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Kritische Opposition soll getroffen werden

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„Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, daß du es sagen darfst" (Voltaire). Wie Honig rinnt dieser Satz - gar oft - aus Politikermund; die angeblichen Hüter der Demokratie („Sozialismus ist vollende Demokratie") können in Sonntagsreden gar nicht genug betonen, wie erxist es ihnen mit der Herstellung politischer Öffentlichkeit ist. Der Bürgermeister von Wien betonte, allerdings schon vor Jahren, daß er sich mehr Kritik wünsche. In einem Anfall von Aufklärungssehnsucht brach er eine Lanze für das öffentliche politische Wort. Er, der Demokrat, der leidenschaftliche Parlamentarier (Selbsteinstufungen).

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„Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, daß du es sagen darfst" (Voltaire). Wie Honig rinnt dieser Satz - gar oft - aus Politikermund; die angeblichen Hüter der Demokratie („Sozialismus ist vollende Demokratie") können in Sonntagsreden gar nicht genug betonen, wie erxist es ihnen mit der Herstellung politischer Öffentlichkeit ist. Der Bürgermeister von Wien betonte, allerdings schon vor Jahren, daß er sich mehr Kritik wünsche. In einem Anfall von Aufklärungssehnsucht brach er eine Lanze für das öffentliche politische Wort. Er, der Demokrat, der leidenschaftliche Parlamentarier (Selbsteinstufungen).

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Er bekam die öffentliche Kritik. Die Wiener ÖVP erwachte - von Erhard Busek geküßt - aus ihrer Schläfrigkeit, Bürgerinitiativen rührten sich und irritierten den Glauben der SPÖ Wien, die „größte Bürgerinitiative des Landes" zu sein (ebenfalls Selbsteinstufung); es gab nicht nur Kritik, sondern es gibt konstruktive Ideen. In Reden, Broschüren, Ideenmärkten und u. a. auf sogenannten „Dreieckständern" (kleine Plakatanschlagflächen).

Auf eben solchen plakatierte die SPÖ Wien im Vorwahlkampf zu den Wiener Gemeinderats wählen 1978 „Mehr Rechte für die Bürger". Die seit Jahrzehnten herrschende Partei „gewährte" mehr demokratische Rechte und behandelte solcherartdie Bürger sehr „von unten herab".

Den sozialistischen Bürgermeister drängte es - kaum waren weitere zwei Jahre ins Land gegangen -, die neuen Bürgerrechte (für sich) zu nutzen. Die kritischen und ihn provozierenden Kleinplakate der Wiener Volkspartei waren ihm sichtlich ein Dorn im Auge. Nach der Devise „Das - für mich - Wichtige zuerst" schritt er an deren Abschaffung. Das Volk sollte ihm die Legitimation dazu geben, sollte sich gegen die vielgelobte Werbung aussprechen. Im Namen der Ästhetik!

Nach mehreren Formulierungsversuchen war es dann soweit. Außerhalb von Wahlzeiten soll das Aufstellen von Dreieckständern verboten sein, das Informationsmonopol der Rathauskorrespondenz, dessen -durch Steuern finanziertes - Budget nicht abgefragt oder hinterfragt wird, solcherart stärkend.

Getroffen werden soll die kritische Opposition. Die SPÖ Wien, deren Vorfahren einst für die Abschaffung von Zensur, für Rede- und Informationsrecht kämpften, hat genug andere Mittel zur Verfügung.

Jene Partei, die - zu Recht - bei der Beschlagnahme ihres Zentralorgans aufschreit, rechnet sich aus, daß ihr eine Volksbefragung die präventive Beschlagnahme von Oppositionsplakaten ermöglicht. Wer will schon Plakatständer, die die Stadt „verschandeln", wer wünscht schon „Propaganda"...?

„Mehr Rechte für die Bürger" beginnen mit einer Idee zur Beschneidung der Rechte für die politisch Andersdenkenden.

Darf die Opposition - falls dieser Anschlag auf demokratische Rechte der SPÖ durchgeht - bei der nächsten Volksbefragung, die ja keine Wahl ist, nicht mehr ihren Standpunkt plakatieren? Soll sie nicht mehr die Möglichkeit haben, „Wahnsinn" zu schreiben, wenn die Tarife der öffentlichen Verkehrsmittel von einer SPÖ erhöht werden, die in ihren Programmen den Vorrang des öffentlichen Verkehrs postuliert und in der Praxis Hochleistungsstraßen für den Autoverkehr bauen will?

Der Philosoph Karl Popper schrieb vor langer Zeit, „eine folgerichtige demokratische Verfassung sollte nur eine Art der Änderung des legalen Systems ausschließen, nämlich eine Änderung, die ihren demokratischen Charakter gefährden würde". Man könne über alles abstimmen, aber nicht über die Abschaffung demokratischer Rechte. Die Möglichkeit des „öffentlichen Wortes" ist ein demokratisches Recht. Gedankenfreiheit ist zu wenig.

Das, was die Wiener SPÖ mit diesem Text der Volksbefragung versucht, ist die Verstärkung dessen, was Sozialwissenschafter mit „zwanghafter Kommunikation" umschreiben.

„Zwanghafte Kommunikation ... bezeichnet die erfolgreichen Versuche privater und regierungsamtlicher Gruppen, die öffentliche Kommunikation zu strukturieren und zu begrenzen, daß ihre Interessen sich durchsetzen ... Da offene

Kommunikation den politischen Status quo gefährden kann, wird die öffentliche Diskussion auf Themen und Gegenstände beschränkt, die nicht gefährlich sind ... Bei gesteuerter und bei eingeschränkter Kommunikation liegt die Störung politischer Kommunikation darin, daß sie Individuen und Gruppen an der Artikulation eigener Interessen hindert" (C. Mueller, „Politik und Kommunikation").

Die Versuche der Wiener SPÖ, durch Berufung auf einen Volkswillen politische Meinungsäußerungen zu verhindern, paßt nahtlos in ihre repressive Haltung gegenüber Kritik, die gern als „destruktiv" abgetan wird. Sie ist zutiefst unliberal. Abgesehen davon, daß sie im gegenständlichen Fall unendlich kindisch und lächerlich ist:

Die SPÖ Wien fordert eine Einschränkung der Plakate aus ästhetischen Gründen (!). (Sind die Plaka-terln der Opposition in ihren Augen „entartete Kunst"?). Wo aber bleibt der Schönheitssinn der Wiener SPÖ bei Denkmälern der Stadtverschan-delung, im Bauwesen, bei der kommunalen Verunstaltung von historischen Straßen und Plätzen?

Nicht die Stadtverschandelung schreckt die Wiener SPÖ und den Herrn Bürgermeister, sondern das Wort. Sonst hätte man das Plakatverbot auf historische Straßen und Plätze beschränkt - und wahrscheinlich die Zustimmung der Opposition gefunden. Die Herrschaftspartei sucht die zwanghafte Kommunikation. Aus tiefer Abscheu vor dem Wort - der anderen. Es ist dies ein Zeichen für eine sprachlose Partei, die wünscht, daß auch die anderen verstummen.

„Nichts als Worte!" sagten sie verächtlich und verboten diese (St. J. Lee). Das sind Worte eines Aphoristikers aus dem Ostblock. Man sollte bei einer Volksbefragung mit seiner Stimme dazu beitragen, daß die Verachtung des Wortes und seine Unterdrückung der herrschenden Wiener SPÖ nicht allzu leicht gemacht wird.

Dr. Rudolf Bretschneider ist Sozialforscher und Geschäftsführer des Dr. Fessel-i-GfK-lnstitutsfür Markt- und Meinungsforschung.

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