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KUNST UND SCHLAGZEILEN

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Im letzten Jahr seines Lebens — er starb am Ostersonntag 1966 unvermutet in seinem Heim in Combe Florey im Westen Englands — war Evelyn Waugh tief aufgerührt worden durch so manche Veränderung, die das Zweite Vatikanische Konzil mit sich brachte, vor allem durch die Einführung des Gebrauchs der Landessprache in die Feier der Liturgie. Aber eine gütige Vorsehung richtete es so ein, daß die letzte Messe, die er an jenem Ostersonntag hören sollte, von seinem alten Freund und Schriftstellergenossen, dem Jesuiten Philip Caraman, in jenem Latein gelesen wurde, das Waugh so liebte und pries als Zeichen des unwandelbaren Charakters der Kirche, der er sich als junger Mann, in seinen frühen dreißiger Jahren, angeschlossen hatte und zu der er bis zuletzt stand. Mit einer Geste bedachtsamer Höflichkeit gestattete es Kardinal Heenan, daß auch das Requiem in Latein gehalten wurde, das in der Westminster-Kathedrale stattfand, deren weites Schiff aus diesem Anlaß von Katholiken und Nichtkatholiken gleichermaßen gefüllt war.

Evelyn Arthur St. John Waugh wurde 1903 in einer kultivierten Bürgerfamilie geboren. Sein Vater, Arthur Waugh, war ein ausgezeichneter Literat, und auch sein älterer Bruder Alec ist ein Romancier von Ansehen, wenngleich in einem ganz anderen, mehr volkstümlichen Genre. Evelyn wurde gemäß der Konvention seiner Zeit und seiner Klasse erzogen. Zuerst besuchte er Lancing College, eine Schule von betont anglikanischer Tradition, und später Hertford College in Oxford. Nichts findet sich hier von jenem aristokratischen Hintergrund, den er so oft mit warmer und manchmal sentimentaler Begeisterung beschrieb.

1930 wurde er Katholik, fast gleichzeitig mit dem Zusammenbruch seiner ersten Ehe, deren religiöse Annullierung und zivile Scheidung er erreichte. In zweiter Ehe heiratete er 1937 Laura Herbert, die aus einer der alten katholischen Familien Englands stammte. Ihr ältester Sohn ist bereits als Romanschriftsteller bekannt. Sechs Kinder entstammen der Ehe.

Evelyn Waughs erstes veröffentlichtes Werk war eine Monographie über den Dichter und Maler Rossetti, die bei ihrem Erscheinen im Jahr 1928 fast unbemerkt blieb. Aber der erste Roman Decline and Fall, der im selben Jahr erschien, brachte dem Autor mit einem Schlag Ruhm ein. Seit langem hatte man in der englischen Prosadiichtung nicht solchen Witz, solche Eleganz und Satire gesehen wie bei diesem jungen Schriftsteller. Sein Stil schien von Anfang an festzustehen. Er war vielleicht der anspruchsvollste englische Prosaschriftsteller unseres Jahrhunderts. Er verstand einen Charakter mit wenigen Worten so klar herauszuformen, daß der Zungenschlag des Menschen unverwechselbar blieb, wie komplex auch die Gespräche waren, an denen der Leser im weiteren Verlauf der Erzählung teilnahm. Waughs erster Roman bezeugte auch seine fröhliche Bilderstürmerei, die mit einem sicheren und ernsten Blick für letzte Werte einherging — eine weitere Eigenart, die ihm in seinem Schaffen treu bleiben sollte. Es war außergewöhnlich für einen jungen Mann von 25 Jahren, jene wilde Generation der zwanziger Jahre, zu der er selbst ganz und gar gehörte, in solch gelöster Akkuratesse in Worten und Sätzen herauszumeißeln.

