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Weltoffen und unvollendet

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Historisches Museum der Stadt Wien, Wien I, Neues Rathaus: Adalbert Stifter. Ausstellung aus Anlaß seines 150. Geburtstages.

An der Renaissance des genial-einseitigen Dichters Stifter, der aus dem Menschen ein Stück Natur machte, hat auch der Maler Stifter seinen Anteil. Wie in seinen Erzählungen und Prosastudien finden wir auch in seinen Bildern die Bemühung, das, was ihm vergänglich erschien, statisch zu machen, in Natur zu verwandeln, und was Natur ist, dem menschlichen Alltage nahezubringen. Aus allen Gemälden spricht ein intensives Weltgefühl; seine Weltanschauung findet in den Bildern des Leisen und Sanften ihren Ausdruck. Alles verwandelt sich da in Ruhendes und bekommt einen Festpunkt. „Das Wehen der Luft, das Rieseln des Wassers, das Wachsen der Getreide, das Schimmern der Gestirne halte ich für groß“, schrieb Stifter einmal. „Das prächtig einherziehende Gewitter, den Sturm, der die Brandung treibt, das Erdbeben, welches Länder verschüttet, halte ich nicht für größer als obige Erscheinungen, ja. ich halte sie für kleiner, weil sie nur Wirkungen viel höherer Gesetze sind.“

Am stärksten interessiert uns heute das Alterswerk des Malers Stifter und seine Studien. Da sind zwei Oelskizzen „Griechische Tempelruinen“; die erste führt er im „Tagebuch über Malereiarbeiten“ als „Die Heiterkeit, griechische Tempeltrümmer“ an, die zweite ist eine Studie zur Neufassung der „Heiterkeit“. In ihrer Skizzenhaftigkeit wirken diese beiden Studien sehr modern, und sind doch ganz Stifter, der das Heile und Ewige sucht und es in den Ruinen Hellas' findet, in einer ewigen, dauernden

Heiterkeit, die länger währt als der Stein ___ —

Dabei war Stifter nie in Griechenland; seine Imaginationskraft aber vermochte eine Idealwelt zu realisieren. — Dann seien die „Mondlandschaft mit bewölktem Himmel“ und der „Mondaufgang“ hervorgehoben, zwei unvollendete Oelbilder auf Karton, die in ihrer Sehnsucht-Symbolik echte Romantik sind und in ihrer Präzision und realistischen Akribie doch schon Zukunft verheißen. Weiter sind die Studien COel auf Leinwand) „Die Bewegung“ zu nennen, eine Arbeit, zu der auch viele Vorstudien erhalten sind und die Stifter lange Zeit sehr beschäftigte. Aus dem Bilde des strömenden Wassers, das ganz aufgelöst wird in seine kleinsten Teilchen, liest Stifter die Gesetze ab, die jeder Bewegung zugrunde liegen. Das subjektive Naturerlebnis wird eingefügt in die große Ordnung aller Dinge.

Alle seine Studien wenden , sich . den ruhigen, bleibenden Dingen zu: den Wolken, die in immer gleichmäßigem Spiel ihre Gestalt verändern, dem Baum, Fels, Stein. . Er zeichnet . sie mit größter, schöpferischer Genauigkeit, um auch in ihnen das zu erfahren, was überall zu ihm sprach: das „sanfte Gesetz“.

Albertina, Wien I, Augustinerbastei 6: Ru-dolfvon Alt. Gedächtnisausstellung im 50, Todesjahr.

Die große Gedächtnisausstellung für Rudolf von Alt ist so etwas wie die festliche Wiedereröffnung der Albertina, die lange Jahre geschlossen war und erst heuer, zunächst mit einer kleinen Schau Cecil van Haanens, ihre Tätigkeit nach außen wieder begann. Das ist ein Ereignis, ebenso erfreulich wie die Wiedereröffnung von Burgtheater und Staatsoper; nun fehlt nur noch das Kunsthistorische Museum, dessen, völlige Wiederherstellung wohl im kommenden Sommer abgeschlossen sein dürfte. ; - '-..'.

Wie das Werk Stifters heute eine Renaissance erlebt, so auch das Werk des weitgereisten Alt, des nur um sieben Jahre jüngeren Zeitgenossen Stifters. Auch er erscheint uns in vielem heutig; auch von seinen Studien blieben viele „unvollendet“ (dieses Unvollendete ist ein durch und durch österreichischer Zug): aber gerade der Wechsel der aquarellierten Partien mit weißgebliebenen Papierflächen gibt den Blättern ihren besonderen Rhythmus und Reiz. Wie durch-sichtig-welterfüllt schimmert doch die Frauengestalt im „Blick auf Zara“l — In einem unterscheidet sich

