Expressive Direktheit

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Eine Ausstellung im Museum des 20. Jahrhunderts anläßlich des 80. Geburtstages von Maria Lassnig.

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Eine Ausstellung im Museum des 20. Jahrhunderts anläßlich des 80. Geburtstages von Maria Lassnig.

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Ein erschrockenes Gesicht mit geöffnetem Mund und traurigen Augen beherrscht den Bildraum. Das in Grüntönen gehaltene Ölbild löst beim Betrachter durch seine Direktheit Betroffenheit aus. "Weinendes Selbstporträt" (1994) läßt die Arbeitsweise und den künstlerischen Ansatz der Malerin Maria Lassnig erkennen.

Das Bild entstand während eines Weinkrampfes, erzählt die Künstlerin. Zum Glück war eine Leinwand in der Nähe - der Gefühlszustand wurde direkt aufs Bild übertragen. Im unteren Teil ist das Gemälde unvollendet, denn Lassnig beendete die Arbeit in dem Moment, wo sich ihre Stimmungslage änderte. Seit fünf Jahrzehnten malt Maria Lassnig ihre persönlichen Befindlichkeiten. Es geht nicht um die Darstellung des Gegenstands Körper, sondern um die malerische Umsetzung von Gefühlen: "Es hat sich nunmehr seit 45 Jahren nicht geändert, daß ich beim Malen und Zeichnen von derselben Realität ausgehe: von dem physischen Ereignis der Körperempfindung".

Als Maria Lassnig mit Zeichnungen vor zwei Jahren bei der Documenta X vertreten war, fragten Interessierte immer wieder neugierig nach der jungen Künstlerin aus Österreich. Die Episode spricht für die Arbeiten, die in ihrer Offenheit gleichermaßen zeitlos wie zeitgemäß wirken. Zugleich wird deutlich, daß Maria Lassnig international nach wie vor nicht den Bekanntheitsgrad besitzt, der ihr gebühren würde.

Weder an der mädchenhaften Art der Künstlerin noch an den neuen, vitalen Bildern errät man, daß Maria Lassnig heuer ihren 80 Geburtstag feiert. Mit einer großen Retrospektiverehrt das Wiener 20er Haus die Malerin. An die 70 Gemälde lassen die künstlerische Entwicklung von einem Selbstporträt aus der Studienzeit bis zu neuen großformatigen Serien nachvollziehen. Der Schwerpunkt liegt auf der Präsentation von Arbeiten der letzten Jahre, was für die ungebrochene Produktivität der Malerin spricht.

Begonnen hat die künstlerische Laufbahn der Kärntnerin im Jahr 1941. Während des Krieges beginnt die ausgebildete Volksschullehrerin in Wien an der Akademie für bildende Künste Malerei zu studieren. Seit damals war es für Maria Lassnig selbstverständlich, sich nichts anderem als der Kunst zu widmen. Ein Leben als Künstlerin war für sie unvereinbar mit der klassischen Frauenrolle. Diese Unvereinbarkeit spiegelt sich heute in Bildern - etwa in "Illusionen von den versäumten Heiraten" oder "Illusion von der versäumten Mutterschaft" (1998). "Ich kann nur raten, nicht als Frau geboren zu werden", meint Maria Lassnig und spricht damit ihre schwierige Situation in der von Männern dominierten Kunstszene im Wien der Nachkriegszeit an.

1948 entstehen die ersten Körperbewußtseinszeichnungen - die Konzentration auf das Körpergefühl wird sich zum Hauptthema ihrer Kunst entwickeln. Zunächst ist sie von der Farbigkeit des Kärntner Kreises beeindruckt, später folgen Berührungen mit dem Informel und dem Surrealismus. 1961 übersiedelt Lassnig nach Paris, in Wien fühlt sie sich von der Kunstszene unverstanden. In der damaligen Kunstmetropole malt sie zwei Meter große Körperfigurationsbilder, die jedoch nicht ausgestellt werden. Auch als Maria Lassnig 1968 ihr Leben nach New York verlagert, bleibt der große Erfolg aus. Ihr "Body-Awareness-Painting" lehnt man in Amerika als "strange" und "morbide" ab.

Erst 1980, als ihre männlichen Künstlerkollegen längst berühmt sind, wird Maria Lassnig nach Österreich zurückgeholt und vertritt gemeinsam mit Valie Export Österreich bei der Biennale in Venedig. Gleichzeitig übernimmt sie eine Meisterklasse an der Hochschule für angewandte Kunst - als erste weibliche Professorin für Malerei im deutschsprachigen Raum. 1988 erhält sie den Großen Österreichischen Staatspreis.

Die Jubiläumsschau zeigt eindrucksvoll, was Maria Lassnig im Kunstgeschehen auszeichnet und sie zum Vorbild vieler, vor allem weiblicher Kunstschaffender macht. Es ist das kompromißlose Ringen um das Medium Malerei, die empfindsame Selbstbeobachtung ihrer Innenwelt gepaart mit einer ständigen Wahrnehmung der Außenwelt und des Zeitgeschehens. Die Bilder Maria Lassnigs wie etwa "Fliegenlernen" (1976) oder "Auge in Gefahr" (1993) erscheinen immer authentisch und berühren durch die malerische Qualität wie durch die expressive Direktheit. Maria Lassnig reflektiert mittels Pinsel und Farbe über die Beziehung zwischen Kunst und Künstler und zeigt ungeschützt ihre Empfindsamkeit.

Nie hat sie sich spekulativ Kunstrichtungen angeschlossen, und doch sind die Arbeiten keineswegs unbeeinflußt von Zeitströmungen. Ein Bild wie "Doppelselbstporträt mit Kamera" spiegelt Sichtweisen der 70er Jahre, es ergeben sich Berührungen mit der Popart und dem Fotorealismus. Die neuen "Beziehungsbilder" lassen sich durch die comicähnlichen Strichmännchen, die vielschichtige Perspektive und den dezentrierten Bildaufbau als Werke der 90er Jahre im Kontext postmoderner Diskurse ansiedeln. Zugleich sprechen sie unverkennbar die Sprache Maria Lassnigs. Selten ist ein Werk gleichermaßen in sich geschlossen wie offen für Innovationen.

Bis 6. Juni 1999 20erhaus, 1030 Wien, Arsenalstr. 1, Tel. (01) 799 69 00.

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