M Vile Bodies aus dem Jahr 1930 und Black Mischief, das 1932 erschien, blieb der Ton satirischer Komödie erhalten. Aber mit A Handful of Dust (1934) verdüsterte sich die Atmosphäre, wenn die schneidende Schärfe auch noch da war. Nach Meinung vieler Kritiker ist dieser Roman sein Meisterwerk; denn nirgends sonst erreichte Waughs Fähigkeit, eine Tragödie satirisch anzupacken und moralische Situationen mit ernstem Auge aber komischer Feder zu durchdringen, eine so erstaunliche Intensität, während der Schreiber zugleich, objektiv gesprochen, sich in den Grenzen einer fast antiken „sobrietas“ hielt.

1935 veröffentlichte Waugh eine Biographie des jesuitischen Eidverweigerers und Märtyrers Edmund Campion aus der eiisabethanischen Zeit, die ihm den Hawthornden Prize einbrachte. 1936 ging er als Kriegsberichterstatter nach Abessinien, was ein weiteres Buch erbrachte: Waugh in Abyssinia — das Wortspiel (der Anklang an „war“) ist unübersetzbar. Er setzte seine schriftstellerische Arbeit bis zum Ausbruch des zweiten Weltkrieges im Jahr 1939 fort, als er in die Königliche Marine eintrat, von der er 1942 zu den Royal Horse Guards — einem ziemlich exklusiven Regiment — überwechselte. Im selben Jahr erschien Put Out More Flags, ein Roman, der — mit Bitterkeit und Humor — das Betragen der Briten während des Krieges schilderte. Für meinen Geschmack gehören die Passagen über die Evakuierten und ihre Gastgeber zu den spaßigsten, die er je schrieb. Sie zeigen Ansätze jenes leidenschaftlichen Abscheus vor der zeitgenössischen Szenerie, der mit jedem Jahr sich schärfer ausprägen sollte.

Brideshead Revisited ist ein ungleichmäßiges Buch, aber eines von größtem Charme. In der Rückblende wird eine sehnsuchtsvolle Rückkehr in die späten zwanziger und frühen dreißiger Jahre erzählt Held ist der illusionslose Armee-

Offizier Charles Ryder, der sich jetzt tief in eine Gesellschaft und einen Krieg verwickelt sieht, denen er mit gleichem Mißtrauen und Abscheu begegnet. Das Buch enthält einen wundervollen Abschnitt über das Leben in Oxford, der mit solchem Feingefühl, mit solcher Präzision und Liebe geschrieben ist, daß man ihn immer wieder liest. Einige Kritiker aber fanden das Werk, so vollendet es sein mag, doch ein wenig zu ausschweifend, um es ganz gelten zu lassen.

Verschiedene leichtere Werke folgten bis 1948, als Waugh wiederum Schlagzeilen machte mit einer beißenden Satire über die kalifornischen Bestattungssitten: The Loved, One, einer Novelle, die zuerst in Cyril Connollys literarischem Magazin Horizon erschien und später in Buchform veröffentlicht wurde. Vor kurzem wurde dieser Stoff von Tony Richardson unter dem Titel Tod in Hollywood verfilmt. 14 Tage vor Waughs Tod fand in London die Premiere statt. Er ist die traurige Vulgarisierung eines wundervoll witzigen und grausamen Werks, das Passagen jener elegischen Schönheit enthält, in der Waugh so unvermutet Meister war. Die Schlußabschnitte zeigen seinen Stil in all seiner sparsamen Vollkommenheit und sind ebenso tief bedeutsam als Schlüssel zum Verständnis der Art, wie er an sein Werk heranging. „An jenem letzten Abend in Los Angeles erkannte Dennis, daß er einzigartig begünstigt war. Der Strand war übersät mit Gebein und Wrackteilen. Er tat sein Stück hinzu, etwas, das ihn lange geplagt hatte, sein junges Herz. Stattdessen trug er einen großen formlosen Klumpen von Erfahrung mit sich fort, die Last des Künstlers. Er trug ihn heim an seine alte und unbehagliche Küste, um lang und hart daran zu arbeiten, Gott weiß wie lang — es war der Augenblick der Vision, für den eine Lebensdauer oft zu kurz ist.“

