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Digital In Arbeit

Es wird Zeit, wieder an Gott zu denken

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FURCHE: Groß ist in der Gegenwart die Zahl der Wegweiser. Bleibt die Fragä, wieweit sie stimmen, und wieweit die Philosophie bereit ist, im digitalen Zeitalter Wege zu weisen. Oder beläßt man es bei der Aussage von Odo Marquard: Die Philosophie denkt lediglich über ihre eigene Nutzlosigkeit nach?

PROFESSOR ROBERT SPAEMANN: Das würde ich überhaupt nicht sagen. Ich teile die Skepsis meines Freundes Marquard nicht. Ich meine, daß die Philosophie die Aufgabe hat, eine gewisse Verblüffung des normalen Menschen durch die Technik, durch die modernen Wissenschaften aufzulösen. Es gibt so etwas wie Selbstverständlichkeiten unseres Zeitalters, daß Vorurteile gar nicht befragt werden, die verhängnisvoll sind, die auf die Dauer der Humanität des Menschen überhaupt nicht verträglich sind und die die Philosophie aufzulösen zur Aufgabe hat.

FURCHE: Sie sprechen davon, daß wissenschaftliche Erfahrung an die Alltagserfahrung rückzubinden ist?

SPAEMANN: Wissenschaftliche Erfahrung wird bisweilen die Alltagserfahrung korrigieren. Die Wissenschaft beansprucht heute, vielfach zu Unrecht, uns zu erklären, was wirklich und was unwirklich ist. Dafür besitzt sie eigentlich keine Kompetenz. So-daß die Phüosophie in dieser Hinsicht dem naiven Menschen, wenn Sie so wollen, den Rücken stärkt, indem sie zeigt, daß die Wissenschaft selbst noch naiv ist, wenn sie denkt, sie könne den naiven Menschen eines Besseren belehren.

FURCHE: Wie kommt es nun, daß Sie gewisse wissenschaftliche Erkenntnisse annehmen, andere ablehnen. Ich denke dabei an die evolutionäre Erkenntnistheorie, wie sie von Rupert Riedl vertreten wird. Auf welche Auswahlkriterien greifen Sie bei solchen Entscheidungen . zurück? Warum wehrt sich der Philosoph gegen die Einsichten der Biologen?

SPAEMANN: Nun, ich wehre mich niemals dagegen, daß ein Mensch nachdenkt.

FURCHE: Die Ergebnisse sind es, die Sie stören?

SPAEMANN: Ja ja. Ich würde sagen, die Biologen haben nicht genug nachgedacht. Das ist mein Einwand. Denn wenn sie glauben, daß sie durch das Aufzeigen gewisser Bedingungszusammenhänge menschlichen Bewußtseins uns erklären, wer wir sind, das fällt überhaupt nicht in ihre Kompetenz. Was ich der evolutionären Erkenntnistheorie vorwerfe ist, daß sie etwa mit Bezug auf Erkenntnis glaubt, das Phänomen der Erkenntnis zu erklären. Wenn sie imstande sind, uns eine Geschichte darüber zu erzählen, wie wahre Erkenntnis dem Menschen Selektionsvorteile gebracht hat, das sind zwei völlig verschiedene Dinge.

FURCHE'.Es sieht so aus,als ob sich die Kluft zwischen dem naturwissenschaftlichen und geisteswissenschaftlichen Weltbild verbreitern würde...

SPAEMANN: Es gibt das Buch von Rupert Riedl „Die Spaltung des Weltbildes“, wo er ja das Problem reflektiert, allerdings eine biologische Lösung vorschlägt. Ich würde sagen, er überwindet damit nicht die Spaltung des Weltbildes, sondern er macht nochmals eine Seite stark. So leicht, glaube ich, werden wir den Dualismus nicht überwinden. Ich bin nicht der Meinung, der Dualismus müßte in jeder Hinsicht das letzte Wort sein, aber jeder bisherige Versuch ihn zu überwinden ist vollkommen unzulänglich.

FURCHE: Was bedeutet für Sie der Hinweis auf das „Ende der Neuzeit“. Was bedeutet für Sie Wendezeit? Wohin wenden wir uns, und wovon wenden wir uns ab?

