Abschied vom "Dahintaktieren"

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die furche: Während bei uns die Debatten um ethische Grenzen der Biomedizin fortdauern, schaffen die Forscher in den USA mit der Züchtung von Embryonen zur Stammzellengewinnung Fakten. Werden wir - nolens volens - nicht längst von der biomedizinischen Revolution überrollt?

Günter Altner: Man könnte zweifellos diesen Eindruck gewinnen, doch alle an der Stammzellforschung Beteiligten schätzen, dass es noch Jahrzehnte dauert, ehe dort Ergebnisse gewonnen werden. Wir können also im Blick auf den Sinn der Stammzellenforschung zur Gewinnung neuer Gewebe oder Organe bedächtig und kritisch vorangehen. Dazu gehört, dass wir die Methoden prüfen: Sind sie menschlich angemessen? Ich halte es etwa für unzulässig, zur Gewinnung von Stammzellen menschliche Embryonen zu verwenden. Sowohl direkt für den Zweck gezeugte, als auch überzählige. Es kann nicht sein, dass wir ferner liegende Heilungsabsichten dadurch gewährleisten und ermöglichen, dass wir menschliches Leben töten.

die furche: In US-Zeitungen wurde das Bild eines 11-jährigen, diabeteskranken Mädchens gezeigt. Die Überschrift lautete: "Mit Stammzellen wäre eine Heilung in Reichweite." Wie kann man als Kritiker dieser Methoden an jene Betroffenen herantreten, die sich Heilung erhoffen?

Altner: An dieser Stelle setzt die Verantwortung ein. Bei den Stammzellen sind wir nicht in der Lage, direkte therapeutische Hilfen geben zu können, und dann darf man den Betroffenen auch nicht so etwas vorgaukeln. Bezüglich der somatischen Gentherapie, also durch das Einfügen von Genen in den Krankheitsherd etwa von Krebskranken das Krankheitsgeschehen umzusteuern, musste man auch im Nachhinein bekennen, dass die Modellvorstellungen offenbar unzureichend waren. Es hat hier auch Todesfälle gegeben und eine erhebliche Gefährdung der Patienten. Man darf erst dann, wenn die Chance der Anwendung einigermaßen sicher ist, auf die Patienten zugehen.

die furche: Sie haben dafür plädiert, in die Diskussion über die Präimplantations- und Pränataldiagnostik Behindertenverbände miteinzubeziehen. In der Bioethikkommission des österreichischen Bundeskanzlers ist niemand aus diesen Gruppen vertreten, wohl aber werden Experten zu einzelnen Fragestellungen eingeladen. Halten Sie diese Lösung für zufriedenstellend?

Altner: Ich habe mir sagen lassen, dass die Behinderten eingeladen gewesen sind, aber ihren Sitz nicht wahrnehmen. Das würde ich für bedauerlich halten. In Deutschland ist die Situation eigentlich anders. Die Behindertenverbände sind sehr gut organisiert und auch mit ihren Veröffentlichungen auf einem Stand, von dem man sagen kann, das sind interessante, diskursfähige Partner, die darauf warten, miteinbezogen zu werden.

die furche: Sie haben in der Bioethik-Debatte die Notwendigkeit betont, sich ernsthaft auf die gegnerische Position einzulassen. Ist das für Theologen und Naturwissenschafter, die in unterschiedlichen Denk- und Sprachwelten leben, überhaupt möglich?

Altner: Das ist ein schwieriger Punkt. Im Grundsatz denke ich ja ähnlich konsequent wie katholische Dogmatiker: Ich spreche von einer ausnahmslosen Schutzwürdigkeit des menschlichen Keims ab der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle und wende mich gegen den Gebrauch und Verbrauch von Embryonen. Man muss in der ethischen Diskussion immer unterscheiden zwischen dem klar formulierten, eigenen Grundsatz und der Frage, ob ich in der Lage bin, die ganze oder wesentliche Teile meiner Position durchzusetzen. Dazu muss die Bereitschaft gehören - auch bei katholischen Dogmatikern und Kirchenleuten -, nicht nur dahinzutaktieren, um die volle dogmatische Linie in praxi durchzusetzen. Die setzen wir nie im Leben durch. Sondern es geht darum, ein Höchstmaß dessen, was uns unaufgebbar erscheint, im gesellschaftlichen Kompromiss zu erreichen.

Das Gespräch führte

Doris Helmberger

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