Erstaunlicherweise folgte darauf 1950 ein historischer und religiöser Roman, Helena, den er höher einschätzte als manche seiner Leser; und zwei Jahre später kam der erste Band seiner bemerkenswerten Trilogie Men at Arms. Es ist die Geschichte eines Soldaten in mittleren Jahren, G-uy Crouchback, der in den Krieg zieht wie in einen Kreuzzug und fortschreitende Ernüchterung erduldet, je mehr die grauen und gesichtslosen Männer das Kommando übernehmen und der Ruhm dahinschwindet. Das Buch ist zugleich schmerzlich-bitter und reich an Beispielen des wildesten Humors. 1955 folgte Officers and Gentlemen; Waugh kündigte an, daß er in dieser Art nichts mehr schreiben würde. Tatsächlich kam der dritte Band, Unconditional Surrender, 1961 heraus, und 1965 faßte er das Ganze neu in einen einzigen Band, wobei er eine Menge fortließ und kundtat, daß er das Buch jetzt nicht als Kriegsroman ansehe, sondern als Klage über das Dahinschwinden der katholischen Kirche in

England, so wie er sie gekannt und geliebt habe — eine vertretbare These, wie man zugeben muß.

In der Zwischenzeit, 1957, hatte er The Ordeal of Gilbert Pinfold geschrieben, worin 2um Teil die Erklärung für die Unterbrechung der Trilogie liegt. Es ist ein fast unerträglich qualvoller, offensichtlich autobiographischer Roman über einen älteren reizbaren Romancier, der in der Pein eines tiefen psychischen Zusammenbruchs liegt, geplagt von Halluzinationen — eine Prüfung, die Waugh selbst gerade überstanden hatte und der er noch einmal vor seinem Tod ausgesetzt sein sollte. Wie er es fertigbrachte, diese fürchterliche Situation dennoch komisch zu gestalten, das fordert Hochachtung vor seiner Tapferkeit wie vor seiner Kunst ab. Als literarischer Testamentsvollstrecker von Monsignore Ronald Knox veröffentlichte er schließlich 1959 die offizielle Biographie des bedeutenden Priesters; ein Werk, das eine subjektiv geprägte, aber nicht weniger meisterliche Wesenserfassung seines Gegenstands bietet. Spät noch hat sich Waugh an eine Geschichte der Kreuzzüge gemacht, die er in Überdruß und Abscheu wenige Monate vor seinem Tod beiseite legte.

Rückblickend gewinnt man den Eindruck, daß er sein ganzes Leben lang eine Rolle spielte, die dennoch ehrlicher Ausdruck seines wirklichen Charakters war. Waugh, diese Karikatur eines englischen Landedelmanns alter Schule, brachte viel Zeit und Energie dafür auf, sich den eigenen Privatbereich zu erhalten. Ein Schild an seinem Tor besagte: „Kein Zutritt in Geschäften.“ Auch ließ er Postkarten drucken des Inhalts: „Mr. Evelyn Waugh bedauert, nicht tun zu können, worum Sie bitten.“ Explosiv, mürrisch, oft äußerst unhöflich, kämpfte er einen endlosen Kampf mit Presse und Reklame im allgemeinen. Zwei bemerkenswerte Interviews, eines im Radio und eines im Fernsehen, weiden in die Geschichte eingehen als Modelle dafür, wie das Wild seinen Jägern entwischt.

Dennoch war er beliebt in einem weiten Kreis ungleichartiger Freunde, denen er mit endloser Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft begegnete. Die Nachrufe auf Waugh hoben fast ausnahmslos die guten Eigenschaften hervor, seine Brillanz als Schriftsteller und seine Großzügigkeit als Freund. Einer der bewegendsten stammt von Graham Greene, den viele Literaturkenner als seinen einzigen Rivalen auf dem Feld moderner englischer Prosadichtung betrachten.

Sein Tod bedeutet einen unersetzlichen Verlust für die Kunst des Schreibens; wir werden seinesgleichen so leicht nicht wieder erblicken. Zornerregend, unvergleichlich tapfer und verquer, hinterläßt er eine Lücke.

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