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Dieser wunJerLare, elende Sommer

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Der Verleger ist übel dran. Die Jahreszeiten, die sich für den normalen Menschen so schön ordnen in der Folge von Frühling, Sommer, Herbst und Winter verdrehen sich für den, der das mühsame Metier des Bücher- machens betreibt, völlig. Wenn andere Leute anfangen, sich auf den Sommer zu freuen, fängt der Verleger an, Angst zu bekommen, daß die Bücher, die zum Herbst erscheinen sollen, nicht mehr rechtzeitig fertig werden. Wenn sich andere dem Genuß der reifenden Aepfel hingeben, die Farbenpracht der Wälder bewundern und die letzten schönen Tage des Jahres genießen; denkt er mit Schrecken a an die Bücher, die zwar reif sind, aber nicht verkauft werden, und b an die, die im Frühjahr mit den Veilchen wieder neu erscheinen sollen. Er, der Arme, genießt immer die zukünftige Jahreszeit, und wenn sie dann kommt, wird sie ihm verdorben durch das, was sie nicht erfüllt hat. Die Hoffnungen bleiben ihm immer, vielleicht tut der Herbst das, was der Sommer versäumt, und wenn der Herbst das Seinige nicht tut, bleibt immer noch Weihnachten. Aber nach Weihnachten überfällt ihn eine tiefe Trostlosigkeit und ein großer Jammer. Um ihn herum beginnt alles schon den Frühling zu schmecken, sich auf den Sommer zu freuen, auf die Zeit, die seit alters her der Natur ein Fest, dem Menschen ein Vergnügen, dem Leser aber offensichtlich tief feindlich gesonnen ist. Die Buchhändler verkriechen sich seufzend hinter ihre Theken, warten auf Regen und schlechte Tage, damit in den Glanz des beginnenden Frühlings, in die Pracht des Sommers wenigstens ein Stückchen Winter fällt und mit dem Stückchen Herbst und Winter ein Ersatz für lange Abende, ein Ersatz für die dunklen und trüben Tage hereinbricht, der die Leute wieder zum Buch treibt.

Ich weiß nicht, woran Sie sich im Sommer erbauen, sicher an vielem: Sie projektieren Ihre Ferienreise, Sie geben viel zu viel Geld für die Ferienreise aus, Sie essen ununterbrochen Speiseeis, trinken Coca-Cola, und wenn Sie am Ende des Monats addieren, was Sie der Sommer laufend kostet, so bleibt für Bücher nichts mehr übrig. Ein Taschenbuch wird dann fast unerschwinglich. Ich weiß nicht, wie man das aushalten kann, das Saisonlesen. Offensichtlich kommt der Mensch in der Zeit vom 1. April bis 1. Oktober völlig ohne geistige Nahrung aus. Wenn er sehr geistig gesonnen ist, blättert er noch die Literaturanzeiger durch, er sieht sich die Schaufenster an, ich meine die Schaufenster der Buchhandlungen. Daß er sich die anderen ansieht, in denen Sommerkleider, Sommerschuhe und ich weiß nicht, was sonst noch alles, was das Vergnügen am Sommer erhöht, ausgebreitet liegen — das ist selbstverständlich; das kauft er sogar, zumal es ihm am Ende des Textilsommers, gewöhnlich also schon in den letzten Julitagen, im „Saisonschlußverkauf“, zum halben Preis nachgeworfen wird. Mit dergleichen Verführungen können wir nicht dienen. Unsere Bücher haben denselben Preis im Sommer, Herbst und Winter. Sie werden nicht billiger, sie bleiben aber schön. Im Gegensatz zur Natur scheint ihre Schönheit nur im Winter zu ergreifen. Wohin soll das führen?

Ich verstehe es trotzdem nicht, denn: was bringt schon so ein Sommer? Wie oft regnet es? Wie oft muß man Ueberstunden machen? Wie oft sind die Betten schlecht am Urlaubsort? Wie muß man sicfi plagen in überfüllten Zügen und Omnibussen? Dann ist es wieder zu heiß, und man schwitzt sich kaputt. Das alles findet ja viel idealer statt im Roman. Meistens ist schönes Wetter, wie oft sitzen die Personen, die im Roman vorkommen, an Sommerabenden im Garten vor dem Haus und sehen beschaulich den Schwalben zu, wie oft kann man das aber in Wirklichkeit? Entweder ist es zu kühl oder zu warm oder die Schnaken plagen einen, kaum, daß man sich hingesetzt hat. Genießet den Sommer, sollten wir mit Inbrunst und Ueber- zeugungskraft ausrufen, aber nicht in der Natur, die ist immer nur halb, die ist immer beschattet, genießt den Sommer in der Literatur! Laßt eure unsterblichen Seelen nicht so jämmerlich hungern in Zeiten, in denen das Sterbliche an. euch so viel Vergnügen nachgeschmissen bekommt. Das ist ungerecht. Und wenn ihr euch schon nicht entschließen könnt, dann kauft wenigstens Taschenbücher. Dann habt ihr Sommer, Herbst und Winter, alles in einem, und ihr habt es viel schöner als die Natur es zu bieten vermag.

Das ist eine Art von Notschrei, den ich hier ausstoße, für mich und für die anderen Verleger und für die Buchhändler und für die Autoren. Hier sind sie, sozusagen ausnahmsweise einmal, in einer Front. Denn auch die Best-Seiler verlangsamen im Sommer ihr Tempo, sie schleichen geradezu durch die Hundstage, und auch sie vermögen die plötzlich aufgetretene Apathie der Leser nicht zu wecken. Hinter dem Sommer enthüllt sich das trügerische Bild unserer literarischen Prosperität. Ich weiß, es ist viel richtiger, aus werbetechnischen Gründen zu sagen: der Umsatz verdoppelt sich, alle Bücher gehen gut, die literarischen und die schwierigen gehen besser als je zuvor, die Best-Seller fliegen geradezu, und Wissenschaft, populär und exakt, kann nicht schnell genug herbeigeschafft werden. Ich möchte also hiermit gesagt haben, damit kein Mensch auf den Gedanken kommt, dem Buchhandel gehe es schlecht, so schlecht, daß der Kunde durch die ein oder zwei Bücher, die er zu kaufen beabsichtigt, auch nichts daran ändern könne: Dem Buchhandel und uns allen und den Autoren geht es sehr gut. Das beweisen die Statistiken. Aber es verstößt nicht gegen die Werberegeln, wenn ich sage: im Sommer geht es uns wirklich schlecht, ausnahmsweise und eben nur im Sommer.

Nun, so ernst, wie sich das anhört, ist es nicht gemeint, und ich finde auch, daß der Sommer schöner ist als die Literatur und die Kunst. „Ewig“ ist die Literatur nur mit gewissen Unterschieden. Einem alten Vorurteil folgend, soll die leichte Literatur im Sommer besonders begehrt sein. Ich empfehle die schwere. Trübe Schicksale lassen sich bei Sonnenschein besser genießen als bei Regen! Alles zusammen, der ganze Sommer, ist vielleicht doch schöner als die Literatur, und trotzdem bleibt bei allem zusammen nicht so viel übrig wie bei der Lektüre. Das andere hält nicht so lange und geht schnell vorüber und erfüllt nur den Augenblick. Die Bücher aber erfüllen die ganze Zeit.

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