6793752-1970_51_17.jpg
Digital In Arbeit

Verehrt, aber ohne Nachfolger

Werbung
Werbung
Werbung

Dr. Läjos Pok (geboren 1919), Cheflektor des Verlages „Gon-dolat“ (Gedanke), Germanist und Madjarist vom philologischen Studium her, beschäftigt sich seit nunmehr 20 Jahren mit Deutschland, seiner Philosophie und Literatur. Im Europa-Verlag, Budapest, erscheint demnächst als umfangreichstes seiner Werke das Buch „Die Welt Thomas Manns“. In Bad Godesberg hielt er kürzlich einen Vortrag über „Thomas Mann in Ungarn“. Unser Mitarbeiter nutzte die Gelegenheit zu einem Gespräch.

FRAGE: Ein Ungar, dem Frau Katja Mann, die Witwe von Thomas Mann, spontan attestiert, daß er ein ausgezeichnetes Buch über den Dichter der „Buddenbrooks“ und des „Doktor Fau-stus“ geschrieben habe — das erscheint uns zumindest bemerkenswert. Wie ist Ihr Engagement für den Romancier aus dem deutschen Norden, Herr Pök, zu erklären?

DR. PÖK: Thomas Mann ist für Ungarn nicht nur ein großer Dichter der Deutschen — er ist für Ungarn auch so etwas wie die Inkarnation „des besten Deutschland“, wenn ich so sagen darf. FRAGE: Was ist es, das Sie an Thomas Mann besonders schätzen?

DR PÖK: Literarisch schätzen wir an ihm die hohe Verantwortung gegenüber der Sprache, die sich mit der Ironie — einem dazu in Kontrast stehenden Faktor — verbindet. Das ergibt eine Spannung, die den ästhetischen Menschen beglückt. Thomas Manns Figuren — vom „Kleinen Herrn Friedemann“ bis zum „Knill“ — sind Optimisten, die zugleich

Skeptiker, ja Infragiesteller alles und jedes sind. Das ist zwar widerspruchsvoll — aber es ist real. Auch wir Ungarn sind solche Menschen.

FRAGE: Thomas Mann ist aber ein typisch bürgerlicher Schriftsteller — unsere Lebenswirklichkeit, ganz gleich ob bei Ihnen oder bei uns, ist doch aber, zumindest der Tendenz nach, unbürgerlich? Wie reimt sich das zusammen?

DR. PÖK: Typisch bürgerlich ist Thomas Mann nur in seinen Lebensgewohdheiten, nicht in seinem Werk. Als „konservierender Balsam“ erschien, solange er lebte, sein Gehaben und seine bourgeoise Tageseinteilung, ebenso seine signorile Existenz, die der eines Bankdirektors oder Botschafters ähnelte. Sein Werk ist modern, ist Zukunft.

FRAGE: Auch das ist nicht nach der Art, in der man Thomas Mann bei uns beurteilt. Man hält ihn bei aller Verehrung — nicht für einen modernen, Zukunft vergegenwärtigenden Schriftsteller. DR. PÖK: Denken Sie an den „Doktor Faustus“, denken Sie ab r auch an den „Zauberberg“. Um im „Zauberberg“ die progressive Schwindsucht beschreiben zu können, bedient sich Thomas Mann des Konversationslexikons; im „Doktor Faustus“ gar werden Stellen von Theodor W. Adorno, Hugo Wolf, Arnold Schönberg wörtlich in die Epik eingebaut; der Essay als Stilmittel der Erzählung wird kühn verwendet. Eis entsteht als Neu-Roman auf der Grundlage des Großromans von Tolstoi bis Hamsun eine Art Modell des dokumentarischen Romans, wie er heute gang und gäbe ist, wie er die Zukunft des Romans auszumachen scheint. Ich sehe Thomas Mann deshalb vor allem als modernen Menschen und Autor, weil ich in ihm den humanistischen Widerständler erblicke.

FRAGE: Macht das bei Ihnen Schule? Gibt es eine Thomas-Mann-Nachfolge in der augenblicklichen ungarischen Literatur?

DR. PÖK: Auch da sind wir wieder im Widerspruch: so sehr Themas Mann bei uns als Modell akzeptiert ist, so sehr ist er bei uns auch als „Sackgasse“ erkannt. Er selbst gibt dazu das Stichwort: jedes seiner Bücher wertet er als Sackg_sse. Das läßt natürlich den Schluß zu, daß er das gesamte Leben als Sackgasse ansieht. Immer wieder gerät man ans Ende, immer wieder allerdings muß man neu ansetzen. Ein heroischer Existentialismus. Um es kurz zu sagen: „Nein, Thomas-Mann-Nachfolger gibt es in der heutigen ungarischen Dichtung nicht.“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung