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Fachjournalismus im Norden

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Die Verfassung des Königreiches Schweden garantiert den Journalisten — wie auch allen anderen Staatsbürgern — das Recht auf politische Meinungsbildung und auf freie Meinungsäußerung. Im Vertrag zwischen dem schwedischen Journalistenverband und den Zeitungsherausgebern wird außerdem noch festgelegt, daß der Angestellte der Zeitung seine politisch abweichende Meinung auch in anderen Publikationen vortragen darf, wenn ihm „seine eigene“ Zeitung keinen Raum dafür zur Verfügung stellt. Diese weitgehenden Rechte sind die Kennzeichen eines demokratischen westlichen Staatswesens. Wie aber schaut es in der Praxis mit diesem Recht aus? Aus welchen Kreisen und Lagern rekrutieren die Zeitungen der politischen Parteien ihre Mitarbeiter? In welchem Ausmaß passen die Journalisten ihre private politische Meinung der politischen Farbe der Zeitung an? Und wie stark ist der Druck, der journalistische Arbeiten in eine bestimmte Richtung drängen will? Darüber wußte man bisher kaum etwas. Nun hat eine am Staatswissenschaftlichen Institut der Universität Uppsala unter Leitung Professor Hesslers durchgeführte Untersuchung darüber interessantes Material zutage gefördert.

Der schwedische Durchschnittsjournalist von heute ist 37 Jahre alt, verheiratet, hat die Reifeprüfung bestanden und besitzt gerade noch ausreichende Kenntnisse der englischen und deutschen Sprache. Er hat in seinem Beruf 14 Jahre gearbeitet, hat nun seine dritte Anstellung und erhält ein Jahresgehalt von 16.000 schwedischen Kronen (80.000 Schilling). Er hält seine theoretische Schulung für ausreichend, mit seiner grundlegenden praktischen Ausbildung ist er jedoch weniger zufrieden. Er ist gewerkschaftlich organisiert, hat jedoch oft die Meinung, daß seine Berufsgruppe nur geringes soziales Ansehen genießt, teilweise durch eigenes Verschulden. Das ist in groben Zügen das Bild des schwedischen Journalisten von heute, wie es das Untersuchungsresultat skizziert.

Das bearbeitete Untersuchungsmaterial stammte von 81 Tageszeitungen, von denen insgesamt 69 vom Hundert der Angestellten ausführlich geantwortet hatten; das Resultat der Untersuchung — die übrigens drei Jahre Arbeit erforderte — muß also der Wahrheit sehr nahe kommen. Dagegen sagt es nichts über die Verhältnisse bei den Wochenzeitungen und den Zeitschriften. Einer ausgesprochenen Unlust begegneten die Ausfrager lediglich bei der Presse der Konservativen, also der äußersten Rechten.

Schon die Altersangabe bot eine Ueber-raschung: Während bei allen anderen Berufsgruppen — die Bergarbeiter ausgenommen — das Bestreben bemerkbar ist, die aktive Zeit über das 67. Lebensjahr hinaus zu verlängern, nimmt die Zahl der Journalisten, die älter sind als 55 Jahre, rapid ab. Der Kräfteverschleiß ist ebenso hoch wie bei den Bergarbeitern!

Nur ein Zehntel der Berufsgruppe besteht aus Frauen.

Jeder vierte Journalist hat akademische Studien betrieben, doch nur jeder zehnte hat ein Abschlußexamen abgelegt; wer die journalistische Laufbahn als Ziel gesetzt hat, kann in den meisten Fällen seine Studien nicht zu Ende führen.

81 vom Hundert haben als Volontäre bei Zeitungen begonnen, mehr als die Hälfte von ihnen bei kleinen Zeitungen unter 10.000 Auflage.

