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Digital In Arbeit

Montagetechnik

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Seit das Thomas-Mann-Archiv in Zürich seine Pforten geöffnet hat, kommt eine Reihe sehr aufschlußreicher Arbeiten an die Öffentlichkeit, noch vorsichtig und höflich verkleidet. Die Auseinandersetzungen um das Archiv selbst, die zum Rücktritt eines Direktors führten, lassen einen tiefer blicken und die Veröffentlichungen zwischen den Zeilen lesen. Schon die Ankündigung im Archiv, daß nichts von Manns Arbeiten, das bisher ungedruckt blieb, ohne Erlaubnis der zuständigen Verwalter des Nachlasses veröffentlicht werden darf, macht stutzig. Jeder denke sich das Seine. Man kann sich trotzdem ein ziemlich klares Bild über seine Arbeiten, seine Arbeitsweisen und schließlich auch über seine Lebens- und Weltauffassung machen. Die vorliegende Arbeit zeigt in sehr gründlichen Studien das Werden von Manns Dr. Faustus auf und führt breit aus, was in Artikeln bisher sporadisch angedeutet wurde.

Montagetechnik ist das entscheidende Stichwort. Thomas Mann selbst hat in aller Offenheit ausgesprochen, wie er sie verstanden hat. Aber anscheinend ist oft das rückhaltlose Aussprechen der Wahrheit ihre beste Verbergung. Allerdings konnte niemand ahnen, wie wörtlich sie gemeint war. Im Anhang bringt die schwedische Studentin einen Nachweis der Zitate in den verschiedenen Kapiteln des Romans: „Hierbei werden nur die Werke angeführt, die Mann wörtlich abgeschrieben hat“, sagt sie erläuternd.

Der ganze Roman, und analog seine übrigen Werke, sind ein Gefecht solcher „Zitate“, die mehr oder weniger wörtlich abgeschrieben und zum Werk kompiliert wurden. Von Zeitungsrezensionen, Reiseprospekten angefangen, über Briefe bis zu wissenschaftlichen Büchern wurde alles verwendet und montiert zu einem Roman. Selbst Familiengeschichtliches (oft peinlicher Art) wird bloßgestellt. Auch Dichtungen weniger bekannter Art (zum Beispiel „Thomas Mann — Emil Barth“ in „Du“, kulturelle Monatszeitschrift, Jahrgang 21, August 1961) hat Mann nicht verschmäht nahezu wörtlich zu übernehmen.

Nun, man mag das mit der Autorin „in der Nachfolge des Naturalismus“ nennen. In anstrengender Kleinarbeit hat sie die Bausteine der Figuren und Stoffe zusammengetragen, woher nicht bloß sie selbst stammen, sondern auch die Art und Weise ihrer Umwandlung. Für sie als Ausländerin, die, wie sie selbst schreibt, nicht „dabeigewesen“ ist, das heißt im Milieu, das zum Doktor Faustus „verarbeitet“ wurde, eine erstaunliche und bewunderungswürdige Leistung. Irgendwie spielen ja bei jeder Dichtung reale Gegebenheiten mit, das ist nicht abzustreiten, doch sind sie Anlaß, auslösendes Moment, werden verwandelt, wie das Feuer seinen Brennstoff verzehrt, hier aber werden sie zur wörtlichen Montage. „Er ist schon was, aber er ist nicht wer!“ sagt einmal Musil zum Fall Manns, und Rudolf Bochard kennzeichnet diese Art „Dichter“(?): „Sie können nicht im Hölderlinschen Sinn sagen: Einmal liebt ich die Götter, und mehr bedarfs nicht; sie entstanden am harten Holz der Schreibtische, die vom windaufrauschenden Gehölz der Vogelstimmen und Frühlingswinde so fern sind.“ Einen Vorzug allerdings haben sie: sie bieten den diversen Dissertanten ein ertragreiches Betätigungsfeld.

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