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Leben werden nur Verantwortungsvolle

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Wovon wir morgen leben werden? — Von der Verantwortimg, die wir heute dem Morgen gegenüber an den Tag legen, denn zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit befinden wir uns in der Lage, sowohl die Welt zerstören zu können, als auch die Lebewesen, einschließlich des Menschen, zu verändern. Atemberaubende Ausblicke eröffnen sich, keineswegs nur Zerstörung, sondern auch großartige Möglichkeiten der Hilfe, der Heilung, der Verbesserung zeichnen sich ab.

Die Frage, die Hand in Hand mit den neuen biotechnischen Errungenschaften und deren Ausbau gehen sollte, ist die, ob es ein Welt- und Menschenbild gibt, das als gemeinsame Zielvorstellung anerkannt wird.

Nicht was gemacht werden kann, sondern was getan werden soll, wird immer wichtiger. Und diese Frage ist nicht den Naturwissenschaften zu überlassen, sondern ist von gesamt-gesellschaftlicher Relevanz.

Wir sollten aus dem Okoschock doch einiges gelernt haben, das sicherlich auch für den Menschen gut. Durch die technische Intervention des Menschen in der Natur ist uns ihre Verletzlichkeit bereits klar geworden; eine Verletzlichkeit, mit der man nicht gerechnet und die man nicht für möglich gehalten hatte.

Sie hat nicht nur erstaunt, sondern auch betroffen gemacht, stellt sich doch im Zusammenhang mit dieser Einsicht auch die Frage, ob die gesamte Biosphäre menschliches Treugut ist und ob sie um des Menschen willen oder aber um ihrer selbst willen einen Anspruch auf Beachtung und Erhaltung ihrer Eigengesetzlichkeit hat. Sie ist - das haben wir mittlerweile erkannt - Teil unserer Verantwortung.

Das Urbild aller Verantwortung aber ist die des Menschen für den Menschen. Und hier wiederum gilt die elterliche Verantwortung als Urbild jeder Verantwortung. Genau hier ist jedoch gesellschaftliches Fehlverhalten zu verzeichnen, das die Frage provoziert, wie es um das Verantwortungsgefühl im allgemeinen steht.

Festzustellen ist: Das Schicksal von Kindern wird zunehmend in die Beliebigkeit ihrer Eltern gestellt. Kinder werden häufig als Mittel zur persönlichen Glückserfüllung mißbraucht, ihr eigenes Schicksal mißachtet. Die vielen tausend Scheidungswaisen, für die weder Vater noch Mutter Zeit und Zuwendung aufbringen, zeugen von dieser Tatsache. Ein anderes Gebiet ist das der Abtreibung, beziehungsweise der Erzwingung des Kindes bei sterilen Paaren.

Bei der vorgeburtlichen Tötung des Kindes reichen die Gründe von der augenblicklichen Unerwünschtheit oder dem „falschen“ Geschlecht des Kindes bis hin zur Feststellung einer Behinderung (unsere freie Wohlstandsgesellschaft hat, ohne viel Aufhebens davon zu machen, wiederum den Begriff des lebensunwerten Lebens eingeführt) oder einer subjektiv stark empfundenen Gefährdung der Existenzbedingungen der Mutter.

Bei der Erzwingung eines Kindes durch die modernsten Methoden der Reproduktionsbiologie wird in Kauf genommen, daß weder Kind noch Eltern den genetischen Vater (zuweilen auch nicht die Mutter) kennen, daß ein Embryo erst tiefgefroren und dann wieder aufgetaut wird und daß Hunderte Embryos erzeugt, manipuliert und letztendlich vernichtet werden, damit einer handvoll Paaren ein egozentrischer Kinderwunsch erfüllt wird, während zur selben Zeit Millionen von Kindern auf der ganzen Welt Hungers sterben und abgetrieben werden.

Dieser Hintergrund darf nicht unbeleuchtet bleiben, weil er zeigt, wieviel noch an gegenwartsbezogener Verantwortung zu bewältigen wäre. Gerade aber durch die modernen Sterüitäts-behandlungsmethoden können Untersuchung und Forschung an menschlichen Keimzellen betrieben werden. Das führt uns direkt hinein in die Möglichkeit der genetischen Manipulation. Steht der „neue“, der „perfekte“, der „vollkommen gesunde“, ja der „Ubermensch“ schon vor der Tür?

Ist das Erdenken der Qualitäten, die ihm innewohnen sollen, dem Menschen überhaupt möglich? In welchem Maß schwingen wir uns hier zur nicht legitimen

Gottgleichheitauf?

Wir haben es mit einer neuen Dimension der Verantwortung zu tun.

Der denkende Bürger wird gut daran tun, sich an der Diskussion darüber zu beteiligen und sich seiner Mitverantwortung bewußt zu werden.

Die Autorin ist Generalsekretärin der .Aktion Leben“.

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