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London liebt es nicht, als „Abtrel-toumgszentrale der Welt“ zu gelten. Darüber sind sich Freund und Feind einig — Gegner des Ende April 1968 in Kraft getretenen Gesetzes zur Erleichterung von Schwangerschaftsunterbrechungen, die diese Bezeichnung geprägt haben, und die Anhänger der Maßnahme, die sie, wie So-ialmlnister Richard Crossmaon, als „beachtliche Reform“ feiern. Sonst aber befehden sie sich immer heftiger — Im Parlament, in Ärztever-sammiungen, in den Kirchen, in der Presse. Leidenschaftlich wird eine Straffusng der 'Bestimmungen vorgeschlagen aber abgelehnt. Ein entsprechender Abänderuragsanitrag wurde im Unterhaus mit der ungewöhnlich geringen Mehrheit von elf Stimmen abgewiesen. Strenggenommen trifft das Schlagwort überhaupt nicht zu. In Großbritannien werden gegenwärtig etwa 44.000 legale Abtreibungen pro Jahr durchgeführt: 25.000 kostenlos vom öffentlichen Gesundheitsdienst in Krankenhäusern, 18.500 in den dazu ermächtigten 50 Privartkliniken. Auf 100 Lebendgeburten kommen daher rund fünf Abtreibungen. Diese Rate liegt sogar in einzelnen westeuropäischen Ländern mit liberaler Gesetzgebung höher (Dänemark: 8,7; Schweden: 7,9). Noch frappanter sind die Zahlen der kommunistischen Welt: 44 in der Tschechoslowakei, 126 gar in Ungarn.

Trotzdem: eine gewisse Berechtigung ist dem Schlagwort nicht abzusprechen. Der Eingriff ist in England kommerzialisiert worden, die Sache ist bequem, ist verhältnismäßig unigefährlich, die Todesquote .bei den legalen Operationen ist gegenüber der Zeit vor der Änderung des Gesetzes' gesunken, und die Ko-steMHmati%rf-chs%hnii)t 6ÖÖ0 bfiPSWBff Schilling, liegen nicht übermäßig

hoch. Wie viele Ausländerinnen zu diesen Zwecken nach England reisen, läßt sich allerdings nicht genau feststellen. Mit Sicherheit kann man lediglich sagen, daß die sehr tiefen amtlichen Zahlen nicht stimmen. Das grüne Formular, auf dem jeder Eingriff den Ämtern mitgeteilt werden muß, fragt nämlich nur nach dem Wohnort der Patientin, und niemand kontrolliert ihre Angaben. Umfragen bei den Kliniken — bei den Krankenhäusern haben Zugereiste kein Glück — ergeben, daß sich gegenwärtig pro Monat etwa 600 Ausländerinnen das Gesetz zunutze machen. Es sollte in erster Linie den Engelmacherinnen das Handwerk legen, was wohl auch weitgehend gelungen ist. Die Bedingungen, unter denen es die Abtreibung gestattet, sind so großzügig formuliert, daß ein Arzt, dem mehr am Honorar als an der Standesethik gelegen ist, praktisch jeden Abtreibungswuusch erfüllen kann. Solche Ärzte gibt es. Über ihre Einkünfte schwirren die unsinnigsten Gerüchte — die Kombination von Sex und Mammon beflügelt die Phantasie unwiderstehlich. Einige von ihnen mögen indes pro Jahr -tatsächlich 3 Millionen Schilling verdienen.

Sie sind nicht die einzigen, die aus dem neuen Gesetz ungehörigen Gewinn schlagen. Taxichauffeure am Londoner Flugplatz lauern auf entsprechende junge Damen. Wenn diese bereits den Namen einer Klinik in der Tasche tragen, behaupten sie keß, diese Anstalt sei leider gestern nacht abgebrannt, und fahren sie zu einer anderen — um eine Belohnung von 300 Schilling zu verdienen.

Einige der acht großen Londoner Kliniken (die übrigen 51 zählen kaum) gehen in ihren Werbemethoden auch sonst recht weit. Eine ver-

sandte — „irrtümlich“, wie sie sich danach entschuldigte — Rundschreiben an deutsche Ärzte, denen sie für jede Patientin einen Bonus von 200 Mark versprach. Meldungen allerdings über eine Abmachung mit einer Organisation in Kopenhagen, auf Grund derer diese pro Jahr 30.000 skandinavische Patientinnen In Charter-Flugzeugen nach England schicken kann und ihnen nur 6000 Schilling berechnet, scheinen sich nicht zu bewahrheiten.

„Ohnehin möchte eine Frau, die entschlossen ist, ihr Kind nicht zur Welt zu bringen, lieber ausgebeutet als schwanger sein“, wie der „Ob-server“ schrieb. Daß Privatkliniken so profitieren können, liegt zum großen Teil an Unzulänglichkeiten des englischen Gesundheitsdienstes. Erstens hat dieser zwar die Zahl der Eingriffe gegenüber früher vervierfacht, doch ist er noch nicht darauf eingerichtet, den Bedarf ganz zu erfüllen. Zweitens enthält das Gesetz versitändlicherweise eine Klausel, die jedem Arzt aus Gewissensgründen gestattet, mit Abtreibungen nichts zu ■tun zu haben. Das trug insbesondere den Bedenken der Katholiken Rechnung.

Wer sind, von den Fremden abgesehen, diese Frauen, die eine Abtreibung vornehmen lassen? Etwa die Hälfte ist unverheiratet. Unter tausend Patientinnen, die der Gynäkologe Peter Diggory behandelt hatte, befanden sich 18 Ärztinnen, 84 Studentinnen, 99 Krankenschwestern, 29 Lehrerinnen und 42 Schülerinnen. Nur ein Bruchteil von ihnen hatte er fragen können, ob sie ein Verhütungsmittel benutzten. 76 hatten eingestanden, sie täten das normalerweise überhaupt nicht; 119 hatr. ten es „diesmal versäumt“. ... .

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