Die Bundesregierung hat gegen die EU-weite Förderung embryonaler Stammzellforschung ihre Stimme erhoben - zu spät, allein und mit einer guten Portion Scheinheiligkeit.
Und wieder war Brüssel an allem schuld. Leider seien die von der Bioethik-Kommission geforderten Einschränkungen nicht berücksichtigt worden, begründete Wissenschaftsministerin Elisabeth Gehrer am Montag vergangener Woche Österreichs Nein zum sechsten EU-Rahmenprogramm für Forschung und Entwicklung (2002 bis 2006). "Unsere Bedenken sind unverändert aufrecht und eine generelle Zustimmung daher nicht möglich." Folglich lehnte Österreich das mit 17,5 Milliarden Euro dotierte Förderungsprogramm - in dem 2,3 Milliarden Euro für "Biowissenschaften, Genomik und Biotechnologie" vorgesehen sind - ab. Zwar hatten auch Deutschland, Italien und Irland in einer Erklärung ihre Kritik zu Protokoll gegeben, ebenso Portugal und Luxemburg. Ein definitives Nein deponierte am Ende jedoch nur Österreich. Allerdings werde man im Herbst an der Detailabstimmung einzelner Förderungsbereiche mitarbeiten und "großen Teilen" zustimmen, gibt Gehrer Entwarnung.
Was auf den ersten Blick als mutige und konsequente Entscheidung für den Schutz beginnenden Lebens und gegen den europäischen Mainstream erscheint, mutiert freilich bei näherer Betrachtung zur Farce. Vor allem die vorgebrachten Begründungen entlarven den österreichischen Sonderweg als taktisches Manöver und Folge einer verschlafenen Biopolitik. So geht etwa der Hinweis, wonach die von der Bioethik-Kommission formulierten nötigen Einschränkungen in Brüssel und Strassburg nicht berücksichtigt worden seien, schlichtweg ins Leere.
Monatelang hatte das 19-köpfige Beratungsgremium der Bundesregierung um eine Empfehlung gerungen, mehrmals wurde die Bekanntgabe des Votums vertagt. Als die Bioethik-Kommission schließlich am 8. Mai ihre zweigeteilte Stellungnahme präsentierte - elf Mitglieder sprachen sich für eine Förderung embryonaler Stammzellforschung unter strengen Kautelen aus, acht Experten votierten gegen die Unterstützung dieses ethisch bedenklichen Forschungsbereichs -, waren in Europa die Würfel längst gefallen.
"Am selben Tag, an dem unsere Kommission ihr Papier abgegeben hat, haben sich Rat und Europäisches Parlament geeinigt, dass es kein Kodezisionsverfahren (Mitentscheidungsverfahren zwischen Rat und Parlament; Anm. d. Red.) geben wird. Damit war klar, dass das Papier keine Auswirkungen hat", kritisiert Ulrich Körtner, evangelischer Theologe und wohl streitbarstes Kommissionsmitglied, gegenüber der furche. "Es ist deshalb lächerlich zu sagen, Brüssel hat unsere moralischen Bedenken nicht ernst genommen." Die Bioethik-Kommission sei erst relativ spät mit der Materie befasst worden. So habe Österreich "lange nach Einsendeschluss" protestiert.
Auch der Modus, wie die beiden mit der Materie befassten Regierungsmitglieder - Bundeskanzler Wolfgang Schüssel und Wissenschaftsministerin Elisabeth Gehrer - nach Vorlage der kontroversiellen Empfehlung der Bioethik-Kommission zur österreichischen Position gelangten, ist kritisch zu hinterfragen. Noch kurze Zeit vor der fälligen Positionierung war etwa im Wissenschaftsministerium nicht in Erfahrung zu bringen, wie die Entscheidungsfindung vonstatten gehen solle. Nach dem österreichischen Nein hieß es auf Anfrage der furche, dass diese Frage in die alleinige Kompetenz Elisabeth Gehrers falle. Sie habe entschieden - basierend auf der Stellungnahme der Bioethik-Kommission und in Absprache mit dem Bundeskanzleramt. Dass der eingeschlagene Weg nun - ohne ausführlichere Diskussionen - gerade der Minderheitenposition in der Kommission folgt, verstärkt die schiefe Optik.
Entlarvend klingen auch die Argumente, mit denen man den Ängsten der Wirtschaft vor nachteiligen Folgen des Neins begegnet: "Wir wissen, dass es auf Grund unserer Ablehnung zu keiner Verzögerung des Rahmenprogramms kommt", erklärte Ministerin Gehrer. Was, wenn der österreichische Protest tatsächlich Folgen gehabt hätte? Im vorliegenden Fall waren die Risiken des Protests jedenfalls gering - abgesehen von atmosphärischen Störungen in der Beziehung zu Brüssel, die Österreich schon des öfteren verkraftet hat.
Schließlich gibt auch jene Hoffnung der Bundesregierung zu denken, die man an die Konsequenzen der eigenen Vorgangsweise knüpft: Die ablehnende Haltung Österreichs sei ein "notwendiger Impuls für eine breite Diskussion auf europäischer Ebene zu dieser Grundwertehaltung, die bis jetzt noch nicht ausreichend geführt wurde". Wenn es auf diesem Gebiet noch einen Mangel gibt, dann in Österreich. Das Fortpflanzungsmedizingesetz harrt seiner Novellierung, ebenso existiert hinsichtlich des Imports embryonaler Stammzellen nach wie vor ein rechtsfreier Raum.
Diese Löcher sind ehestmöglich zu schließen, wie auch der Modus bei der Suche nach politischen Positionen in ethischen Fragen zu klären ist. Solange diese biopolitischen Aspekte offen sind, sollte Österreich - nach dem Vorbild anderer Bedenkenträger wie Deutschland, Irland und Italien - mit lautstarkem Protest in Brüssel vorsichtig sein. Mit unvollständigen Noten und falscher Intonation gegen ein Orchester anzusingen, ist jedenfalls noch nie geglückt.
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