Snob von Gottes Gnaden

Werbung
Werbung
Werbung

Zum 100. Geburtstag von Evelyn Waugh am 28. Oktober.

Marlen Haushofer notierte 1967 in ihr Tagebuch: "Denke an Gilbert Pinfolds Höllenfahrt. Der beste und schrecklichste Waugh von allen. Ein Buch, das ich völlig wirklich finde und bestimmt ein genauer Bericht über einen selbst erlebten Zustand. Großer alter Mann Waugh." Als der Roman über einen Schriftsteller, der auf einer Schiffahrt nach Ceylon von Visionen heimgesucht wird, zehn Jahre zuvor auf Englisch erschienen war, glaubte Haushofer noch, hinter Evelyn verberge sich eine Frau. Dabei galt Waugh damals als höchster Weihen würdig. Auf eine Umfrage antwortete Alexander Lernet-Holenia 1950, den Nobelpreis verdiene Evelyn Waugh, "weil er, wie kaum ein anderer, die Krise der Zivilisation darstellt."

Als Waugh 1966 starb, war sein Ruhm leicht vergilbt. Die Literaturgeschichte verbuchte ihn als prononciert katholischen Autor, als wehmütigen Sänger britischer Lebensart, als eleganten Stilisten - und brillanten Satiriker. In den achtziger Jahren setzte in England eine Renaissance ein. Heute verschweigt der Diogenes-Verlag auf seiner Homepage den 100. Geburtstag seines Autors, man hat aber immerhin einige Werke neu aufgelegt, vielleicht, wie Fehler in den Klappentexten nahelegen, ohne sie zu lesen.

Katholisch, witzig, bösartig

Geniert man sich für ihn? Waugh war katholisch und mit Wonne politisch unkorrekt. Er war einer der witzigsten und bösartigsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, der die Rechte der Religion für den modernen Roman einforderte. Er begann als Ultramoderner und endete als Anachronist. Evelyn Waugh war, was er in seinem Roman Brideshead Revisited vom jungen Sebastian Flyte sagt: ein Mann "contra mundum". Er brüstete sich, seiner Zeit um 200 Jahre hintennach zu sein. Er schrieb mit der Füllfeder, verkehrte mit seinen Nachbarn brieflich statt telefonisch und benutzte ein viktorianisches Hörrohr. Einer politischen Partei gehörte er nicht an, weil es keine gab, die ihm, im Wortsinn, reaktionär genug war. Wählen ging er nicht, weil er es als Frechheit empfand, der Queen ihr Parlament vorzuschreiben. Er hasste das Steuerzahlen und zog es vor, Gewinne und Rechte - er gehörte zu den bestverdienenden Autoren seiner Zeit - zu verschenken.

Als Evelyn Arthur St. John Waugh 1930 zum katholischen Glauben übertrat, verblüffte er die Öffentlichkeit und löste eine heftige Debatte aus: Er hatte sich mit seinem zwei Jahre zuvor erschienenen Erstling Decline and Fall (Auf der schiefen Ebene) als Stimme der Jugend und als illusionsloser Beobachter des modernen Lebens profiliert. In die bizarren Erlebnisse eines unbedarften OxfordStudenten ist Autobiografisches gesickert: Als Sohn eines Verlagsangestellten 1903 in London geboren, gehörte Waugh der gehobenen Mittelklasse an. Dass er wegen einer literarischen Eskapade seines Bruders Alec mit einer öffentlichen Schule und später mit einem weniger distinguierten Oxforder College vorlieb nehmen musste, konnte er nie verwinden. Wie sein Romanheld verließ er Oxford vorzeitig und wurde Lehrer. Sein Drang nach Höherem machte ihn unbeliebt, zeitlebens sehnte er sich nach dem Nimbus des Aristokratischen.

"Christentum oder Chaos"

Für seine spektakuläre Bekehrung hat Waugh vor allem intellektuelle Gründe ins Treffen geführt. In einem großen Bekenntnisartikel im Daily Express begründete er seine Entscheidung als eine zwischen Christentum und Chaos: Die moderne Zivilisation sei ohne Rückbesinnung auf ihren christlichen Ursprung, auf den Glauben und das Vertrauen in moralische Werte nicht überlebensfähig. Und der Katholizismus sei die vollkommenste und vitalste Form des Christentums. Die Sehnsucht nach der Moral hatte jedenfalls persönliche Gründe: Waugh war soeben von seiner untreuen Frau Evelyn (!) geschieden worden.

Gerade war aber auch der zweite Roman Vile Bodies (Lust und Laster) erschienen, in dem Waugh ohne jede didaktische Bemühung die Partygeneration der Dreißiger ausstellt: junge Leute zwischen Ausschweifung und existenzieller Langeweile - soeben ist in den britischen Kinos Stephen Frys Verfilmung unter dem Titel Bright Young Things angelaufen. Ein "katholischer Autor" wie Georges Bernanos oder Gertrud von Le Fort war Waugh also nicht, seine Diagnose der Zerrissenheit erinnert eher an Graham Greene, der ihm politisch fernstand.

