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Auf der Suche nach einem Weg

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DER WENDEPUNKT. Ein Lebensbericht. Von Klaus Mann. Fischer-Bücherei, 1963. 461 Seiten. Preis 4.80 DM.

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DER WENDEPUNKT. Ein Lebensbericht. Von Klaus Mann. Fischer-Bücherei, 1963. 461 Seiten. Preis 4.80 DM.

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Die Neuausgabe dieses Lebensberichtes zählt zu den bemerkenswertesten Veröffentlichungen der Fischer-Bücherei in der letzten Zeit, denn sie bringt breiteren Leserkreisen die Persönlichkeit dieses interessanten, fast schon ein wenig vergessenen Autors nahe. Klaus Mann, 1906 als erster Sohn Thomas Manns in München geboren, begann schon sehr früh zu schreiben und schuf eine Reihe von Romanen, Erzählungen, Dramen und Essaybüchern. Erinnert sei nur an den Tschaikowskij-Roman „Symphonie Pathetique“, die Erzählung „Vergittertes Fenster“ (das tragische Ende Ludwigs II. von Bayern) und den Roman „Der Vulkan“. Er ging 1933 in die Emigration und war Mitbegründer der Zeitschrift „Die Sammlung“ in Amsterdam. 1942 erschien in New York seine Autobiographie „The Turning Point“. Die erweiterte deutsche Fassung „Der Wendepunkt“ erschien 1952. 1949 beging der Dichter Selbstmord und wurde in Cannes begraben.

Die Selbstbiographie ist nicht nur ungemein aufschlußreich für die menschliche und künstlerische Entwicklung des Autors, für die Persönlichkeit des berühmten Vaters Thomas Mann und das Leben in der Familie Mann, sondern auch für die ganze Zeit von 1906 bis in die vierziger Jahre, eine Zeit der stärksten geistigen und politischen Bewegtheit, fesselnd und verwirrend durch das Wechselspiel gegensätzlichster Kräfte. Ein so sensibler musischer Mensch wie Klaus Mann, Repräsentant einer bestimmten liberal-kosmopolitischen Richtung der jungen Generation von damals, mußte auf alle Besonderheiten und Veränderungen des kulturellen Klimas besonders reagieren. „Auf der Suche nach einem Weg“ ist der Titel eines seiner Bücher sowie eines Kapitels seines Lebensberichtes, und ein Suchender ist er immer geblieben — ein stets Bewegter, dem die Unruhe im Blut lag und den seine Wesensart tragischen Gefährdungen aussetzte.

In zwölf großen Kapiteln erzählt uns Klaus Mann seinen Weg, der ihn von der Heimatstadt München, aus dem ausgedehnten Freundeskreis der Familie Mann — den Vater nennen seine Kinder den „Zauberer“ — in das Berlin der Inflationszeit mit seiner hektischen Geistigkeit, auf viele Reisen, schließlich ins Exil, in die amerikanische Armee und nach dem Ende des letzten Krieges wieder zurück ' nach Deutschland führt. Es gelang ihm ausgezeichnet, diesen Weg auch als einen inneren darzustellen, denn er hatte die Gabe der subtilen Beobachtung und Selbstbeobachtung, der plastischen Charakterisierung eines Menschen, einer Stimmung, eines Milieus. Vor allem die Atmosphäre der zwanziger Jahre ist vortrefflich eingefangen.

Schon dieser Lebensbericht allein beweist, daß Klaus Mann ein sehr begabter Autor war. Der berühmte Name des Vaters hat seinen literarischen Start wohl sehr erleichtert, doch war er sich der Problematik dieses Umstandes bewußt. Sehr interessant sind die Begegnungen mit vielen Zeitgenossen aus der Welt der Literatur, der Musik und des Theaters, aber auch mit Nichtprominenten, die für sein Leben Bedeutung gewannen, oder jene nur geistigen Begegnungen mit verehrten Dichtern der Vergangenheit, von denen das dritte Kapitel berichtet. Das Buch schließt mit einer Reihe von Briefen aus dem Jahre 1945, aus denen die Sorge um Deutschland, um Europa spricht. Nach vielen Wendepunkten erkennt Klaus Mann nur den einen großen Wendepunkt, die Wahl zwischen Frieden oder Zerstörung.

Ein packendes, oft ergreifendes Werk, das wohl seine Bedeutung als Dokument einer Zeit und einer Persönlichkeit bewahren wird.

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