Alt freilich grundlegend von Stifter: er geht nicht von der menschlichen Naturempfindung aus. Was ihn fasziniert, ist der unendliche Detailreichtum der sichtbaren Welt, den er mit größter Genauigkeit festhält; von den Nadeln der großen Fichte bei Badgastein bis zu den Steinen der Piazza d'Erbe in Verona. Er will nicht Stimmungen geben, sondern Objektivität. Das hat nichts mit Naturalismus zu tun: denn in der Bildwahl und -komposition ist er schöpferischer Künstler, kein bloßer Abschilderer. Seine Veduten können, indem sie das subjektive Moment weitgehend ausschalten, Landschaften gegenwärtig machen, daß wir es einfach nicht glauben wollen, daß Wien heute, von der Spinnerin am Kreuz aus betrachtet, anders aussieht als zur Zeit Alts. Aber indem in diesen Bildern — über denen fast immer ein ewig heiterer Himmel aufsteigt — nichts von romantischem Naturerlebnis ist, werden sie uns zum Welterlebnis.

Aquarellkunst ist eine zarte Kunst: wie zart sie sein kann, hat Alt gezeigt. Es ist die Kunst des kleinen Formats, der Präzision im Detail, die Verwirklichung eines Mikrokosmos im Bild, wie es das Ideal der alten Meister war. Diese gezeichneten Aquarelle erzählen nichts, sie sind d a. Auch eine Sonnenfinsternis ist hier kein Ereignis mehr, sondern ein Zustand; und Dämpfe und Feuerschein der Eisen-

gießerei in der Skodagasse sind ein Farbprotokoll, keine Erzählung.- — Aus ihnen allen -spricht der tiefe Glaube, daß es einen. Sinn hat, Bilder .von der Welt zu geben.

Galerie W ü r t h I e, Wien I, Weihburggasse 9: Herbert Boeckl. Oelbilder, Zeichnungen und Aquarelle. ...

Im Parterre faszinieren die Studien: die aus Spanien und die aus Griechenland und Kreta. Diese . Studien (Bleistiftzeichnungen und Aquarelle) befassen sich nicht mit Landschaften, sondern mit Kunstwerken vergangener Epochen, insbesondere mit Fresken. Da sind katalonische Fresken aus St. Maria, de Tahull, die seinerzeit schon in der Galerie Sankt Stephan gezeigt wurden, und eine Freske aus der Einsiedelei in Andorra. Dann: „Cherub aus einer Ikone“, „Koptisches Relief“, Fresken und Freskenreste aus Knossos, Kreta (von diesen sind besonders zu nennen: La Parisienne und die Tänzerin), das , „Erechtheion“ und die „Propyläen“. In diesen neuen Aquarellen finden wir all das, was wir'an Boeckl so ■ schätzen: die Einheit von subtiler Geistigkeit und intensiver Sinnlichkeit, die starken Farben und die dichten Formen. In diesen Blättern ist die ganze Welt, aus der diese Fresken oder Säulen geschaffen wurden, enthalten; sie sind getränkt mit Geschichte, die gegenwärtig wird in einem Mauerrest; und zugleich ist jede Freske mit allen verwitterten Stellen so greifbar, daß wir den Daumen hineinlegen zu können glauben. Wir spüren, wie der Künstler von seinen Eindrücken überwältigt wurde und wie er von innen heraus antworten konnte, und das, was er sah, bewältigte ins Bild. Solche Blätter sind keine Kopien: sie sind eine Heimholung der Antike in unsere Gegenwart,

Wie dünn muten dagegen die abstrakten Landschaftsaquarelle an; zwar ist nichts an ihnen konstruiert, aber es fehlen die starken Formen, es fehlt die Vision. Man glaubt nicht, daß der Künstler irgend etwas vor sich gesehen hat, als er dies malte:

Im ersten Stock sind 21 Oelbilder Boeckls aus den Jahren 1920 bis 1927 ausgestellt, in denen sich bereits die ganze Meisterschaft dieses Malers zeigte. Da sind die kompakten Formen seiner Menschen, die sich gleichsam zum Sprung zusammenzuziehen scheinen, in denen sich spürbar eine unerhörte Lebenskraft verdichtet. Wie dicht diese Menschen sind! Es sind Menschen, die Dinge angreifen und bewältigen können. — Auch in den „aufgerissenen“ Landschaften spüren wir kraftvolle, sinnenhafte Malerei. Das sind Landschaften, die Stellen un-bemalter Leinwand haben, die einen eigenen Kontrast zu den schwungvollen, mit breitem Pinsel geführten Strichen bilden.

Stifter, Alt, Boeckl: alle haben sie, gerade in ihren besten Arbeiten, etwas Unvollendetes. Aus ihnen spricht die Scheu, den letzten Strich anzulegen und etwas abzuschließen, das in sich bereits vollkommen ist, und das Wissen, daß die letzte Vollendung nicht unser Teil ist. Alle drei leisteten ihr Bestes in ihren Studien, mit der sie ein Stück ge-schauter Wirklichkeit den Menschen nahebrachten. In ihrer Dichte, ihrer Präzision und ihrer Weltoffenheit verkörpern sie echtes Oesterreichertum.

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