SPAEMANN: Das Buch „Ende der Neuzeit“ von Romano Guardini ist von großer Aktualität. Es ist aktueller als zu der Zeit, als es geschrieben wurde. Wozu wir Distanz gewinnen, ist ein Bewußtsein, das durch Begriffe charakterisiert ist, wie Emanzipation, Fortschritt, progressive Naturbeherrschung, Scientismus. Das heißt nicht, daß Wissenschaft ein wichtiges Instrument der Lebensbeherrschung sein kann, aber sie wird möglicherweise ihre weltbüdstiftende Funktion abgeben müssen, und das nicht zu ihrem eigenen Schaden. Wenn Sie allerdings fragen, wohin wenden wir uns, dann meine ich, daß der Philosophie die Kompetenz fehlt, hiezu etwas Wichtiges zu sagen. Es gibt zwar den historischen Materialismus, der solche Prognosen macht, für das, was kommt. Ich glaube, da hat Hegel richtiger gesagt, daß die Philosophie beschreibt, was ist. Was kommt, kündigt sich eher an in anderen Formen, der Sensibilität der Kunst zum Beispiel.

FURCHE: Wie soll es mit einer Gesellschaft weitergehen, die Gerd-Klaus Kaltenbrunner in „Wege der Weltbewahrung. Sieben konservative Gedankengänge“ folgend beschreibt: „Eine verfressene, eine übersättigte, eine gemästete Zivilisation ist geistig, kulturell und politisch verloren. Sie ist impotent.“ Klingt das zu pessimistisch für Sie?

SPAEMANN: Nein — so wie das da gesagt ist, kann man dem schon zustimmen. Nur, daß unsere Zivilisation auch so etwas wie alternative Bewegungen kennt, neue Formen der Askese, religiöse Basisbewegungen. Im ganzen ist die Beschreibung nicht ganz falsch, daß die Gesellschaft in wesentlichen Zügen eine hedonistische ist und insofern nicht schöpferisch. Ich glaube, die kreativen Kräfte unserer Zivilisation sind weitgehend erschöpft.

FURCHE: Liegen die Ursachen darin, daß wir lange Zeit nur über den Menschen nachgedacht haben und keine Zeit hatten, über Gott nachzudenken, wie Andre Sinjawski feststellt? Liegt darin der Grund unserer Eindimensio-nalität?

SPAEMANN: Man kann wahrscheinlich sagen, der Mensch muß sich immer definieren, entweder mit Bezug auf etwas, das größer ist als der Mensch, oder er definiert sich durch etwas, das weniger ist als der Mensch. Und eine anthropozentrische Zivilisation, die den Gedanken, was größer als der Mensch ist, ausschließt, muß den Menschen dann reduzieren auf seinen Charakter als ein Bedürfniswesen. Und sie muß alles, was der Mensch an Äußerungen tut, seine Hingabefähigkeit an etwas Größeres als er selbst, uminterpretieren zu einer Befriedigung eines Bedürfnisses. Also zum Beispiel, die Religion ist die Befriedigung eines religiösen Bedürfnisses und so weiter. Das ist natürlich in gewisser Hinsicht tödlich.

Nietzsche hat das ganz richtig gesehen, daß, wenn man Religion abschafft, man ein Äquivalent braucht. Und es gibt ein Wort von Nietzsche, wo er sagt: Es war die größte Idee, die das Christentum in die Welt gebracht hat, daß der Mensch Gott lieben soll, das heißt, daß er sich auf etwas beziehen soll, das größer ist als er. Als Atheist glaubte Nietzsche nun, er müsse ein Äquivalent schaffen, und das war der Ubermensch. Die Hoffnung also, daß in der Zukunft etwas liegen werde, das größer ist als der Mensch. Der Mensch sollte sich nur als Durchgangsstadium verstehen, hin zu diesem Menschen der Zukunft. Diese Utopie können wir nicht mehr haben.

FURCHE: So bleibt nur noch der Konsum...

SPAEMANN: Entweder es bleibt der Konsum. Das heißt, die Definition des Menschen durch das, was in ihm das Geringste ist. Es ist eine untermenschliche Definition, indem er unter sein Niveau geht. Oder die Frage muß noch einmal gestellt werden, ob der Mensch sich nicht als Gegenwart einer größeren Wirklichkeit in der Welt verstehen muß. Das meint auch das Zitat von Sinjawski: Es wird Zeit, an Gott zu denken.

Das Gespräch führte Siegmund Kastner.

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