Die schwedischen Journalisten wechseln auffallend oft zwischen Zeitungen verschiedener politischer Richtung. Etwa die Hälfte der Angestellten der konservativen und liberalen Zeitungen war früher bei gegnerischen Organen, die Angestellten der Arbeiterpresse und der Bauernparteipresse kamen zu einem Drittel aus dem anderen Lager. Ein Journalist, der 3 5 Jahre bei derselben Zeitung gearbeitet hatte, antwortete auf die Frage, ob er während dieser Zeit die politische Meinung geändert habe: „Ich nicht, aber die Zeitung!“

Von den Angestellten der Arbeiterpresse hatten 97 vom Hundert sozialdemokratisch gewählt, in den Rechtszeitungen wählten 87 vom Hundert konservativ, in der Bauernpresse stimmten 76 vom Hundert für die Bauernpartei und in der liberalen Presse 71 vom Hundert für die Volkspartei. Hier muß man nun — bei aller gebotenen Vorsicht — den sich aufdrängenden Schluß ziehen, daß die Angestellten sich in vielen Fällen zweifellos dem politischen Charakter der Zeitung anpassen, ohne daß dabei ein direkter Druck auf sie ausgeübt wird. Während in Schweden mehr als 50 vom Hundert aller Arbeitnehmer sozialdemokratisch wählen, geben in den Zeitungen der Volkspartei, die unter 50.000 Auflage haben, nur 6 vom Hundert zu, daß sie die Arbeiterpartei gewählt haben. In denselben Zeitungen wählten 79 vom Hundert liberal (im Reichsdurchschnitt 18,2 Prozent), 13 vom Hundert konservativ (im Reichsdurchschnitt 19,5) und 2 von hundert Zenterpartei (im Reichsdurchschnitt 12,7 Prozent). Das politische Bild innerhalb der Angestelltenschaft der Zeitungen stimmt also mit dem politischen Bild im übrigen überhaupt nicht überein!

Die Parteitreue der Angestellten ist am größten bei den kleinen Zeitungen der Bauernpartei und der Volkspartei, am geringsten bei den großen Volksparteizeitungen, die zu ihrer Partei oft nur ein loses Verhältnis haben. In diesen großen Zeitungen sind überhaupt nur 8 vom Hundert der Angestellten parteipolitisch engagiert. Die hohen beruflichen Anforderungen, die hier gestellt werden, machen eine Wahl nach parteipolitischen Gesichtspunkten unmöglich. Bei den kleinen Zenterparteizeitungen beherrscht nicht einmal die Hälfte der Angestellten eine fremde Sprache, niemand spricht dort französisch und kaum jemand deutsch. 63 vom Hundert dieser Angestellten aber gaben an, daß sie immer oder nahezu immer die politische Haltung ihres Blattes verteidigen.

44 vom Hundert erklärten, daß ein politisches Engagement oder öffentliche Funktionen die Qualität ihrer journalistischen Arbeit verschlechtern würde. 39 vom Hundert gaben zu,daß Versuche gemacht wurden, ihre Arbeit politisch zu beeinflussen, 75 vom Hundert aller solchen Versuche kamen von Inserenten, die auch vor handfesten Drohungen nicht zurückschrecken. 41 vom Hundert aller Journalisten waren nach Besprechungen oder Kritiken Drohungen oder Beeinflussungen ausgesetzt.

Zusammenfassend kann gesagt werden, daß der schwedische Journalist vor allem nach seiner beruflichen Qualifikation beurteilt wird. Er steht am liebsten frei und politisch ungebunden, paßt sich aber in vielen Fällen dem politischen Charakter der Zeitung aus Bequemlichkeitsgründen an; diese Anpassung ist in der konservativen Presse am stärksten. Die politische Freiheit ist also ein Recht, auf das man mitunter verzichtet!

Der Mittellohn in der Berufsgruppe war 1955 16.000 Kronen (eine schwedische Krone sind fünf Schilling). Am besten bezahlten die liberalen Zeitungen, 18.900 Kronen, am schlechtesten die Bauernparteizeitungen, 13.500 Kronen. Die großen liberalen Zeitungen bezahlten im Durchschnitt 22.700 Kronen jährlich. Die durchschnittliche Anstellungszeit betrug hier 15 Jahre.

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