Ausländer vor allem als "Problem" präsent

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Das Ergebnis der Schweizer Volksabstimmung vom 9. Februar löste im Land auch eine Debatte über die Berichterstattung der Medien aus.

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Das Ergebnis der Schweizer Volksabstimmung vom 9. Februar löste im Land auch eine Debatte über die Berichterstattung der Medien aus.

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In der Schweiz ist die Aufregung übers "unbotmäßige" Abstimmungsverhalten der Schweizer zur "Masseneinwanderungs"-Initiative groß. Eine Frage, die in den letzten Tagen heiß diskutiert wurde, ist die Rolle der Medien. Trifft sie eine Mitschuld, weil zumindest einige von ihnen der populistischen Rechten in die Hände gespielt haben?

Nein, natürlich haben sich die Medien nicht mehrheitlich explizit für die Initiative der rechtspopulistischen SVP zum Stopp der "Masseneinwanderung" eingesetzt. Im Gegenteil, ein Großteil der "Journaille" rechnet sich der "weltoffenen" Schweiz zu - und damit den Eliten, die wissen, dass das Land seinen Wohlstand nicht zuletzt den Ausländern mitverdankt.

Trotzdem habe, so berichtete das Forschungsinstitut Öffentlichkeit und Gesellschaft der Universität Zürich, die rechtspopulististische Initiative beispielsweise von der größten Zeitung, dem Gratisblatt 20 Minuten, aber auch vom sonst eher linksliberalen und auf Seriosität bedachten Tages-Anzeiger Zuspruch erhalten. Das Institut beobachtete vor allem einen ",horse race'-Journalismus, bei dem Kampagnenstrategien statt der Austausch von Argumenten im Zentrum stehen". Insgesamt ergab das Auszählen der Beiträge mit Pro- und Kontra-Tenor bei beiden Zeitungen einen leichten Überhang zugunsten der populistischen Initiative.

Das kann man zwar auch als Beleg für eine ausgewogene Berichterstattung deuten -

aber ebenso lässt sich in die Zahlen hineinlesen, dass es sich die Redaktionen ziemlich bequem gemacht haben: Der mediale Populismus besteht womöglich gerade darin, dass die beiden Zeitungen den Vereinfachern der rechtslastigen SVP gleich viel Aufmerksamkeit geschenkt haben wie der "großen Koalition" aus allen anderen Parteien, den Gewerkschaften und Wirtschaftsverbänden ebenso wie der Kirche und Universitäten, die auf die komplizierten Zusammenhänge und Folgeprobleme der Initiative hingewiesen haben. Die Versuchung im Journalismus, zu simplifizieren, auf diese Weise größere Publika zu erreichen und diesen auch "gefällig" zu sein, ist angesichts schrumpfender Werbeerlöse und auf Sparflamme gesetzter Redaktionen groß -genau das ist wohl passiert.

Abstimmungsergebnis war zu erwarten

Ergänzend verwies das Forschungsinstitut Media Tenor darauf, dass in den Schweizer Medien, insbesondere den Hauptnachrichten-Sendungen des Fernsehens, die Ausländer "in erster Linie als Problem präsentiert" würden, und somit "jeder Entscheid zugunsten der Ausländer eine Überraschung" gewesen wäre. Media Tenor analysierte Präsenz und Bewertungen der Ausländer in den Schweizer TV-Nachrichten und der SRG seit 2006. "Mehr als 80 Prozent aller Berichte, in denen Ausländer überhaupt von den Nachrichten thematisiert wurden, bezogen sich allein auf das Asylrecht oder Einwanderungsfragen." Damit habe der Stimmbürger keine Chance gehabt, "die reale Veränderung im Alltag der Schweiz über die Medien zu erfahren": Kaum ein Krankenhaus komme "ohne Nicht-Schweizer aus" und "Forschung und Lehre wären zwischen St. Gallen und Genf undenkbar, würden Wissenschaftler aus Europa, Amerika, Afrika und Asien nicht ihren Beitrag leisten."

Der Medienredakteur der Neuen Zürcher Zeitung, Rainer Stadler, wendete hier ein, von Aktualitäten getriebene Sendungen müssten "an die Themen des politischen und wirtschaftlichen Tagesgeschäfts anknüpfen". Entsprechend verwundere es nicht, dass hauptsächlich über die Asylpolitik und die Einwanderung berichtet wurde.

Stadler hat wohl die Dynamik der Konkurrenz um Aufmerksamkeit im Hinterkopf. Daran anzuknüpfen wäre allerdings die Frage, inwieweit sich ein öffentlicher Sender diesen Auswahlprinzipien des kommerziellen Journalismus umstandslos fügen muss. Vielleicht dürften die Ausländer, die immerhin einen Bevölkerungsanteil von knapp 25 Prozent in der Schweiz stellen und ja ebenfalls die Rundfunkgebühr bezahlen, da doch etwas mehr "Minderheitenschutz" erwarten?

Die Frage nach der Mitschuld der Medien ist jedenfalls müßig. In einem höheren Sinne haben sie wohl an jedem demokratischen Abstimmungsergebnis eine Mitverantwortung. Denn fast alles, was wir wissen, wissen wir aus den Medien - so schon vor vielen Jahren der Soziologe Niklas Luhmann. Daran hat sich auch im Zeitalter der sozialen Netzwerke wenig geändert.

Der Autor ist Medienwissenschafter an der Universität Lugano/CH

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