Waugh blieb zunächst bei den haarsträubend komischen und schrecklichen Farcen, in denen der Urwald die Protagonisten der hochentwickelten Kultur irgendwann einholt: Black Mischief (Schwarzes Unheil) ist eine Abrechnung mit dem Kolonialismus, mit der Ignoranz britischer Diplomaten, zugleich aber eine Ohrfeige für die Afrikaner, die meinen, von Europa lernen zu müssen: Seth I., Kaiser von Azanien, stürzt als reformfreudiger schwarzer Oxford-Absolvent mit Hilfe eines Sohnes aus bester Londoner Familie sein Land in die Katastrophe. Nichts Gutes lässt schon die Speisekarte beim kaiserlichen Bankett ahnen: "Menu der Lebensmittel: Vitamin A/Ölsardinen/Vitamin B/Geröstetes Rindvieh/Vitamin C/Kleine gebratene Spanschweinefleische/ [...] Vitamin H/Marmelade'. Es ist so englisch', erklärte Seth. Aus Verehrung für Ihr großes Empire.'" Zum Schluss verzehrt der englische Held als Gast eines Häuptlings ahnungslos die Überreste seiner Geliebten Prudence.

Zivilisationsfeind

Die grimmige Lust des weitgereisten Zivilisationsfeindes am Untergang des scheinbar Überlegenen, an der Nachbarschaft von Kultur und Kannibalismus spricht auch aus A Handful of Dust (Eine Handvoll Staub). Im biblischen Motiv sind Satire und Tragödie verknüpft: Ein reicher und gutgläubiger Mann verliert seinen Sohn durch einen Reitunfall und seine Frau an einen Nebenbuhler. Als er vor alldem zum Amazonas flüchtet und beinahe stirbt, wird er zum Gefangenen seines Retters, dem er im Urwald bis ans Ende seiner Tage Dickens' gesammelte Werke vorlesen soll. Eine Handvoll Staub illustriert Waughs - gegen literarische Bewusstseinsforscher wie James Joyce und Virginia Woolf gerichtetes - Prinzip der äußeren Darstellung: Ungerührtheit und ironische Neutralität angesichts des Tragischen. Den anderen zu verstehen ist ohnehin unmöglich: "Es war ihm zur Gewohnheit geworden, Brenda zu lieben und zu vertrauen", heißt es vom aus allen Wolken gefallenen Ehemann.

Unverhüllter Ernst, ja Sentimentalität klingt zum ersten Mal aus Brideshead Revisited (Wiedersehen mit Brideshead, 1945), Waughs berühmtestem Roman. Dazwischen liegen eine zweite Heirat ("Ich habe zahllose Kinder, die ich täglich für zehn, wie ich hoffe, ehrfurchtgebietende Minuten sehe") und der ernüchternde Kriegsdienst, in dem er sich durch Verwegenheit ebenso hervortat wie durch Ungehorsam. Die Geschichte einer katholischen Adelsfamilie, in die der Schicksalsfaden des - atheistischen - Erzählers verwoben wird, rückt die Frage des Glaubens ins Zentrum. Zunächst scheint Waugh bloß zeigen zu wollen, wie Sebastian, ein bezaubernder junger Mann und Freund des Erzählers, an der verinnerlichten Rigorosität der Religion zerbricht und zum Trinker wird. In Wahrheit aber will er vorführen, wie Gott die verlorenen Seelen ein Leben lang an einer sehr langen Angelschnur in illusorischer Freiheit hält und schließlich doch mit einem Ruck an Land zieht. Hinter der Melancholie, der Trauer um abgerissenen Herrenhäuser und die verlorene Jugend ("Et in arcadia ego" heißt der erste Teil) steckt diese Hoffnung auf einen geheimen Regisseur. Apropos: 1982 lief eine vielgerühmte BBC-Fernsehserie mit Laurence Olivier und Jeremy Irons.

Bissige Amerika-Satire

Von der beißend satirischen Betrachtung der Gegenwart hat Waugh sich damit nicht verabschiedet: Der Roman The Loved One (Tod in Hollywood) aus dem Jahr 1948, in dem er die Bestattungsrituale in den USA - und mit dem American way of death auch den American way of life - aufs Korn nimmt, ist genauso lustig wie die zehn Jahre früher unter dem Titel Scoop (Der Knüller) publizierte Satire auf das Zeitungsgeschäft. Humor und Ernst sind bei Waugh zwei Seiten einer Medaille, die von Abwehr und Angst geprägt ist: Ob die Wildnis oder das Massenzeitalter - immer ist es "bloß ein anderer Dschungel, der vorrückt". Der exzentrische Snob, ein Modernisierungsverlierer der privilegierten Art, war als Autor jedenfalls moderner, als er dachte. Den Humanismus seiner Kollegen Huxley und Orwell hielt Waugh für hohl und kraftlos. Seine Verachtung für das Laue bleibt faszinierend, auch ohne persönliche Vorbildwirkung: "Ich weiß, ich bin schrecklich", pflegte er zu sagen, "aber wie schrecklich wäre ich erst ohne den Glauben."

Bis auf "Wiedersehen mit Brideshead" (Claassen/List) und "Gilbert Pinfolds Höllenfahrt" (vergriffen) sind alle genannten Ausgaben bei Diogenes erhältlich.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung