch zugleich, was geistig und moralisch-politisch engagierte Literatur ohne viel Geschrei zu leisten vermag...

Bruno Frank, aus dem Ersten Weltkrieg krank zurückgekehrt, lebte zunächst acht Jahre lang auf dem Land in Oberbayern. Zunächst hatte er Jus studiert, seinen Doktor aber auf der philosophischen Fakultät der Universität Tübingen gemacht — beste, solideste deutsche Tradition. Dann übersiedelte er nach München und lebte, ein großes Haus führend, in der ehemaligen Villa von Bruno Walter und in der Nähe Thomas Manns, der den um zwölf Jahre jüngeren Autor sehr hoch schätzte, ja liebte und stets mit Entschiedenheit und Sympathie für ihn eintrat. Dh-ekten Anlaß bot Franks „Politische Novelle“, von den Nationalisten und Chauvinisten aller Schattierungen aufs gehässigste verbellt. Denn was wollte dieser Autor, was maßte er sich an? Frank schildert darin, im Jahr 1928, die Begegnung zwischen einem deutschen und einem französischen Staatsmann — Achille Dor-valder der eine und Carmer der andere —, beide derzeit Außenminister, der letztere Kanzlerkandidat.

In Dorval, dem mit so viel liebevoller Ironie gezeichneten Franzosen, hat nicht nur das europäische Lesepublikum, sondern auch Briand selbst sich erkannt — und dem Autor in bewegten Worten gedankt. Aber weshalb leugnet der Herausgeber Gregor-Dellin so entschieden, daß mit Carmer Gustav Stresemann gemeint ist? War er es doch, der damals, in den Jahren 1923 bis 1929, deutscher Außenminister und einer der wichtigsten Männer des Friedenskurses gewesen ist... Doch das tut wenig zur Sache. Franks Meisterschaft beweist sich in der Verbindung einer spannenden Erzählung mit überzeugender, aber unaufdringlicher Tendenz. Die beiden Protagonisten wollen den Frieden zwischen ihren so sehr und so häufig verfeindeten Völkern — und damit den Frieden Europas und der Welt. Sie treffen sich in Cannes, verabschieden sich als Freunde, nachdem sie einen mit unvergleichlichem Charme geschilderten gemeinsamen Abend verbrachten, dann fährt der eine nordwärts, nach Paris, der andere, auf einem Umweg, über Marseille in seinen Tod. Im alten Hafen von Marseille wird er, in der Umarmung mit einer dunkelhäutigen Schönen, von einem jungen Deutschen, einer jener gestrandeten Existenzen, erdolcht, die in diesem Schmelztiegel hausen, von der Flut des Mittelmeeres wie Strandgut in den alten Hafen gespült. Der Traum vom ewigen Frieden ist, zunächst wieder einmal, ausgeträumt. Viele Details wären aus diesem Meisterwerk zu zitieren, in diesen Wochen und Monaten besonders aktuell: die Schilderung des Auftretens von Becky Floyd, in der jedermann sofort die junge Jos6-phine Baker erkennen wird — nicht zu vergessen: Die nächtlichen Dispute der Sekretäre der beiden großen Männer der Politik, des Mr. Fran-gois Bloch und des Dr. Erlanger. Aber hier lautet der Rat des Rezensenten: alles selbst nachlesen, jede Seite ist kostbar...

Der Band wird eröffnet mit „Tage des Königs“, einer psychologischen Studie — aber der eines Dichters — über Friedrich II. von Preussen, 1924 erschienen, in der Zeit der zahllosen Biographien, Dramen und Frederi-cus-Filme. Auf den ersten Blick ein seltsames Unterfangen von einem Autor wie Bruno Frank. Doch es geht ihm weder um Entmythologisie-rung, noch um ein Pamphlet Was er zeigt, ist: ein gesundheitlich geschwächter, störrischer, alter Mann, das „verschüttete Humane“, die asketische Haltung, die spartanische Lebensweise, der totale Triumph des Geistes — lies: des Willens — über den alten gemarterten Körper, ein König, einsam wie kaum einer seiner Untertanen, mit den letzten geflüsterten Worte: „Ma petite Alceme-ne, bientöt je me coucherai tout pres de toi“. Alcemene — das war sein zierliches, federleichtes Windspiel, das, tot unter einem Glassturz geborgen, im Sterbezimmer des großen Königs stand...

Und dann „Der Magier“, der für jqden sofort zu identifizieren ist, obwohl sein Schloß nicht bei Salzburg, sondern am Abhang des Odenwaldes hegt, Meskart, der durch seine Inszenierungen eine Welt verzauberte und in Atem hielt, auch er ein Einsamer, dem Zauber einer bildschönen Fürstin, Enkelin der Alba, verfallen, deren ovales Gesicht, von nachtschwarzem Haar umrandet, von den Jahrhunderten zu matt leuchtender Perlfarbe gebleicht ist — und die der Bühnenmusiker Tarb, jung und ehrgeizig, wütend begehrt. — Das war 1929 geschrieben und erregte beträchtliches Aufsehen. Denn alles an der Gestalt und ihrem Ambiente war echt: das mondäne Publikum, Fürsten, Aristokraten und Geldmagnaten, sogar ein König sitzt im Garten am Hang des Odenwalds und alle hören die klassisch vollkommenen, steifen Verse von Racines „Phädra“. Und dann erscheint Eisenreich, ein Kunstenthusiast und Manager, lockt den großen Zauberer Meskart in die Neue Welt. Und dorthin geht er. Freiwillig. Taucht in New Orleans auf, spielt mit einer Negertruppe ein hinreißendes Stück mit Gesang und Tanz, verschwindet wieder, verspricht wiederzukommen, die Südstaaten hat er erobert, aber nun will er seine Negertruppe in eine Millionenstadt mit lauter Weißen führen. „Aber sie glauben doch nicht, daß er das wagen wird“, lautet der letzte Satz.

Wer weiß, wäre Reinhardt, der diese Novelle kannte, dem Rat des Künstler-Freundes gefolgt — wer weiß, vielleicht wären ihm die bitteren Jahre in dem sterilen Hollywood, denen keine Heimkehr folgte, erspart geblieben...

TAGE DES KÖNIGS UND ANDERE ERZÄHLUNGEN. Von Bruno Frank. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Martin Gregor-Dellin. Mit einer Einführung zur „Politischen Novelle“ von Thomas Mann. Nymphenburger Verlagshandlung, 318 Seiten. 24 DM.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung