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Redakteure nicht gesucht

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Vor mir liegt die für britische Intelligenzler geschriebene sozialistische Wochenschrift „New Statesman“. Der Anzeigenteil dieser Zeitung enthält Woche für Woche durchschnittlich 50 staatliche, kommunale und institutionelle Ausschreibungen für Posten aller akademischen Grade und Berufe: Hochschulpersonal vom Fakultätsvorstand bis zum Assistenten, leitende und andere Funktionäre kommunaler und Grafschaftsinstitutionen wie Bezirks- und Landes-schulinspektoren, Personal für den Rundfunk vom Programmdirektor bis zu Redakteuren der Nachrichtendienste, Direktor- und Chefarztposten in Spitälern usw. Dies, obwohl der „New Statesman“ kein Organ der Regierung, sondern der Opposition ist. Freilich sind die gleichen Stellen auch immer in den anderen intellektuellen Wochenschriften und in Tageszeitungen, wie den „Times“, ausgeschrieben. Im liberalen „Spectator“ finde ich ein besonderes Kuriosum: Gesucht wird ein Generalsekretär für die Britisch-Sowjetische Gesellschaft. Aber auch andere Organisationen, die ins Politische hinüberspielen, wie Gewerkschaften Genossenschaften, Bildungsstellen und hin und wieder sogar die Parteien, suchen sich ihre Organisatoren und anderen Funktionäre über den Annoncenteil von Zeitungen, die ihnen politisch fernstehen.

„Na ja, sie sind halt ein seltsames Inselvolk, die Engländer, mit eigenen Traditionen“, wird mancher sagen. Man muß jedoch nicht nach England gehen, um Stellen solcher Art öffentlich ausgeschrieben zu sehen. Schweizer und westdeutschen Zeitungen, wie der „Züricher“ und der „Frankfurter“, zufolge, scheinen auch dort solche seltsamen Bräuche zu walten. Auch dort sind Woche für Woche und tagaus, tagein zum Beispiel drei Arten von Posten ausgeschrieben, für die es, der österreichischen Presse nach zu schließen, hier überhaupt keinen Bedarf zu geben sche'nt: Zeitungsredakteure, Verlagslektoren und Theaterdramaturgen. Doch nicht nur unseren Zeitungen, auch den staatlichen ^rl^tsämte/i^^ufojg^ft/eilgf^kr^s^chf^e Konjunktur bei uns lediglich auf technische, kommerzielle und mWiri^BiJr^i^Sfch^kenne einen Mann, der bereits seit eineinhalb Jahren beim Arbeitsamt angemeldet ist; er ist ein qualifizierter Verlagslektor und Zeitungsredakteur, beherrscht drei Fremdsprachen und eine Reihe von Spezialgebieten. In den ganzen eineinhalb Jahren ist ihm kein Posten angeboten worden, noch hat er einen solchen in irgendeiner inländischen Zeitung ausgeschrieben gesehen.

Obwohl wir nun sicherlich in Österreich nicht gerade durch übermäßige intellektuelle Bedürfnisse auffallen, kann man doch nicht sagen, daß niemals und nirgends Leute solcher Berufe gebraucht, gesucht und gefunden würden. Es geschieht das nur eben auf eine andere Weise als in den oberwähnten Ländern, auf eine ziemlich geheimnisvolle, sehr österreichische und vielleicht gar nicht nur den gegenwärtigen politischen Verhältnissen in Österreich entsprechende Weise. Auch in früheren Zeiten ist man bei uns zu solch einem Posten nicht auf dem Wege öffentlicher Ausschreibung, sondern nur durch persönliche und politische oder vielmehr politisch-persönliche Beziehungen gelangt. Denn es genügt hierfür keineswegs, einer bestimmten Partei oder Organisation anzugehören, man muß auch mit den Leuten innerhalb einer der vielen Gruppierungen und Cliquen in den Parteien und Organisationen liiert sein. Verschiedene maßgebende Leute, mit denen ich über diese Lage sprach, fragten erstaunt: „Was wollen Sie denn eigentlich? Fs funktioniert doch auch so in den meisten Fällen. Die Leute kommen schon zu ihren Posten, wenn sie einen suchen.“ Es ist nicht ganz so. So greift im Verlagswesen immer mehr die Praxis um sich, Manuskripte und in Produktion begriffene Bücher nicht von qualifizierten, angestellten Lektoren und Korrektoren lesen und betreuen zu lassen, sondern von schauerlich schlecht honorierten freien Mitarbeitern, denen oft gemie wirkliche Eignung fehlt. Die Resultate sind denn auch häufig darnach. Bei den Zeitungen scheint jedoch das System „interner“ Postenvergebung sicherlich eines mitbewirkt zu haben: die schlechte Qualität unserer heutigen Presse. Seit deren Aufstieg um die Jahrhundertwende ist die österreichische Presse noch nie so schlecht geschrieben gewesen, mangelte es ihr so sehr an echter Substanz, war sie so einflußlos und gering geschätzt; noch nie war sie weniger befähigt, volkserzieherisch zu wirken, und noch nie hat sie weniger Wert darauf gelegt. Zu diesem Qualitätsrückgang ist es natürlich nicht nur durch das System interner Postenvergebung gekommen; er begann schon mit dem Zusammenbruch der Monarchie, durch den die österreichische Journalistik einiges von ihren breiten Grundlagen, von ihrer Welt-läufigkeit und ihrem „Format“ einbüßte. In der Ersten Republik, in den späten zwanziger Jahren, kam es dann wieder zu einem, wenn auch nur partiellen Aufstieg, der jedoch mit der sukzessiven Aufhebung der Pressefreiheit (der „Vorlagepflicht“) zwischen 1933 bis 1938 und mit der abrupten vollständigen Gleichschaltung durch das Hitler-Regime nach 1938, mit der Vertreibung zahlreicher begabter jüdischer Journalisten und Literaten vernichtet wurde. Der Einbruch der NS-Parteisprache, der Mangel an Kontinuität bei der Heranziehung und Erziehung junger Kräfte — all das wirkt sich noch bis heute aus; schließlich wurden durch die soziologischen Veränderungen im Leserpublikum nach 1945 ebenfalls nicht gerade günstige Voraussetzungen für eine schnelle Erholung ge-■chaffen.

Durch die sozialen und politischen Verhältnisse nach 1945 wurde das System interner Postenvergebung bei den sogenannten ideologischen Berufen gefestigt; nicht die berufliche Begabung, sondern die „Verläßlichkeit“, die Gewähr, daß der Anzustellende sich den politischen und anderen Regeln der jeweiligen maßgebenden Gruppe unterordnet, entscheidet. Die professionelle Eignung steht an zweiter Stelle. Vor einiger Zeit — oder haben wir es nur geträumt? — gelobten die beiden großen Parteien, daß alle Posten hierfür nun ausgeschrieben werden sollten. Die Verwaltung der verstaatlichten Betriebe hat sogar auch einige Testbeispiele gesetzt. Man kehrte aber stillschweigend zur alten Praxis zurück, weil der Koalitionspartner in seinem Machtbereich nicht sofort dem Beispiel gefolgt ist. Und die interne Postenvergebung besteht sogar dort als Praxis, wo politische Voraussetzungen gar nicht von Bedeutung sind — sie wurde einfach zur allgemeinen Gewohnheit in den erwähnten Berufszweigen. Diese Praxis tut dem Lande nicht gut. Sie verhindert, daß die Besten auf die besten Plätze kommen, sie beeinflußt aber auch die guten, intern rekrutierten Leute auf ungünstige Weise, verhindert ihre menschliche Entfaltung, macht sie zu Dienern nicht der Kultur, nicht der Nation, sondern just der Beziehung, der sie gerade ihren Posten verdanken.

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