In Deutschland sorgt die Ankündigung des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Clement für Aufregung, er wolle eine Lücke im Embryonenschutzgesetz ausnutzen und embryonale Stammzellen zu Forschungszwecken importieren. Mit diesen Stammzellen will ein international angesehenes Forschungsteam der Universität Bonn experimentieren, das an der Entwicklung neuer Therapieverfahren für die Behandlung neuronaler Erkrankungen wie der Multiplen Sklerose arbeitet.
Importiert werden sollen die Stammzellen aus Israel. Vor zwei Wochen hat Ministerpräsident Clement bei einem Staatsbesuch in Israel eine entsprechende Vereinbarung getroffen. Nun ist die Empörung in Deutschland groß. Die neu entbrannte Kontroverse um Ökonomie und Moral hat freilich einen bislang kaum beachteten interreligiösen Aspekt, der für die bioethische Debatte von weitreichender Bedeutung ist. Embryonale Stammzellen werden nämlich in Israel mit ausdrücklicher Billigung der jüdischen religiösen Autoritäten gezüchtet.
Nach orthodoxer jüdischer Lehre beginnt das Leben eines Menschen nicht schon mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle, sondern eigentlich erst mit der Geburt. Das Gebot, menschliches Leben wenn irgend möglich zu retten, rechtfertigt nach jüdischer Auffassung im Grundsatz die verbrauchende Embryonenforschung.
Wenn sich die Kirchen für ihre Forderung nach einem strikten Embryonenschutz auf den biblischen Schöpfungsglauben berufen, sollten sie bedenken, dass dieser im Judentum anders ausgelegt wird.
Daher sollte man auch mit dem Bindestrich-Ausdruck "jüdisch-christlich" sorgsamer umgehen, um das Judentum nicht für christliche Positionen zu vereinnahmen. Die Kirchen haben keine Monopolstellung. Im bioethischen Diskurs einer pluralistischen Gesellschaft müssen alle Religionen Gehör finden und mit eigener Stimme sprechen.
Ulrich H. J. Körtner ist Professor für Systematische Theologie H.B. an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien.
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