6598945-1953_24_09.jpg
Digital In Arbeit

Der Philologie zuvorkommend

19451960198020002020

Zu dem Essayband „Altes und Neues“ von Thomas Mann. S. Fischer Verlag, 1953. 795 Seiten

19451960198020002020

Zu dem Essayband „Altes und Neues“ von Thomas Mann. S. Fischer Verlag, 1953. 795 Seiten

Werbung
Werbung
Werbung

Der vorliegende neueste Band der Stockholmer Gesamtausgabe mit dem bescheidenen Untertitel „Kleine Prosa aus fünf Jahrzehnten“ umfaßt jenen „Rest“, der seinerzeit — als aus den vier großen Essaybänden „Rede und Antwort“, „Bemühungen“, „Die Forderung des Tages“ und „Leiden und Größe der Meister“ die Kollektion „Adel des Geistes“ zusammengestellt wurde — draußen geblieben war. Auch diese Auswahl hat der Autor selbst vorgenommen, „der Philologie zuvorkommend“; das bedeutet, ironisch und doppelsinnig: sich gefällig erweisend und: dem Geschäft des Nachlaßverwalters vorgreifend. Ob nicht viele dieser Stücke bereits Historie sind, altbacken und abgetan, und ob der ganzen Sammlung nicht etwas Posthumes anhafte? Der Autor selbst wirft im Vorwort die Frage auf, und der Leser darf sie verneinen. Denn auch für ihn besteht der besondere Reiz und Wert dieses Buches darin, „daß es Leben festhält, Situationen im Wort bewahrt, die durchgestanden sein wollten“ und auf die der Autor mit der „kuriosen Genugtuung“ zurückblickt, „mit der man sich eben eines Lebens, eines bestandenen Lebens erinnert“. Besonders bei der Lektüre einiger Beiträge aus dem Kapitel „Politik“, etwa des „Briefwechsels mit Bonn“ aus dem Jahre 1937, der Glosse „Bruder Hitler“ und der großen Abrechnung mit der Kapitulation der Großmächte vor dem Dritten Reich '(„Dieser Friede“ von 1938) mag es geschehen, daß man rote Backen bekommt. So trefflich, richtig und — leider auch — aktuell sind sie. Sie zeigen in der Tat, daß Thomas Mann, früher als viele andere seiner Zunftgenossen, das Unwesen erkannte, als es noch leicht hätte ausgetreten werden können, und daß er ihm entgegentrat auch dort, „wo es, als schöner Tiefenkult, konservative Revolution und geistiger Edel-Obskurantismus vermummt, dem Unheil den Weg bereitete“.

Dieser Abwehrkampf wurde von der Position und mit den Argumenten des Liberalismus geführt, jenes aufgeklärten Humanismus, zu dem sich der Politiker Thomas Mann zwischen 1918 und 1945 immer wieder bekannte. Sein Standpunkt scheint ihm so eindeutig, sein Gewissen so rein, daß er auch die militant-patriotische Studie „Friedrich und die Große Koalition“ von 1914 in diese Sammlung aufnahm, denn „es scheint, daß der politische Instinkt, ist er nur einmal aus seinem Schlummer in reiner Torheit gewaltsam erweckt worden, wie es mir durch die Erschütterungen der Jahre 1914 bis 1918 geschah, sich rasch mit der sonst gewährten persönlichen Intelligenz ins gleiche setzt“. Das mag auch für die Zukunft gelten.

Von vielem und von vielerlei ist in den in acht Gruppen zusammengestellten Essays die Rede. In Einleitungen und Besprechungen, autobiographischen Skizzen und Reden klingt die gleiche Stimme, die gleiche Melodie dessen, der sich in dem Geburtstagsbrief an Hermann Hesse als „grauen Verstandesspatz unter lauter Harzer Gemütsrollern“ bezeichnet hat und der darob von einem namhaften alten Tonsetzer in München, „treudeutsch und bitterböse“, der „sein Leben lang viel zänkischen Unsinn geredet“ hat, gemeinsam mit dem Autor des „Glasperlenspiels“ als „Elender“ bezeichnet wurde. Das war während des letzten Krieges.

Das Bekenntnis zu dem Glauben, „daß böse und stumme Dinge erlöst und gutgemacht werden, indem man sie ausspricht“, das heißt ins helle Bewußtsein hebt, findet sich schon in dem zeitlich frühesten Stück dieser Sammlung aus dem Jahre 1906; das Lob der sittlichen Oberwelt, des klaren, humanen Gedankens und die Absage an den „geistigen Pfuhl“ beschließt die Studie über „Okkulte Erlebnisse“ (1923); und als Schüler der europäischen Humanität bekennt sich der 25jährige Autor der „Buddenbrooks“ und der Siebzigjährige zu jenen Instanzen und festen Punkten, die im Menschen liegen, „der mit seinem geistigen Teil außerhalb des Lebens und über ihm steht, in einer zarten Menschlichkeit, die sich das Leben, wie es ist, nicht bieten läßt, sondern es in Freiheit richtet — noch indem sie daran zugrunde geht“. Und über die Kunst — und damit über seine Aufgabe als Schriftsteller —, sagte Thomas Mann in seiner Rede über den Künstler und die Gesellschaft von 1952: „Sie ist dem Guten verbunden, und auf ihrem Grunde ist Güte, der Weisheit verwandt, noch näher der Liebe, Bringt sie gern die Menschen zum Lachen, so ist es kein Hohngelächter, das sie bringt, sondern eine Heiterkeit, in der Haß und Dummheit sich lösen, die befreit und vereinigt. Aus Einsamkeit immer aufs neue geboren, ist ihre Wirkung vereinigend. Sie ist die Letzte, sich Illusionen zu machen über ihren Einfluß aufs Menschengeschick. -Verächterin des Schlechten, hat sie nie den Sieg des Bösen aufzuhalten vermocht; auf Sinngebung bedacht, nie den blutigsten Unsinn verhindert. Sie ist keine Macht, sie ist nur ein Trost. Und doch — ein Spiel tiefsten Ernstes, Paradigma allen Strebens nach Vollendung, ist sie der Menschheit zur Begleiterin gegeben von Anfang an, und diese wird von ihrer Unschuld nie ganz das schuldgetrübte Auge wenden können.“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung